Wer wüsste schon, dass Ladislav Loewenstein der vielleicht größte deutsche Schauspieler des 20. Jahrhunderts war? Charlie Chaplin nannte ihn seinerzeit gar den „besten Schauspieler der Welt“, aber selbst unter seinem Künstlernamen Peter Lorre (ein Anagramm von Rolle) ist sein Schaffen und vor allem sein Können nur wenigen ein Begriff. Wer ihn doch kennt, dann entweder für seine erstaunliche und buchstäblich wahnsinnige Darstellung des Kindermörders Hans Beckert in Fritz Langs Geniestreich („M - Eine Stadt sucht einen Mörder“) oder für seine Auftritte in obskuren B-Movies aus den Fünfzigern und Sechzigern wie „The Story of Mankind“ oder „Hell Ship Mutiny“. Dabei drehte Lorre mit fast allen Regiegrößen seiner Epoche: Alfred Hitchcock, John Huston, Joseph L. Mankiewicz, Michael Curtiz, Don Siegel… Der Mann mit der fesselnden Stimme und den großen traurigen Augen entwickelte sich vor allem in den Vierzigern zum „scene stealer“, der die Darsteller aus der ersten Hollywood-Riege bei seinen Auftritten regelmäßig in den Schatten stellte. Noch heute ist sein herausragender Ruf in den USA wesentlich präsenter als hierzulande.
Lehrjahre im Theater
László (oder auch Ladislav) Loewenstein wurde am 26. Juni 1904 im ungarischen Rózsahegy geboren. Schon in der Grundschule machte er erste Schauspielerfahrungen. Die Familie ist nach dem Tod der Mutter 1913 nach Wien gezogen, wo László um 1920 als Bankangestellter arbeitete. Über das Improvisationstheater Jakob Levy Morenos entdeckte er die pulsierende Welt des Schauspiels für sich, und Anfang der Zwanziger nahm er seinen Künstlernamen Peter Lorre an. In den Folgejahren bespielte er die Bühnen Wiens, Breslaus, Zürichs und Hamburgs. Ende des Jahrzehnts kam er dann er in die damalige Welthauptstadt der Künste: Berlin. Er machte Erfahrungen im konventionellen wie im experimentellen Theater, in Stücken von Schiller, Ibsen, Büchner, von Horvath – und Bertolt Brecht. Als dessen Lieblingsschauspieler verband beide eine über die Arbeit hinausgehende tiefe Freundschaft bis zu Brechts Tod 1956.
Plötzlich Filmstar
1931 wollte „Metropolis“-Regisseur Fritz Lang Peter Lorre unbedingt für seinen ersten Tonfilm „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ engagieren. Der Schauspieler, der zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Kino-Erfahrung hatte, stimmte schließlich zu. Das gemeinsame Meisterwerk, das den bevorstehenden gesellschaftlichen Zusammenbruch in Deutschland erahnen lässt, verhilft beiden Künstlern zu Weltruhm. Peter Lorres Darstellung als Kindermörder Beckert, der muss, weil er nicht anders kann, ist in ihrem Ausdruck somnambuler, zwanghafter Bestialität einzigartig. Einige erfolgreiche Kinoauftritte später war es mit der neuen Karriere für Lorre schon wieder vorbei, denn nur wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte der Jude Loewenstein mit den berühmten, auf seine Rolle in „M“ anspielenden Worten „Für zwei Mörder wie Hitler und mich ist in Deutschland kein Platz.“
Im Exil – Alleskönner und Szenendieb
Nach einem Zwischenstopp in Paris folgte Peter Lorre 1934 dem Ruf Alfred Hitchcocks, der ihn für „Der Mann, der zuviel wußte“ an Bord holte. Im Jahr darauf zog Peter Lorre in die USA, wo er schon bald erste Erfolge feiern konnte, unter anderem mit der außerordentlich populären B-Film-Serie „Mr. Moto“. Doch erst die Vierziger sollten zu seiner Glanzzeit werden. In zumeist zwielichtigen Nebenrollen stahl er ein ums andere Mal den Leading Men die Show. Neben dem minimalistischen Humphrey Bogart agierte er in den Klassikern „Die Spur des Falken“ und „Casablanca“, in „Arsen und Spitzenhäubchen“ brillierte er an der Seite Cary Grants als zwielichtiger Dr. Einstein. Doch dann ging Lorres eigene Produktionsfirma bankrott, er wurde öffentlich verdächtigt, Kommunist zu sein und hatte mit einer sich verschlimmernden Morphiumsucht zu kämpfen. Schließlich kehrte er 1949 nach Deutschland zurück.
Der Verlorene und Vergessene
Mit seinem Regiedebüt „Der Verlorene“ von 1951, für das er auch als Hauptdarsteller und Autor fungierte, positionierte sich Peter Lorre klar zum Umgang mit Nazis in der jungen BRD. Es war der erste Film nach Kriegsende, an dessen Schluss ein Nazi gerichtet wurde. Von der Kritik verrissen und vom Publikum gemieden, ist Lorres mit überragenden Darstellern brillant inszenierter Film rückblickend der wohl wichtigste des deutschen Nachkriegsjahrzehnts. Wie Lorre, nach dem Kinostart in München im Hotel hausend, vergeblich auf Anrufe und Anfragen wartete und in Vergessenheit geriet, ist ein dunkles Kapitel der deutschen Filmgeschichte. Vollkommen niedergeschlagen kehrte Lorre seinem Heimatland erneut den Rücken und ging wieder in die USA. Die Zeiten hatten sich geändert. Lorre kam in unwürdigem TV-Schund unter, nur selten unterbrochen von Filmen wie John Hustons „Schach dem Teufel“ oder „20.000 Meilen unter dem Meer“ an der Seite Kirk Douglas’. Davon abgesehen musste der Ausnahmekönner sich nun in Massenfilmware verdingen und es waren nur noch zarte Andeutungen seiner Fähigkeiten zu erkennen. Peter Lorre starb am 23. März 1964 an einer Gehirnblutung.