Manchen ist das Talent eben doch in die Wiege gelegt: Vanessa Redgrave, weltberühmte Schauspielerin und Trägerin zahlreicher künstlerischer Auszeichnungen wurde in eine Schauspieler-Dynastie hineingeboren, erhob sich jedoch schon früh aus dem Schatten ihrer berühmten Verwandten und überzeugte auf Leinwand und Bühne mit Können, Charme und Eleganz. Die Britin zählt zu den echten Charakterköpfen im schnelllebigen Filmgeschäft und macht nicht nur durch ihre Arbeit, sondern auch durch ihr privates politisches Engagement von sich reden. Ein Star, der seine Meinung nicht dem Karrierewohl unterordnet, eine Vollblut-Schauspielerin, die kontroverse Rollen dem Dasein als gewinnbringender Publikumsliebling vorzieht: Das ist Vanessa Redgrave.
Der Spross einer Schauspieler-Dynastie
Vanessa Redgrave wurde am 30. Januar 1937 im Londoner Stadtteil Greenwich geboren. Vanessas Eltern Michael Redgrave und Rachel Kempson, beide selbst Schauspieler, ließen ihrer ältesten Tochter eine Ballett-Ausbildung zuteilwerden, bevor Vanessa sich entschloss, dem Beispiel ihrer Eltern zu folgen und sich an der Central School of Speech and Drama einschrieb. Der erste Schritt in Richtung Schauspiel-Karriere war getan und als Vanessa 1958 ihre Ausbildung beendete, erfolgte sogleich ein Engagement am Theater. Doch nicht nur der älteste Spross der Redgrave-Familie begeisterte sich für das Schauspiel, auch Vanessas jüngere Geschwister Lynn (1943 – 2010) und Corin (1939 – 2010) verschrieben sich wie ihre Eltern der darstellenden Kunst und bauten sich veritable Karrieren als Schauspieler auf.
Ein Commander auf der Bühne
In ihren ersten Auftritten auf der Bühne und vor der Kamera spielte Vanessa Redgrave an der Seite ihres Vaters, es war jedoch nicht dessen Prominenz, die Redgrave Publikums-Zuspruch und Kritikerlob sicherte, sondern ihr eigenes enormes Talent, das schon in ihren frühesten Rollen deutlich in Erscheinung trat. Am Theater glänzte die britische Mimin unter anderem als Imogen in William Shakespeares „Cymbeline“ und trat 1961 der renommierten Theatergruppe Royal Shakespeare Company bei. Ihr Herz für den Kinofilm entdeckte Redgrave jedoch erst später. Zwar trat sie bereits 1958 in dem Drama „Hinter der Maske auf“, in dem ihr Vater die Hauptrolle spielte, widmete sich dann jedoch fast ausschließlich dem Theater, bis es sie 1966 erneut vor die Kamera einer Kinofilm-Produktion zog. Das jahrelange Feilen an ihrer Kunst auf den Bühnen dieser Welt hatte sich letzten Endes ausgezahlt: Für ihre Rolle als Ehefrau eines verrückten Künstlers in der fantasievollen Komödie „Protest“ von Karel Reisz wurde Redgrave für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert und in Cannes mit dem Darsteller-Preis ausgezeichnet. Eine weitere Ehrung erfuhr Redgrave auch auf ganz anderem Gebiet: 1967 wurde sie von der britischen Regierung in den Rang eines Commanders des Order of the British Empire erhoben. Damit befindet sie sich unter anderem in der Gesellschaft von Schauspielern wie Ian McKellen, Deborah Kerr und Ben Kingsley. Eine Ernennung zum Dame Commander lehnte die Schauspielerin 1999 jedoch angeblich ab.
Rasanter Aufstieg zum Kritikerliebling
In den folgenden Jahren war Vanessa Redgrave in zahlreichen preisgekrönten Produktionen zu sehen und entwickelte sich zum gefragten Star und Kritiker-Liebling. Ihr Auftritt als heimlich fotografierte Schönheit in Michelangelo Antonionis Sixties-Drama „Blow Up“ von 1966 machte sie einem breiten Kinopublikum bekannt. Als Isadora Duncan in der Künstler-Biographie „Isadora“ tanzte sich Vanessa Redgrave 1968 in die Herzen der Oscar-Jury und wurde als beste Hauptdarstellerin nominiert. Sie war die heldenhafte Andromache in „Die Trojanerinnen“ (1971) und die Königin Schottlands im Historien-Drama „Maria Stuart, Königin von Schottland“ (1971). Für letztere Rolle erhielt die Mimin erneut eine Oscar-Nominierung. In Sidney Lumets „Mord im Orient Express“ gab sie 1944 die Zugreisende Mary Debenham. 1978 wurde Vanessa Redgraves Karriere dann tatsächlich mit einem Oscar gekrönt. Für ihre Rolle in dem Drama „Julia“ von 1977, in dem sie eine auf Grund ihrer antifaschistischen Einstellung von den Nazis verfolgte Frau spielte, erhielt sie den Preis als beste Nebendarstellerin.
Die Oscar-Kontroverse
Zugleich führte diese Auszeichnung aber zu einer Kontroverse während der Oscar-Verleihung 1978. Vor den Türen der Feierlichkeiten protestierten Mitglieder der Jewish Defense League, da sie Redgraves Mitwirken an dem Dokumentar-Film „The Palestinians“ und ihren Einsatz für die Palästinenser verurteilten. Vanessa Redgrave nutzte ihre Dankesrede während der Zeremonie für ein politisches Statement und dankte den Mitgliedern der Academy, ihr den Preis trotz zuvor ergangener Todesdrohungen zuzusprechen. Auch in anderen politischen Belangen hielt die engagierte Schauspielerin nie ihre Füße still und machte sich damit nicht nur Freunde. Sie sprach sich gegen Atomwaffen und den Vietnam-Krieg aus, kandidierte für das britische Parlament, sympathisierte mit der IRA und Arafat, kritisierte offen den Krieg gegen den Terrorismus und verschrieb sich der Wahrung der Menschenrechte. Im Jahre 1995 wurde Redgrave als Botschafterin für die UNICEF tätig. Auch wenn ihr ihre politischen Aktivitäten immer wieder Steine in den Karriere-Weg legten, wurde Vanessa Redgrave dennoch umfassend für ihre künstlerische Arbeit gewürdigt und ist bis dato die einzige britische Schauspielerin, die mit dem Oscar, Emmy, Tony, dem Preis in Cannes, dem Golden Globe und dem Screen Actors Guild Award ausgezeichnet wurde.
Auch vor der Kamera politisch engagiert
Vanessa Redgraves Film-Biografie beinhaltet immer wieder Rollen starker Persönlichkeiten, egal ob für das Kino oder in TV-Produktionen. Für ihre Darstellung der Suffragette Olive Chancellor in „Die Damen aus Boston“ (1984) wurde die Aktrice erneut für einen Oscar nominiert, in dem TV-Film „Second Serve“ (1986) gab sie einen transsexuellen Tennisspieler. Für die Rolle der Ruth Wilcox im romantischen Drama „Wiedersehen in Howards End“ (1992) erhielt Redgrave ihre bislang letzte Oscar-Nominierung. In den 90er Jahren wandte sich die Britin auch vermehrt kommerziellen Projekten zu und übernahm kleinere Rollen in Blockbustern wie „Mission: Impossible“ (1996), „Deep Impact“ (1998) und „Durchgeknallt“ (1999). Aber auch an erfolgreichen europäischen Produktionen war die Schauspielerin immer wieder beteiligt. 1993 spielte sie die Nivéa del Valle in der Isabel-Allende-Verfilmung „Das Geisterhaus“, 1997 agierte sie an der Seite von Julia Ormond in dem Thriller „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“.
Ein Faible für historische Rollen
Vor allem historische und literarische Stoffe haben es Vanessa Redgrave bis heute angetan. Sie spielte Oscar Wildes Mutter in „Oscar Wilde“ (1997), verkörperte die Clarissa Dalloway in der Roman-Adaption „Mrs. Dalloway“ (1997) und agierte als gealterte Schriftstellerin Briony Tallis in dem Liebes-Drama „Abbitte“ (2007). Auch animierten Figuren lieh sie ihre Stimme, beispielsweise der Schildkröte Winifred in „Konferenz der Tiere“ (2010) und der Auto-Queen in „Cars 2“ (2011). Ebenfalls eine Königin, und zwar Queen Elizabeth I., spielte Vanessa Redgrave 2011 in Roland Emmerichs „Anonymous“, nachdem sie im gleichen Jahr für Ralph Fiennes' Regie-Debüt „Coriolanus“ die Rolle der Volumnia übernahm.
Vanessa Redgrave stammt nicht nur aus einer Schauspieler-Dynastie, sie führte diese auch weiter. Mit ihrem ersten Ehemann, dem Regisseur Tony Richardson, bekam sie zwei Töchter. Natasha und Joely Richardson sind beide selbst Schauspielerinnen. Natasha verstarb an den Folgen eines Ski-Unfalls im Jahre 2009. Aus der Verbindung mit Schauspiel-Kollege Franco Nero ging 1969 Sohn Carlo Gabriel hervor. Mit Bond-Darsteller Timothy Dalton führte Redgrave eine langjährige Beziehung ohne Trauschein. 2006 ehelichte sie ihre frühere Liebe Franco Nero.