Als Barbra Streisand 2009 die Oscar-Bühne betrat, um den Preis für die beste Regiearbeit des Jahres zu vergeben, konnte sich die für ihr Irakkriegs-Drama „The Hurt Locker“ nominierte Kathryn Bigelow große Hoffnungen machen, als erste Frau in dieser von Männern dominierten Kategorie zu gewinnen. Schließlich mögen die Academy Awards symbolische Inszenierungen und wer wäre besser für die Preisvergabe geeignet gewesen als die vielseitige Filmemacherin Streisand, deren bisherige Nicht-Nominierung in dieser Kategorie als große Ungerechtigkeit angesehen wird. Dabei zählt die gebürtige New Yorkerin mit der prominenten Nase und dem leichten Silberblick bereits zwei Oscars unter ihren zahllosen Auszeichnungen. Mit weltweit weit mehr als 140 Millionen verkauften Tonträgern gilt die 1,65 Meter große Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Produzentin in Personalunion auch abseits der Filmbranche als gefeierter Megastar – dank ihres enormen Gesangstalents.
Von Brooklyn über den Broadway nach Hollywood
Barbara Joan Streisand ist die Tochter eines Grundschullehrers und einer Schulsekräterin und wuchs mit ihrem älteren Bruder Sheldon in einer jüdischen Familie in Williamsburg, einem Stadtteil von Brooklyn auf. Ihre Familie stammt ursprünglich aus Österreich, der Name Streisand geht zurück auf Streusand. Streisands Vater starb, als sie etwas mehr als ein Jahr alt war, und ihre Mutter heiratete ein weiters Mal. Bereits in jungen Jahren fiel Streisand durch ihre außergewöhnliche Stimme auf. Im Schulchor sang sie mit dem späteren Musiker Neil Diamond. Ein weiterer Jugendfreund war der zukünftige Schachweltmeister Bobby Fischer. Als Teenager jobbte Streisand als Nachtklubsängerin, ihr Traum war aber die Schauspielerei, weshalb sie sich um Theaterauftritte kümmerte. Den Durchbruch zur Fernsehpersönlichkeit schaffte sie jedoch Anfang der 60er Jahre aufgrund ihres Gesangs: Sie trat in populären Sendungen wie der Tonight Show und der Judy Garland Show auf und gewann 1964 gleich zwei Grammys für ihr Debütalbum. Streisands analog laufende Broadway-Karriere erreichte im selben Jahr auch ihren Höhepunkt durch die Rolle der Fanny Brice in dem Erfolgsmusical „Funny Girl“, der ihr den Weg nach Hollywood ebnete.
Vom Broadway-Star zur Oscar-Gewinnerin
Zu Beginn ihrer Karriere entschied sich Barbra Streisand, die ihren ursprünglichen Namen Barbara immer verkürzt angab, weil sie ihn nicht ausstehen konnte, trotz Anraten ihrer Agenten gegen eine verschönernde Nasenoperation. Zum einen wollte sie sich dem Schönheitsideal der Unterhaltungsindustrie nicht beugen, zum anderen befürchtete sie durch den Eingriff ihre einzigartige Stimme zu verlieren. Sie sollte recht behalten, denn gleich ihr Kinodebüt mit William Wylers Hollywood-Musical „Funny Girl“, der gleichnamigen Verfilmung ihres Broadway-Hits, brachte der unkonventionellen Leading Lady 1969 den Golden Globe und den Oscar als beste Hauptdarstellerin ein. Der Erfolg der jungen Quereinsteigerin schockte die Branche, da sich in dem Jahr Hollywood-Veteranin Katherine Hepburn (für „Der Löwe im Winter“) den Schauspielpreis mit der Newcomerin teilen musste – eine Seltenheit in der Oscar-Geschichte. Der kommerzielle und künstlerische Erfolg des Musicals wurde begleitet von Set-Reportagen, dass es sich bei Streisand um eine schwierige Diva handle, die den Regisseur oft zur Weißglut trieb. Doch Streisand machte unberirrt weiter und wurde zur letzten Hoffnung des allmählich absterbenden Musical-Films.
Screwball Comedies, Liebesmelodramen und der zweite Oscar
Nach Hauptrollen in zwei Musicals, inszeniert von legendären Regisseuren des immer weniger erfolgreichen Genres (neben Walter Matthau in „Hello, Dolly!“ von Musical-Urgestein Gene Kelly und neben Yves Montand in „An einem Sonntag ohne Wollen“ von Vincente Minnelli) Ende der 60er Jahre, spielte Barbra Streisand in Herbert Ross‘ romantischer Komödie „Die Eule und das Kätzchen“ neben George Segal. Einen weiteren Kassen- und Kritikererfolg landete sie mit Peter Bogdanovichs turbulenter, mit Ryan O’Neal besetzte Screwball-Comedy „Is‘ was, Doc?“, die an Howard Hawks Kultfilm „Leoparden küsst man nicht“ mit Cary Grant und Katherine Hepburn angelehnt war. Streisand ließ daraufhin weitere Screwball-Komödien wie „Bei mir liegst du richtig“ (1974) und „Was, du willst nicht?“ (1979, ebenfalls mit Ryan O’Neal als Sparring-Partner) folgen. Mehr Erfolg war ihr in den 1970er Jahren jedoch durch dramatische Filme wie den sentimentalen Tränendrücker „So wie wir waren“ an der Seite von Robert Redford und unter der Regie von Melodram-Spezialist Sydney Pollack beschienen. Für ihr starkes Spiel gab es eine weitere Oscar-Nominierung, den Preis bekam sie aber für den besten Song (für „A Star Is Born“).
A Director Is Born
In Folge des kommerziellen Misserfolgs von „Was, du willst nicht?“ Ende der 70er Jahre und ihrer ungleich erfolgreicheren Bühnenkarriere als Sängerin, hat Barbra Streisand seit Anfang der 80er nur noch an wenigen Filmprojekten mitgearbeitet. Sie war immer schon dafür bekannt gewesen, wählerisch zu sein (sie lehnte etwa die später Oscar-prämierten Hauptrollen in Alan J. Pakulas Psychothriller „Klute“ und in Bob Fosses Kultmusical „Cabaret“ ab). Doch fortan würde sie nur noch in ihren eigenen Produktionen mitwirken. Ein erster großer Achtungserfolg als Regisseurin, Drehbuchautorin, Produzentin und Schauspielerin gelang ihr mit der romantischen Verwechslungskomödie „Yentl“, für die sie viel Kritikerlob einsackte und gar den Golden Globe für die beste Regie gewann. Eine Oscar-Nominierung in derselben Kategorie wurde ihr jedoch verweigert, was der Academy Sexismusvorwürfe einbrachte. Für den Part eines jungen jüdischen Mädchens, das sich als Mann ausgibt, um den Talmud zu studieren, gab es stattdessen eine amüsante Nominierung für die Goldene Himberre als schlechtester männlicher Schauspieler. Streisand fuhr fort, mit ihrer eigenen Produktionfirma Barwood Films ihre Traumprojekte zu realisieren.
Traumprojekte und Gastauftritte
Nach einer eindrucksvollen schauspielerischen Vorstellung als hysterisches Missbrauchsopfer in dem Justizdrama „Nuts… Durchgedreht“ an der Seite von Richard Dreyfuss, inszenierte Barbra Streisand mit „Herr der Gezeiten“ ihren zweiten Film. In der Adaption des gleichnamigen Romans von Pat Conroy gibt Nick Nolte den traumatisierten Nachfahren einer dysfunktionalen Südstaaten-Familie, der zum Wohl seiner Schwester mit deren Psychiaterin (Streisand) redet und sich in sie verliebt. Das Liebesdrama avancierte zu einem enormen Kassen- und Kritikererfolg und erhielt unter anderem eine Oscar-Nominierung für den besten Film. Streisand selbst ging wieder leer aus, was Oscar-Moderator Billy Crystal mit den Worten kommentierte: „Leider wurde ich nicht für die beste Regie nominiert. Liegt wohl daran, dass ich eine Frau bin.“ 1996 drehte Streisand mit der romantischen Komödie „Liebe hat zwei Gesichter“ mit Jeff Bridges als Leading Man ihre dritte Regie-Arbeit. Sie spielt eine wenig attraktive Lehrerin, die einen Kollegen aus praktischen Gründen heiratet und ihn dann zu verführen versucht. Seitdem war sie nur noch als Ben Stillers schräge Mutter in den zwei Familienkomödien „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“ (2004) und „Meine Frau, unsere Kinder und ich“ (2010) neben Schauspiel-Urgesteinen wie Robert De Niro und Dustin Hoffman auf der Leinwand zu sehen.
Barbra Streisand, die privat auf den Spitznamen Babs hört, war von 1963 bis 1971 mit ihrem Schauspielkollegen Elliott Gould („M.A.S.H.“) verheiratet. Aus der Ehe ging ein Sohn, Jason Gould, hervor, der als Jugendlicher Streisands Sohn in „Herr der Gezeiten“ spielte. 1998 ehelichte Streisand ein zweites Mal und wurde die Frau des Kollegen James Brolin („Catch Me If You Can“) und damit auch die Stiefmutter von Josh Brolin („No Country for Old Men“).