Es ist keine sonderlich innovative Theorie, da ich schnell feststellen musste, dass sehr viele Leute im Netz sie auch haben, doch ich hatte bei „Tenet“ früh den Verdacht, dass Robert Pattinsons Neil in Wirklichkeit Max, der Sohn von Kat (Elizabeth Debicki) und Bösewicht Andrei Sator (Kenneth Branagh) ist.
Doch wie komme ich (und viele andere „Tenet“-Schauer) darauf?
Das wissen wir über Neil
Wir erfahren in „Tenet“, dass Neil schon eine lange Freundschaft mit dem Protagonisten (John David Washington) verbindet. Dies wird schon beim ersten Aufeinandertreffen im Film angedeutet: Neil weiß direkt, was sein Gegenüber bevorzugt trinkt bzw. auch nicht trinkt. Glaubt man zuerst, er hat halt nur seine Agenten-Hausaufgaben gemacht, wird am Ende erklärt, dass ihn wirklich eine lange Partnerschaft mit dem Protagonisten verbindet.
Dieser hat ihn nämlich irgendwann für die Geheimorganisation Tenet rekrutiert, als Protegé unter seine Fittiche genommen und für jene Weltenrettung, die wir nun in Christopher Nolans Action-Blockbuster sehen, ausgebildet.
"Tenet": Das Ende erklärtNeil und der Protagonist erleben ihre Beziehung dabei zeitlich gegensätzlich. Für Neil ist das Finale von „Tenet“ das letzte Kapitel ihrer Freundschaft, der Protagonist steht noch am Anfang. „Doctor Who“-Fans kennen eine solche zeitlich gegensätzlich verlaufende Beziehung vom Doctor und seiner Ehefrau River Song, wenn mir dieser Seitenschlenker erlaubt sei (einmal mehr beschleicht mich übrigens der Verdacht, dass der Brite Christopher Nolan „Doctor Who“-Fan ist).
Damit ist aber nur klar, dass Neil und der Protagonist schon gemeinsame Abenteuer erlebt haben (und nein: Ich gehe fest davon aus, dass wir nie einen „Tenet 2“ sehen weden, der diese Abenteuer zeigt), aber nicht wann. Der Protagonist kann Neil schließlich in der Zukunft wie auch in der Vergangenheit rekrutiert haben.
Eine Freundschaft aus der Zukunft
Für mich liegt mittlerweile auf der Hand, dass es in der Zukunft gewesen sein muss. Die Organisation Tenet wird erst in der Zukunft vom Protagonisten gegründet, dort alles auf den Weg gebracht. Er verbringt also viel Zeit in der Zukunft. Warum (und vor allem auch: wann) sollte er dann noch mal Jahre in der Vergangenheit leben?
Das birgt nur das Risiko seinem Vergangenheits-Ich zu begegnen und ergibt auch sonst keinen Sinn: In der Zukunft muss schließlich der Grundstein gelegt werden, dort ist die Arbeit zu verrichten.
Neil = Max: Das spricht dafür
Doch natürlich kann nun der Protagonist jeden jungen Mann rekrutieren – warum ausgerechnet den kleinen Max (Laurie Shepherd)? Das beantworte ich mit einer Gegenfrage: Warum einen Wildfremden nehmen, wenn man schon eine Person an der Hand hat?
In meiner persönlichen Vorstellung gesellt sich der Protagonist in der letzten Szene zu Kat und Max, nachdem er Priya (Dimple Kapadia) ausgeschaltet hat, und wird der Mentor des kleinen Jungen.
Nolan streut Indizien
Das ist natürlich nur eine Theorie, denn eine endgültige Antwort auf die Frage gibt Nolan nicht. Es gibt auch keine handfesten Beweise, nur Indizien wie eine optische Ähnlichkeit zwischen den Darstellern Laurie Shepherd und Robert Pattinson und vor allem die Figurennamen.
Wie wir im Film erfahren, ist Max ja nur eine Abkürzung. Doch die Schreibweise des vollen Namens vermeidet Christopher Nolan selbst im Abspann.
Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, ob das Kind Maximilian oder Maximilien heißt. Denn die letzten vier Buchstaben von Maximilien ergeben rückwärts gelesen: Neil!
Und bei einem Werk, bei dem Filmtitel und weitere Namen auf dem sogenannten Sator-Quadrat beruhen, bei dem es gerade um das Vorwärts-Rückwärts-Lesen geht, ist das ganz sicher kein Zufall.
Ich habe beim erneuten Schauen von „Tenet“ daher extra darauf geachtet, wie der volle Name von Max ausgesprochen wird, und bin mittlerweile überzeugt, in der Originalfassung das aus dem Französischen stammende Maximilien gehört zu haben (oder bilde ich mir das nur ein, weil ich schon mit der Theorie im Kopf darauf achte?).
Es würde auch durchaus Sinn ergeben, dass die sich sehr elitär gebenden Kunstliebhaber Kat und Sator, die ihren Sohn für einen Urlaubsausflug an den Vesuv mitnehmen, ihrem Kind den französischen Namen Maximilien verpassen.
Nolans Liebe für das Mysterium
Selbst wenn die Theorie nicht stimmt, bin ich überzeugt, dass Nolan will, dass wir darüber nachdenken. Dass er den Jungen im Abspann nur als Max listet, ist schließlich eine mehr als offensichtliche Informationsvorenthaltung – und nicht die einzige.
Denn für die Theorie wäre es natürlich besonders interessant, zu untersuchen, wie sich Neil im Beisein von Kat verhält. Doch genau hier liefert uns Nolan kaum Anhaltspunkte. In einigen Momenten wirkt der britische Agent eher distanziert (will er sich nicht verraten?) und in dem Moment, wo es zum intimeren Zwiegespräch an ihrem „Krankenbett“ kommt, blendet Nolan sofort ab. Hier will er uns nicht zeigen, wie sie miteinander interagieren.
Neben dieser Auslassung übrigens auch noch interessant: Es existieren keine offiziellen Szenenbilder zum Film, auf denen Max zu sehen ist! Ich sage nur: Informationsvorenthaltung (schließlich nimmt Nolan großen Einfluss auf die Pressearbeit zu seinen Filmen).
"Tenet": Die überflüssigste Szene ist zugleich die schönsteNatürlich kann man auch Argumente ausführen, die gegen die Theorie sprechen. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, wie lange der Protagonist Neil ausbildet, weil der danach schließlich all diese Jahre auch wieder zurückreisen muss – und sogar noch mehr. Wäre Neil da nicht deutlich älter?
Aber altert man überhaupt auch in den Tagen, Monaten und Jahren, die man sich rückwärts durch die Zeit bewegt? Dies ist übrigens eine der Fragen, die mich beim ersten Anschauen am meisten bewegt hat und bei der ich immer noch überlege. Doch das ist eine andere Diskussion…
„Tenet“ läuft seit dem 26. August 2020 in den deutschen Kinos.