Kaum ein Monat vergeht, ohne dass Vampire den Zuschauer im Heimkino oder auf der großen Leinwand anfallen. Während in der „Twilight"-Serie der menschliche Charakter der Blutsauger betont wird, konzentriert sich Scott Charles Stewart in seinem postapokalyptischen Science-Fiction-Horror „Priest" ganz auf den Monsteraspekt der Fabelwesen. Er folgt damit Reißern wie „Daybreakers" oder „30 Days of Night", in denen degenerierte Vampire ihr Unwesen treiben. Allerdings wird das Horror-Potential dieses Ansatzes nicht ausgeschöpft und Stewart verliert sich stattdessen etwas in einem fragwürdigen spirituellen Überbau, was das Vergnügen an seinem optisch durchaus ansprechenden Film zumindest ein wenig trübt.
In einer unbestimmten Zukunft: Vampire und Menschen haben sich nach schier endlosen Kriegen damit arrangiert, in zwei scharf voneinander getrennten Welten zu leben. Auf der einen Seite steht ein hochmoderner diktatorischer Kirchenstaat, angeführt von dem herrischen Geistlichen Orelas (Christopher Plummer), auf der anderen ein heruntergekommenes Reservat mitten in der Wüste, dass den Verlierern der letzten Schlacht, den Vampiren, vorbehalten ist. Entscheidend für die Verschiebung der Machtverhältnisse war das Eingreifen einer speziell ausgebildeten Priesterkaste, die jetzt im Untergrund ihr trauriges Dasein fristet. Doch als einer der namenlosen Gotteskrieger (Paul Bettany) von einem Kleinstadt-Sheriff (Cam Gigandet) darüber informiert wird, dass seine außerhalb der Stadt wohnende Nichte Lucy (Lily Collins) von plötzlich wieder aggressiv auftretenden Vampiren verschleppt wurde, will er die strenge Kirchengemeinde gegen den Willen von Orelas hinter sich lassen. Nach seinem Ausbruch werden dem Priester seine ehemaligen Mitstreiter unter Führung einer befreundeten Kriegerin (Maggie Q) nachgesandt. Ihr Auftrag: den Abtrünnigen tot oder lebendig zurückzubringen.
Der Kinostart von „Priest" wurde - auch dank der kaum merklichen 3D-Nachkonvertierung -immer wieder verschoben, was in der Branche häufig als ein Indiz für einen deutlichen Qualitätsmangel gewertet wird. Diese Befürchtung kann im Falle von Scott Charles Stewarts Film entkräftet werden. Handwerklich ist dem Werk des Special-Effects-Experten nichts vorzuwerfen. Sowohl in der Bildsprache als auch im Produktionsdesign liegt „Priest" weit vor Stewarts letzten Output „Legion". Der Geschichtsabriss-Prolog bleibt in seinem stilisierten Zeichentrickstil noch nah an der Manhwa-Vorlage des Südkoreaners Min-Woo Hyung. Doch in der Folge hält sich Stewart nicht ohne Augenzwinkern an das Motto: „Gut geklaut ist besser als schlecht erfunden." Die funkelnd-futuristische Reklame-Hochhauswelt der Menschen erinnert mehr als deutlich an „Blade Runner", die bedrohlich-autoritäre Kirchenstaat-Konzeption an George Orwells „1984", während Stewarts Endzeit-Western-Wüstenkulisse als ein Mix aus „Mad Max" und „The Book of Eli" daherkommt. Für Don Burgess, der auch der Kameramann des Denzel-Washington-Starvehikels war, muss der „Priest"-Dreh ein Déjà-vu-Erlebnis gewesen sein, denn die ausgeblichenen Bilder von „The Book of Eli" finden sich in Stewarts Film nahezu eins zu eins wieder.
Die filmischen Anleihen in der Ausstattung und in der Ästhetik setzen sich bei der Gestaltung der gut animierten CGI-Vampire fort. Wie bereits angesprochen gibt Stewart den Blutsaugern ihre Gefährlichkeit zurück. Sie sind schleimige, augenlose und unheimlich bewegliche Bestien, die in ihrer Brutalität und in ihrem heimtückischen Verhalten an die Kreaturen aus dem Höhlenschocker „The Descent" erinnern. Einen schönen Einfall hat Stewart hier für die Übertragung des Vampirvirus gefunden: Wer gebissen wird, verwandelt sich nicht in ein Fledermaus-Monster, sondern in einen schwächlichen menschenähnlichen Kahlkopf, der zwar das Sonnenlicht verträgt, aber von den Vampiren zu niederen Sklavendiensten gezwungen wird.
Bei der Inszenierung der Action hält sich Stewart in mehrfacher Hinsicht merklich zurück. Die mit viel Zeitlupeneinsatz inszenierten Kampfszenen zwischen den Blutsaugern, den Priestern und dem Sheriff-Sidekick sind zwar solide choreographiert und auch die Idee mit den Kreuzen als Ninja-Sternen funktioniert prächtig, aber diese Action-Einlagen werden immer viel zu abrupt abgebrochen. Nur im rasanten Eisenbahn-Showdown, in dem Stewart viele Westernklassiker zitiert und mit seinem Close Up-Einsatz ganz besonders Sergio Leone huldigt, lässt der Regisseur sich geradezu ausufernd Zeit. Deutlich spürbar ist aber auch hier das Schielen auf eine milde Altersfreigabe, besonders blutig wird es in „Priest" nie.
Die bis in die Nebenrollen solide Besetzung schlägt sich tapfer, doch die eindimensionalen Figuren verhindern jegliche Form von komplexeren Charakterporträts. Paul Bettany, der bereits in „Legion" mit Stewart zusammenarbeitete, legt seinen wortkargen Kriegerpriester ganz wie in „The Da Vinci Code - Sakrileg" stoisch und gefühlskalt an – als hätte er Kurt Russell in „Star Force Soldier" beobachtet. Für mehr Leben soll der coole Sheriff sorgen, doch Schönling Cam Gigandet („Twilight") bleibt in der Rolle blaß. Einen unglücklichen Auftritt hat auch Karl Urban („Der Herr der Ringe") als Oberbösewicht Black Hat. Wie es der Rollenname andeutet, definiert er sich über seinen Hut, den er gerne tief ins Gesicht zieht – diabolischer macht ihn diese manierierte Geste aber nicht. Ganz peinlich ist seine Tanz- und Dirigiereinlage zu einem Massaker, bei dem auch noch Opernmusik erklingt. In kurzen Auftritten verbreitet immerhin Altstar Christopher Plummer („Das Kabinett des Dr. Parnassus") die richtige Klerus-Kälte, während Horror-Ikone Brad Dourif („Einer flog über's Kuckucksnest") als schmieriger Quacksalber sein diabolisches Charisma in die Waagschale werfen kann.
Trotz weniger Identifikationsmöglichkeiten und eines unterentwickelten Spannungsaufbaus unterhält der erstaunlich ironiefreie „Priest" ordentlich – allerdings schiebt sich im Laufe der Handlung der Predigergestus des Regisseurs immer mehr in den Vordergrund, was schon in „Legion" ansatzweise festzustellen war: Stewart lässt den gefallenen Priester im Film immer mehr zu seiner persönlichen kirchenunabhängigen Glaubensvorstellung finden. Und die ist nicht unproblematisch, denn hier kommen mehr als zweifelhafte Untertöne zum Ausdruck. Wer betet, wird im Kampf nicht nur mit Zusatzkräften belohnt, er kann sich auch zum wahren „Priester" entwickeln, und das sieht dann so aus: Als der Sheriff im Zug ein paar Löcher ins Dach schießt, und daraufhin ein paar Vampire verbrennen, raunt der Gotteskrieger ihm im ernsten Tonfall zu, er hätte das Zeug zu einem guten Priester. Das Weltbild des von Paul Bettany gespielten (Anti-)Helden unterscheidet sich in seiner abgründigen Kreuzritter-Moral letztlich nicht im Mindesten von dem des „bösen" Monsignores Orelas. Die Gleichsetzung ist insofern irritierend, als dass Stewart darüber einfach hinweggeht. Auch als kritisch zu verstehende Ansätze wie die Indianerreservate-Vampir-Analogie werden nicht klar herausgearbeitet. So bleibt die spirituell-ideologische Ebene des Films unausgegoren und die Chance auf mehr als nur ein ordentlich gemachtes B-Picture mit unklarer Botschaft ungenutzt.