Seine bislang größten Erfolge feierte der taiwanisch-stämmige Regisseur Ang Lee mit dem schon jetzt zum Klassiker avancierten Martial-Arts-Drama „Tiger & Dragon“ und der vielfach diskutierten Liebestragödie „Brokeback Mountain“, die dem Filmemacher 2006 einen Regie-Oscar einbrachte. Doch bereits früher in seiner Karriere machte Lee mit Filmen wie „Eat Drink Man Woman“ oder der Jane-Austen-Adaption „Sinn und Sinnlichkeit“ auf sich aufmerksam und ist seit Jahren Stammgast bei den großen Filmfestivals – neben zahlreichen weiteren Preisen nahm Ang Lee zwei Goldene Bären und zwei goldene Löwen entgegen.
Filmstudium in Taipeh, Illinois und New York
Seine Jugend verbrachte Ang Lee in mehreren Städten seines Geburtslandes Taiwan. In Taipeh schloss der zunächst an der Schauspielerei interessierte Sohn chinesischer Emigranten ein Theater- und Filmstudium ab, bevor er 1978 in die USA übersiedelte und an der Universität von Illinois einen Bachelor in Theaterwissenschaft und -regie machte – 1985 legte Lee an der Universität von New York schließlich einen Master in Film- und Theaterproduktion nach. Während des Studiums in New York assistierte der angehende Regisseur beim Abschlussfilm seines Studienkollegen Spike Lee, bevor sein eigener Abschlussfilm „Fine Line“ beim Filmfestival der New Yorker Universität zweifach ausgezeichnet wurde. Dennoch konnte der in seiner Wahlheimat USA lebende Ang Lee nach Studienende zunächst keine eigenen Filmprojekte ankurbeln, bis er 1992 einen in Taiwan ausgeschriebenen Drehbuchwettbewerb gewann und mit „Schiebende Hände“ seinen ersten Spielfilm auf den Weg brachte.
Erste internationale Erfolge
Ang Lees Debütfilm „Schiebende Hände“ (1992) bildet den Auftakt einer thematisch zusammenhängenden Trilogie, die mit „Das Hochzeitsbankett“ (1993) und „Eat Drink Man Woman“ (1994) fortgesetzt wurde und wegen der wiederkehrenden Hauptfigur eines Familienvaters (jeweils gespielt von Sihung Lung) unter dem Titel „Father Knows Best“ bekannt ist. Wie in vielen späteren Filmen Ang Lees spielt der Konflikt zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellen Wünschen eine zentrale Rolle in den US-amerikanisch-taiwanischen Koproduktionen. In „Schiebende Hände“ bezieht ein chinesischer Vater die New Yorker Wohnung seines Sohnes und dessen Ehefrau, was zu einigen Turbulenzen im gemeinsamen Haushalt führt. Der Film wurde in Taiwan mit einigen Filmpreisen bedacht und ermöglichte Lee das Folgeprojekt „Das Hochzeitsbankett“. Die Komödie handelt von einem homosexuellen Taiwaner, der in den USA lebt und für den Seelenfrieden seiner Eltern eine Zweckehe mit einer Bekannten arrangiert – Verwirrungen sind vorprogrammiert, als die aus Taiwan angereisten Eltern an den Hochzeitsvorbereitungen partizipieren wollen. Bei der Berlinale 1993 erhielt die erfolgreiche Komödie den Goldenen Bären und heimste zudem eine Oscar-Nominierung ein, was Ang Lee auch außerhalb von Taiwan größere Aufmerksamkeit bescherte. Mit „Eat Drink Man Woman“ schloss Ang Lee seine Trilogie im Jahr darauf ab: Erneut handelt der Film von familiären Konflikten, wobei die Beziehung eines Vaters zu seinen drei Töchtern im Mittelpunkt steht. Besondere Sorgfalt legte Ang Lee bei der Inszenierung der vielen Kochszenen an den Tag: Wiederholt sitzt die Familie nach dem gemeinsamen Kochen am Essenstisch und bespricht ihre Probleme.
Amerikanische Produktionen
Der Erfolg seiner ersten Langfilme eröffnete Ang Lee die Möglichkeit, größere Filmprojekte zu realisieren. Mit der in Großbritannien gedrehten Jane-Austen-Verfilmung „Sinn und Sinnlichkeit“ (Drehbuch: Emma Thompson), inszenierte der Taiwaner im Jahr 1995 seine erste englischsprachige Produktion. Die mit Emma Thompson, Kate Winslet, Hugh Grant und Alan Rickman starbesetzte Romanze gewann den Golden Globe als bestes Drama und den Goldenen Bären auf der Berlinale. Bei der Oscar-Verleihung 1996 brachte es „Sinn und Sinnlichkeit“ auf stolze sieben Nominierungen, erhielt jedoch nur die Auszeichnung für das Beste Drehbuch. Auf den aufwändig ausgestatteten Kostümfilm ließ Ang Lee das Independent-Drama „Der Eissturm“ mit Kevin Kline, Joan Allen, Sigourney Weaver, Tobey Maguire, Christina Ricci und Elijah Wood folgen. Das in den Siebzigerjahren angesiedelte Familiendrama feierte seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes, wo es für eine Goldene Palme nominiert war und letztlich für das Beste Drehbuch prämiert wurde. Mit dem Bürgerkriegsdrama „Ride With The Devil“ (1999) thematisierte Lee erneut die amerikanische Geschichte: Der mit Tobey Maguire und Skeet Ulrich besetzte Film stieß bei der Kritik auf geteilte Meinungen.
„Tiger and Dragon“
Einhellig positiv wurde Ang Lees folgende Regiearbeit aufgenommen: Das Martial-Arts-Drama „Tiger & Dragon“ (2000) mit Chow Yun-Fat, Michelle Yeoh und Zhang Ziyi entwickelte sich zum bis dahin erfolgreichsten Projekt des Filmemachers. Das visuell aufregende Meisterwerk heimste unter anderem zwei Golden Globes und – nebst drei weiteren Goldjungen – den Oscar für den besten fremdsprachigen Film ein. Neben der märchenhaften Geschichte mit ihren beeindruckenden Landschaftsaufnahmen sowie den plastischen Figuren begeisterte vor allem die Kampf-Choreografie des Hongkongkino-Urgesteins Woo-Ping Yuen, der bereits im Jahr zuvor die Duelle aus „Matrix“ entworfen hatte. In aller Regel als Enttäuschung wurde Ang Lees folgendes Projekt „Hulk“ (2003) aufgenommen, in dem Eric Bana die Figur des Bruce Banner verkörpert. Doch wenngleich der Film nicht vollends überzeugt, so ist die Herangehensweise Lees an die Umsetzung eines Comics für die Leinwand doch nicht gänzlich uninteressant: Immer wieder arbeitet Lee mit Splitscreens und Perspektivwechseln, um die erzählerischen Eigenheiten der Comicvorlage ins Kinobild zu übersetzen.
Schwule Cowboys
Auf den actionreichen „Hulk“ ließ Ang Lee 2005 das besonnene (Spätwestern-)Drama „Brokeback Mountain“ folgen, in dem zwei moderne Cowboys (Heath Ledger und Jake Gyllenhaal) eine heimliche Liebesbeziehung führen. Für den erfolgreichen Film erhielt Ang Lee unter anderem einen Regie-Oscar und einen Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Nach dem neuerlichen Erfolg auf internationaler Ebene realisierte Ang Lee eine asiatische Produktion: Der zur Zeit der japanischen Besetzung in China spielende Thriller „Gefahr und Begierde“ (2007) mit Wei Tang und Tony Leung Chiu Wai brachte seinem Regisseur einen zweiten Goldenen Löwen ein. Lees folgender Film, der 2009 in Cannes uraufgeführte „Taking Woodstock“, thematisierte mit dem berühmten Festival von 1969 wiederum ein Stück amerikanischer Geschichte – seinem Muster, zwischen asiatischen und amerikanischen Produktionen zu wechseln, blieb Ang Lee die gesamten Nullerjahre über treu.
Im Dezember 2012 startet das Abenteuerdrama „Life Of Pi“ in den deutschen Kinos, in dem Tobey Maguire und Gérard Depardieu mitwirken.