Der Western steht Tommy Lee Jones ins Gesicht geschrieben: Die faltigen, herunterhängenden Gesichtszüge, die traurigen Augen mit dem oft grimmigen Blick und die rauen Lippen, auf denen sich manchmal ein herbes Lächeln formt, prädestinieren ihn für die Rolle des introvertierten Cowboys. Zu seinem Leidwesen – oder: zu unserem Glück - ist der 1,80 Meter große, gebürtige Texaner aber einige Jahrzehnte zu spät geboren, um sich neben Ikonen wie Clint Eastwood in die Riege der Westernheroen einzureihen. Populär wurde der mit dem Golden Globe und dem Oscar prämierte Ausnahmemime stattdessen als kompromissloser, sarkastischer Gegenspieler verschiedener Leinwandhelden in den erfolgreichen Actionvehikeln der Neunzigerjahre. Seitdem konnte sich Jones sowohl als Regisseur als auch als routinierter Charakterdarsteller in anspruchsvollen Haupt- und Nebenrollen profilieren.
Von Harvard nach „Harvard“
Tommy Lee Jones wurde am 15. September 1946 als Sohn eines Ölarbeiters und einer Polizistin in San Saba, Texas geboren. Der Knabe mit den walisischen und indianischen Wurzeln jobbte als Jugendlicher mit seinem Vater in den Ölfeldern, bis dieser die Familie verließ, um seiner Arbeit stattdessen im Ölstaat Libyen nachzugehen. Über ein Football-Stipendium gelangte Jones auf eine Eliteschule in Dallas und anschließend auf die Harvard-Universität, wo er sein Anglistik-Studium mit „cum laude“ abschließen würde. Zwischen 1966 und 1968 war er ein erfolgreicher Football-Spieler, der als Profi in das populäre Team der Dallas Cowboys hätte wechseln können. Doch Jones’ größte Leidenschaft galt seit seinen ersten Schauspielerfahrungen auf der Schul- und Universitätsbühne dem Theater und so schlug er das Angebot aus. Nach seinem Abschluss zog es ihn nach New York, wo er sich ohne eine professionelle Schauspielausbildung um Rollen am Broadway, im Fernsehen und beim Film bewarb. Zwischen den zahlreichen Nebenrollen im Theater und in Fernsehfilmen, gab Jones sein Kinodebüt mit einem Kurzauftritt als ein in Liebesdingen kundiger College-Kommilitone des Hauptdarstellers Ryan O'Neal in der von seinem früheren Harvard-Mitbewohner Erich Segal geschriebenen Beziehungstragödie „Love Story“.
Ein Durchbruch, der keiner war
Im Laufe der Siebziger- und Achtzigerjahre wechselte Tommy Lee Jones zwischen Rollen in Film und Fernsehen und erlangte erste Aufmerksamkeit mit der Darstellung unbequemer Charaktere in wenig beachteten Dramen. Auf die größere Fernsehrolle des Dr. Mark Toland in der beliebten ABC-Soap-Serie „One Life to Live“, aus der auch eine Freundschaft mit dem Kollegen Tom Berenger („Inception“) hervorging, folgten Rollen als Gefängnisflüchtling („Gefangen in Jackson County“), als Vietnam-Veteran („Der Mann mit der Stahlkralle“) und als Auto-Hersteller („Der Clan“). Jones spielte sogar eine Rolle in der Pilotfolge der 70er-Jahre-Kultserie „Drei Engel für Charlie“. Anfang der 1980er schien für Jones der große Durchbruch in Hollywood erstmals zum Greifen nah, als er für den Part eines Country-Sängers an der Seite der Oscar-prämierten Sissy Spacek in der Künstlerbiographie „Nashville Lady“ eine Golden-Globe-Nominierung und später einen Emmy für seine Hauptrolle als zum Tode verurteilter Mörder in dem vielbeachteten Fernsehfilm „The Executioner's Song“ nach dem gleichnamigen Roman von Norman Mailer erhielt. Doch Jones konnte im Anschluss seinen neuen Erfolg nicht weiter ausbauen und erlitt mehrere Kassenflops.
Der beste Nebendarsteller Hollywoods
Erst Ende der 1980er Jahre erlebte seine stagnierende Karriere wieder einen Aufschwung, als Tommy Lee Jones eine Emmy-Nominierung für die Hauptrolle als Texas Ranger in der sehr populären TV-Miniserie „Lonesome Dove“ an der Seite seines Freundes Robert Duvall erhielt. Zur selben Zeit arbeitete Jones erstmals mit Regisseur Andrew Davis zusammen, der ihn in dem Militärthriller „Die Killer-Brigade“ als Antagonist des Protagonisten Gene Hackman inszenierte. Nach einem weiteren Flop mit dem Fliegerdrama „Air Borne - Flügel aus Stahl“ neben Nicolas Cage und Sean Young, begann Jones’ endgültiger Siegeszug zum besten Nebendarsteller Hollywoods durch eine Reihe von kommerziell wie künstlerisch erfolgreichen Filmen, in denen er als Bösewicht brillierte. Für seine beängstigende Verkörperung des grauhaarigen Verschwörers Clay Shaw in Oliver Stones starbesetztem Politdrama „JFK - Tatort Dallas“ gab es die erste Oscar-Nominierung und für seine brillante Darstellung des Deputy Marshal Gerard, der sich in „Auf der Flucht“, nach „Alarmstufe: Rot“ bereits die dritte Zusammenarbeit mit Andrew Davis, auf die Fersen des unschuldigen Gefängnisflüchtlings Harrison Ford heftet, gab es darauf den hochverdienten Oscar als Bester Nebendarsteller.
Von Nebenrollen zu Hauptrollen
Im Anschluss an seinen endgültigen Durchbruch in Hollywood avancierte Tommy Lee Jones zum neuen Lieblingscharakterdarsteller von Regisseur Oliver Stone, der ihm zwei völlig unterschiedliche Nebenrollen als hypernervöser Gefängniswärter in seiner brutalen Mediensatire „Natural Born Killers“ und als sensibler, traumatisierter Vietnam-Veteran in seinem Nachkriegsdrama „Zwischen Himmel und Hölle“ anvertraute. Jones überzeugte in diesen beiden Filmen ebenso wie als durchgeknallter Psychopath in weit kommerzielleren Projekten wie dem Bombenleger-Thriller „Explosiv - Blown Away“, in dem er Cop Jeff Bridges terrorisierte, und der Comic-Verfilmung „Batman Forever“, wo er als Harvey Two-Face Dent neben Val Kilmer, Jim Carrey und Nicole Kidman chargierte. Allmählich wagte der fleißige Jones den Wechsel von hochkarätigen Nebenrollen in Schauspielerfilmen wie „Operation Blue Sky“ mit der Oscar-prämierten Jessica Lange und „Der Klient“ mit der Oscar-nominierten Susan Sarandon in immer größere Hauptrollen, die manchmal herausfordernd, wie beispielsweise die Rolle des brutalen Baseball-Spielers Ty Cobb in dem ambitionierten Biopic „Homerun“, aber häufig auch kommerzieller ausgerichtet und weniger anspruchsvoll waren.
Außerirdisches und Unterirdisches
Seinen größten Kassenhit hatte Tommy Lee Jones, der von sich selbst sagt, er habe keinerlei Sinn für Humor, mit Barry Sonnenfelds Science-Fiction-Action-Komödie „Men in Black“, in der er neben dem wild kaspernden Will Smith den erfahreneren Partner mit dem ausdruckslosen Gesicht und dem trockenen Humor spielt. Das skurrile Special-Effects-Spektakel und sein Sequel „Men in Black II“ machten aus Jones eines der bestbezahlten und meistgefragten Schauspieler Hollywoods. Jones profitierte von seinem neuen Image des Leading-Man, indem er in dem aufwendigen Katastrophenfilm „Volcano“ den Helden spielte und in dem Actionthriller „Auf der Jagd“, der Fortsetzung zu „Auf der Flucht“, von der Nebenrolle zur Hauptrolle wechselte. Über die nächsten Jahre wurde Jones zu einem verlässlichen, aber uninspirierten Auftragsmimen, der die Paraderolle des verbissenen Verfolgers in Thrillern wie „Doppelmord“ und „Die Stunde des Jägers“ ausfüllte, wo er Ashley Judd respektive Benicio Del Toro zusetzte. Seinen kreativen Tiefpunkt bildete die alberne Familienkomödie „Der Herr des Hauses“ mit Christina Milian, in der er einen knallharten Texas Ranger spielt, der sich zur Klärung eines Falles als Cheerleading-Coach ausgibt.
Liebe zum Western
Zum Jahrtausendwechsel wandte sich Tommy Lee Jones verstärkt dem Westerngenre zu. Bereits 1995 inszenierte und schrieb er den Fernsehfilm „Einmal Cowboy, immer ein Cowboy“, in der er die Hauptrolle eines Cowboys im Westen Texas‘ spielt, der melancholisch dem Ende seiner Ära entgegensieht. Nach Nebenrollen in Clint Eastwoods ironischem Weltraum-Western „Space Cowboys“ an der Seite von Eastwood, Donald Sutherland sowie James Garner, und in Ron Howards Spätwestern „The Missing“ als Cate Blanchetts Vater, gab Jones sein Kinodebüt als Regisseur mit dem modernen Westerndrama „Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“. Für seine englisch- und spanischsprachige Darstellung des Ranchbesitzers, der den Unfalltod seines mexikanischen Freundes rächt, erhielt der Mime den Darstellerpreis von Cannes. 2007 folgten hochkarätige Auftritte als leise sinnierender Sheriff in dem Neowestern „No Country For Old Men“ der Coen-Brüder Joel und Ethan, mit Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson und Kelly MacDonald als Mitstreiter, und als ein um den Tod seines Sohnes trauernder Vater neben Charlize Theron und Susan Sarandon in dem Krimi „Im Tal von Elah“, für den es die verdiente Oscar-Nominierung gab.
Zurück zu Altbewährtem
Für den Pay-TV-Sender HBO schrieb, produziert und inszenierte Tommy Lee Jones eine gleichnamige Adaption des Bühnenstücks „The Sunset Limited“ aus der Feder des „No Country For Old Men“-Autoren Cormac McCarthy, in der er sich als suizidgefährdeter Universitätsprofessor mit seinem Lebensretter, einem ehemaligen Gefängnisinsassen ein philosophisches Streitgespräch über den Sinn des Lebens liefert. 2011 war Jones dann in dem Rezessionsdrama „Company Men“ an der Seite von Kevin Costner, Ben Affleck, Maria Bello und Chris Cooper, und in der mit Spannung erwarteten Marvel-Comic-Adaption „Captain America - The First Avenger“ als militärischer Ausbilder der Titelfigur, gespielt von Chris Evans, zu sehen. 2012 folgte der dritte Teil der „Men in Black“-Reihe, in dem er neben Will Smith auch mit seinem häufigen Co-Star Josh Brolin auftritt, der als jüngere Version seiner Figur Agent K zu sehen ist.
Tommy Lee Jones ist in dritter Ehe mit der Kameraassistentin Dawn Maria Laurel verheirat und lebt fernab von Hollywood auf seinen Ranches in San Antonio, Texas, wo er Rinder und Ponys für sein geliebtes Polospiel züchtet. Er hat zwei Kinder aus seiner zweiten Ehe.