Über wieviel Ausstrahlung und Überzeugungskraft Javier Ángel Encinas Bardem als Schauspieler verfügt, ist spätestens mit seiner Rolle als Anton Chigurh im Coen-Hit „No Country For Old Men“ deutlich geworden: Wievielen Darstellern außer ihm gelingt es wohl, trotz eines durch und durch kompromittierenden Prinz-Eisenherz-Haarschnitts derart dämonisch und furchteinflößend zu wirken? Obwohl Bardem 2008 für diese bemerkenswerte Leistung mit dem Golden Globe und mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ist der Spanier nicht auf den Part des Bösewichts festgelegt. Im Gegenteil: Seit seinen Karriereanfängen in den frühen neunziger Jahren hat Javier Bardem zahlreiche sehr unterschiedliche Rollen übernommen. Er gab den muskulösen Lover in „Lust auf Fleisch“, verkörperte einen Querschnittsgelähmten in „Das Meer in mir“ und spielte den Inquisitor Lorenzo in „Goyas Geister“. Diese Bandbreite ist das Resultat der konsequenten Weigerung, sich typisieren und vereinnahmen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb genießt Javier Bardem mittlerweile den Ruf, einer der herausragenden Charakterdarsteller des Weltkinos zu sein.
Schauspieler auf dem zweiten Bildungsweg
In Anbetracht seines familiären Hintergrunds scheint Javier Bardems Weg im Rückblick von Anfang an vorgezeichnet gewesen zu sein. Bereits seine Großeltern Rafael Bardem und Matilde Muñoz Sampedro waren Schauspieler und auch Mutter Pilar Bardem spielte mit großem Erfolg in spanischen und internationalen Filmproduktionen wie etwa „Sex aus Mitgefühl“ und „Hexe Lilli - Der Drache und das magische Buch“, gemeinsam mit ihrem Sohn ist sie in Pedro Almodóvars „Live Flesh - Mit Haut und Haar“ zu sehen. Javier Bardem entschied sich trotz der familiären Vorprägung zunächst gegen die Schauspielerei, er studierte Malerei an der Escuela de Artes y Oficios und machte sich zudem als Rugbyspieler einen Namen – zeitweise gar in der spanischen Nationalmannschaft. Doch wie es mit wahren Berufungen nun einmal ist, kam Bardem letztlich doch noch zum Film.
Schlüpfrige Anfänge
Die ersten Rollen des jungen Darstellers waren betont freizügig, das gilt insbesondere für seine Auftritte in den Filmen des spanischen Regisseurs Bigas Luna. Den Anfang machte 1990 das Erotikdrama „Lulu – Die Geschichte einer Frau“, das die sexuelle Selbstentdeckung der jungen Protagonistin schildert. Es folgten „Golden Balls“ und vor allem „Lust auf Fleisch", der mit einem Goya und dem Silbernen Löwen für die Regie prämiert wurde. In dem Film spielt Bardem an der Seite von Penélope Cruz einen testosteronstrotzenden Amateur-Stierkämpfer und beweist damit schon früh sein Faible für abseitige, exzentrische Rollen. Der Mime ließ sich fortan entsprechend nicht auf den Typus des heißblütigen Lovers festlegen und lehnte diesbezügliche Rollenangebote auch gelegentlich ab – seine künstlerische Integrität war ihm wichtiger. So übernahm er zunehmend Parts für die renommierten Regisseure seiner Heimat wie Pedro Almodóvar („Live Flesh“), Álex de la Iglesia („Perdita Durango“) oder später Fernando León de Aranoa („Montags in der Sonne“).
Welcome to America
Javier Bardems Eigensinn und seine Selektivität sollten sich bald auch auf internationaler Ebene auszahlen. Im Drama „Bevor es Nacht wird“, das sich mit der Biographie des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas auseinandersetzt, spielte er im Jahr 2000 die Hauptrolle. Regie führte der renommierte New Yorker Künstler Julian Schnabel, neben Javier Bardem wirkten auch Größen wie Johnny Depp und Sean Penn mit. Damit rückte der Spanier in den Fokus der amerikanischen Filmindustrie, eine Entwicklung, die vor allem durch die Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller unterstrichen wurde. Folgerichtig erhielt Bardem kurz darauf die Hauptrolle in John Malkovichs Regiedebüt „Der Obrist und die Tänzerin“, 2004 schließlich spielte er Alejandro Amenábars „Das Meer in mir“ den querschnittsgelähmten Ramón Sampedro, eine Rolle, die er bis als seine bislang schwierigste bezeichnet und die ihm unter anderem einen Europäischen Filmpreis und seinen bereits vierten Goya einbrachte.
Internationales Renommee und Mainstream-Erfolg
Weitere große Engagements folgten: Im düsteren Inquisitionsdrama „Goyas Geister“ von Regie-Legende Milos Forman spielte Javier Bardem 2006 den Mönch Lorenzo, einen Opportunisten in der epochalen Umbruchsphase zur Säkularisierung Westeuropas, danach übernahm er eine Hauptrolle in der Literaturverfilmung „Die Liebe in Zeiten der Cholera“. Bereits ein Jahr später folgte jene Rolle, die das Mainstream-Publikum wohl in der Hauptsache mit Javier Bardem verbindet, nämlich der Part des eiskalten Killers Anton Chigurh in „No Country For Old Men“, der den Zuschauern mit Pilzhaarschnitt und Bolzenschussgerät das Fürchten lehrte. Gerade in der Summe seiner schauspielerischen Leistungen erscheint der Oscar, den Bardem für diese Darstellung erhielt, verdient und längst überfällig. Einen weiteren Traum konnte sich der Spanier bereits im darauffolgenden Jahr erfüllen: Eine Zusammenarbeit mit Woody Allen im Zuge der erotischen Komödie „Vicky Cristina Barcelona“. Einiges Kopfschütteln brachte ihm dagegen seine Rolle im esoterischen Totalausfall „Eat Pray Love“ mit Julia Roberts ein, in dem er 2010 mitwirkte. So erscheint es fast wie eine groteske Betonung seiner Vielseitigkeit, dass Bardem noch im gleichen Jahr in einer ungleich anspruchsvolleren Produktion mitspielte, und zwar in „Biutiful“, einem weiteren Meisterwerk des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Inárritu, für das Bardem dann auch prompt seine dritte Oscar-Nominierung erhielt.
Was die Zukunft bringt
Javier Bardem ist weiterhin vielbeschäftigt und wird mit einer ganzen Reihe von interessanten Filmen in Verbindung gebracht. So wird er wohl in einem noch unbenannten Projekt des Regisseurs Terrence Malick an der Seite von Ben Affleck und Rachel McAdams zu sehen sein. Gerüchte bringen ihn auch mit dem nächsten Bond-Film in Verbindung und noch spannender ist vielleicht, dass Bardem als Favorit für die Rolle des Roland in der Verfilmung von Stephen Kings gewaltigem Fantasy-Epos „Der dunkle Turm“ gilt – der kantige Charismatiker wäre in der Rolle des Revolvermanns sicher die Idealbesetzung.
Bei aller Skepsis gegenüber Hollywood und Starkult im Allgemeinen führt Javier Bardem doch eine waschechte Promi-Ehe: 2010 heiratete er seine Schauspieler-Kollegin Penélope Cruz auf den Bahamas.