Neben George A. Romero („Zombie - Dawn Of The Dead“) und Tobe Hooper („The Texas Chainsaw Massacre“) gehörte Wes Craven mit Werken wie „Das letzte Haus links“ und „Hügel der blutigen Augen“ zu den wesentlichen Protagonisten des neuen amerikanischen Horrorfilms der 70er Jahre. Wenngleich der Filmemacher seinem guten Ruf in der Folge nicht immer gerecht werden konnte, hat er auch den folgenden Dekaden - vor allem mit „Nightmare - Mörderische Träume“ (1984) und „Scream - Schrei!“ (1996) - seinen Stempel aufgedrückt. Im neuen Jahrtausend hat der Schöpfer solch stilbildender Genre-Klassiker längst den Status eines Altmeisters erreicht, was nicht zuletzt an den unzähligen Fortsetzungen und Remakes („A Nightmare on Elm Street“, „The Hills Have Eyes“) seiner Werke zu erkennen ist, an denen Craven selbst gelegentlich als Produzent oder Autor beteiligt war.
Gewalt und Politik: Untergrunderfolg mit „Das letzte Haus links“
Nachdem Wesley Earl Craven, der Sohn strenggläubiger Baptisten, in Baltimore seinen Studienabschluss in Philosophie und Literatur gemacht hatte, arbeitete er zunächst als Lehrer in New York. 1971 kam Craven schließlich zum Film und produzierte mit „Together - Die Lust zu zweit“ das Spielfilmdebüt von Sean S. Cunningham, der knapp zehn Jahre danach mit seinem Slasher „Freitag der 13.“ einen Horrorklassiker schuf. Bereits mit seinem ersten eigenen Film „Das letzte Haus links“, der auf derselben skandinavischen Ballade wie Ingmar Bergmans „Die Jungfrauenquelle“ basiert und als Mitbegründer des umstrittenen Subgenres "Rape And Revenge" gilt, gelang Wes Craven 1972 ein großer Underground-Erfolg: Zwei Hippie-Mädchen geraten an eine Gruppe brutaler Peiniger, die sie vergewaltigen und eines der Opfer ausweiden; kurz darauf suchen die Mörder ausgerechnet im Haus der hinterbliebenen Eltern Zuflucht – unter anderem mit einer Kettensäge und dem Abbeißen eines männlichen Geschlechtsorgans nimmt die Familie blutige Rache. Der kontrovers diskutierte Horrorfilm irritierte vor allem durch seinen kritischen Bezug auf den Vietnamkrieg und die expliziten Splatterszenen.
Kannibalen im Hinterland
Mit „Hügel der blutigen Augen“ untermauerte Wes Craven im Jahr 1977 diesen ersten Erfolg. Mehr noch als „Das letzte Haus links“ gilt der Horrorfilm um eine Familie, die im amerikanischen Hinterland in die Fänge mutierter Kannibalen gerät (in der deutschen Synchronisation sind es kurioserweise Außerirdische), als Meilenstein des modernen Horrorfilms, der sich zunehmend gesellschaftskritisch gab und oft die Gräuel des Vietnamkriegs sowie die atomare Bedrohung des Kalten Kriegs zur Heraufbeschwörung (amerikanischer) Ängste urbar machte. Auf den Horrorthriller „Tödlicher Segen“, in dem Sharon Stone ihre erste größere Rolle bestritt, folgte 1982 der klassisch inszenierte Gruselfilm „Das Ding aus dem Sumpf“, der weit gediegener daherkam als Cravens vorhergehende Werke.
„Eins, zwei... Freddy kommt vorbei!“
Seinen endgültigen Durchbruch schaffte Wes Craven 1984 mit dem Teenie-Horror „Nightmare - Mörderische Träume“, in dem Robert Englund als rachedurstiges „Pizzagesicht“ Freddy Krueger in die Träume von Highschool-Schülern eindringt, um sie zu töten. Unter anderem fiel Johnny Depp dem Schlitzer zum Opfer, wohingegen Heather Langenkamp dem ikonischen Monster als Final Girl den (vorläufigen) Garaus machte. „Nightmare - Mörderische Träume“ zog bislang sechs Fortsetzungen nach sich - das Crossover „Freddy Vs. Jason“ nicht eingerechnet -, von denen Craven aber nur „Freddy's New Nightmare“, persönlich inszenierte.
Jahre des Übergangs
Neben einigen Fernsehproduktionen, unter anderem inszenierte er sieben Episoden der Mystery-Serie „The Twilight Zone“, einer Neuauflage des TV-Klassikers, Mitte der 80er Jahre das „Hügel der blutigen Augen“-Sequel „Im Todestal der Wölfe“, das jedoch hinter den Erwartungen zurückblieb. Auf den Voodoo-Horror „Die Schlange im Regenbogen“ mit Bill Pullman folgten „Shocker“ und „Das Haus der Vergessenen“, zwei Filme, in denen Craven Splatterszenen und Gewaltexzesse mit einer mehr oder weniger starken Prise Humor garnierte und selbstparodistische Elemente einführte.
Die Hinwendung zur Postmoderne
Wes Cravens Filme waren schon früh durch eine Hang zur Selbst- bzw. Genreflexion gekennzeichnet, doch erst mit „Freddy's New Nightmare“, dem siebten Teil der „Nightmare On Elm Street“-Reihe von 1994, wurde diese Tendenz zum bestimmenden Merkmal. Der Regisseur verlieh seinem Schaffen mit dieser Hinwendung zur Postmoderne eine neue Dimension. Freddy Krueger, der im sechsten Film der Reihe, „A Freddy’s Finale“, vermeintlich endgültig besiegt wurde, bricht in diesem neuen Alptraum aus der Welt der Fiktion in die „Realität“ eines Filmdrehs ein: Die Franchise-Veteranen Heather Langenkamp, John Saxon und Robert Englund spielen sich selbst, während Freddy (natürlich ebenfalls Englund) sie bei der Arbeit zu einem neuen Horrorfilm terrorisiert. Für Wes Craven, der in einer kleineren Rolle ebenfalls als er selbst auftritt, bieten sich somit zahlreiche Gelegenheiten zur Selbstreflexion: Wenn Heather Langenkamp Freddy am Ende besiegt, indem sie mit Hilfe des Drehbuchs zum Film im Film ihre nächsten Schritte plant, ist das postmodernes Kino in Reinform. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Craven dann auch im satirischen Vampirhorror-Flop „Vampire in Brooklyn“ mit Eddie Murphy, in dem er offensiv mit Rassen- und Genre-Klischees spielte.
„Was ist dein Lieblings-Horrorfilm?“
Im Jahr 1996 lieferte Wes Craven mit „Scream – Schrei!“ schließlich den postmodernen Horrorfilm par excellence, der das verödete Genre der Teenie-Slasher ebenso wiederbelebte wie die ins Stocken geratene Karriere des Regisseurs. In beinahe jeder Szene des Überraschungserfolgs (Einspiel: 100 Millionen Dollar) finden sich Verweise auf kleine und große Klassiker des Horrorkinos. Doch damit nicht genug: In „Scream“ machten Wes Craven und Drehbuchautor Kevin Williamson („Dawson's Creek“) das Publikum zum Mitspieler, indem sie die Regeln und Klischees des Genres in einem selbstreflexiven Spiel offen legten. Ähnlich wie Freddy Krueger stieg der Mörder in der Munch-Maske rasch zur popkulturellen Ikone auf, ein Aufstieg, den auch die aus dem TV-Sektor rekrutierten Darsteller Neve Campbell, Courteney Cox, David Arquette und Liev Schreiber mehr oder weniger ausgeprägt erlebten. Besonders erwähnenswert ist noch der Kurzauftritt von Drew Barrymore, der schnell zum vielleicht bekanntesten Horrorfilm-Auftakt der Filmgeschichte wurde. Und wenn sich Neve Campbell alias Sidney Prescott beim Finale mit einem Fernsehgerät zur Wehr setzt, in dem ausgerechnet John Carpenters „Halloween“ läuft, dann beschließt Craven seinen modernen Horrorklassiker auch in überaus passender Weise.
Wes Craven nach dem Erfolg mit „Scream“
Während „Scream“ schnell zahlreiche Nachahmer fand und in „Scary Movie“ ausgiebig parodiert wurde, legte Wes Craven selbst 1997 und 2000 zwei Fortsetzungen vor. „Scream 2“ und „Scream 3“ erreichten zwar nicht ganz die Qualität des Originals, aber die meisten Trittbrettfahrer - von „Düstere Legenden“ bis „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ – ließen sie immer noch meilenweit hinter sich. Mit „Music of the Heart“ wechselte Craven zwischenzeitlich ins dramatische Fach, konnte mit der wahren Geschichte einer Musiklehrerin in East Harlem jedoch keinen nennenswerten Erfolg erzielen, wenngleich Hauptdarstellerin Meryl Streep eine Oscar-Nominierung erhielt. Nach diesem Ausflug in ungewohntes Terrain kehrte Craven mit dem Werwolf-Horror „Verflucht“ zu seinem Spezialgebiet zurück, die Reaktionen waren aber ähnlich wie zuletzt beim 3D-Teenie-Horror „My Soul To Take“ weitgehend negativ. Der dazwischen entstandene Psychothriller „Red Eye“ mit Rachel McAdams und Cillian Murphy hat zumindest seine Fürsprecher, auch wenn von einhelliger Zustimmung wiederum keine Rede sein kann. Erst beim langerwarteten „Scream 4“, mit dem Craven die Reihe in die Zeit von Facebook und Twitter überführte, zeigte der Regisseur wieder einiges von seiner alten Klasse.