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    "Tenet": Die überflüssigste Szene ist zugleich die schönste

    In „Tenet“ gibt es viele herausstechende Sequenzen, doch FILMSTARTS-Redakteur Björn Becher hat es besonders ein Moment angetan, den man eigentlich auch aus Christopher Nolans krachendem Action-Blockbuster hätte streichen können…

    Warner Bros.

    +++ Meinung +++

    Immer wieder wird es laut in „Tenet“, sehr laut. Die Kinos sind angewiesen, viel aus ihren Soundanlagen herauszuholen für einen Blockbuster, der für die große Leinwand gemacht ist und mit Bildern und Klängen überwältigt. Doch zwischen all dem Bombast findet sich ein stiller, leiser Moment, mit dem der oft so kühl wirkende Christopher Nolan einfach nur einem Weggefährten dankt.

    Der von John David Washington gespielte Protagonist hat gerade im Mumbai weitere Informationen gesammelt, als er Sir Michael Crosby (Michael Caine) aufsucht. Die Hinweise, die er und damit auch der Zuschauer in dieser kurzen Sequenz in einem britischen Gentlemen-Club erhält, sind zwar durchaus relevant für die weitere Handlung (eine kurze Info wird sogar im Finale extrem wichtig), aber rechtfertigen eigentlich nicht den prominenten Gaststarauftritt. Es wäre sogar viel einfacher gewesen, diese Infos anderweitig im Film zu platzieren.

    Die Szene ist also – gerade in ihrer Länge – streng genommen überflüssig. Ich glaube, dass das bewusst so ist, denn ich bin überzeugt: In dieser Szene geht es trotz der vielen Dinge, die Crosby dem Protagonisten mitteilt, primär nicht um Informationsvermittlung. Doch bevor ich das genauer ausführe, müssen wir erst einmal auf den Darsteller in dieser Szene schauen.

    Michael Caine: Nolans Erklärbär

    Denn es ist ganz sicher kein Zufall, dass Sir Michael Crosby von Christopher Nolans treuestem Schauspieler verkörpert wird. Seit „Batman Begins“ gehörte Michael Caine immer zum Cast, wenn Nolan einen neuen Film drehte – und eigentlich immer mit derselben Rolle:

    Caine war für die Informationsvermittlung zuständig, er sollte dem Publikum Dinge erklären und machte dies regelmäßig (nur bei „Dunkirk“ wurde er dahingehend von Kenneth Branagh abgelöst und bekam nur einen Audio-Cameo, weil Caine für einen aktiven Marine-Offizier dann doch zu alt ist).

    Ich sehe Caines Erklärbär-Rolle in vielen Nolan-Filmen eher kritisch, weil seine Auftritte meist die Szenen sind, in denen Nolan nicht die Bilder findet, um uns etwas zu zeigen (während es ein Steven Spielberg oft halt einfach viel filmischer löst), sondern banale Worte braucht. Doch trotzdem gehört Michael Caine zu einem Nolan-Film längst fest dazu.

    Danke, Sir Michael

    Und so stellte sich bei seinem Auftritt in „Tenet“ bei mir gleich ein ganz vertrautes Gefühl ein – nicht unwichtig für einen Film, bei dem es sehr darum geht, dass man dem Filmemacher vertraut, ihm in sein eigenes Zeitkonstrukt einfach folgt. Doch richtig wunderschön wird die Szene für mich erst, weil sie ein so schöner Bruch mit Nolans üblichem Gestus, mit seiner Art des Filmemachens und mit seinem Einsatz von Michael Caine ist.

    Denn wie ich bereits eingangs geschrieben habe, steht - trotz der vielen Mitteilungen in den Dialogen über eine Fälschung und die Herkunft des Antagonisten - für mich gerade nicht die Informationsvermittlung im Vordergrund. Caine scheint einfach für ein paar mit einem kurzen Plausch angenehm in die Länge gezogene Minuten da, weil er bei Nolan dazugehört – zumindest bislang. Denn der Moment wirkt wie ein Abschied, ein kleines Denkmal an den treuen Weggefährten.

    "Tenet": Das Ende erklärt

    „Goodbye Sir Michael“ wird so sogar ganz direkt am Ende jener Sequenz gesagt. Und es ist für mich kein Abschied des Protagonisten von der Figur Sir Michael Crosby, sondern es ist ein Dank von Christopher Nolan an seinen Schauspieler, der 2000 zum Ritter geschlagen wurde und damit auch „Sir Michael“ ist. Die Namensgleichheit ist schließlich in einem Film, in dem die Namen Bedeutungen haben, bestimmt kein Zufall.

    Mich hat das berührt, wenn auch ein bisschen wehmütig gestimmt. Denn es fühlt sich wie ein endgültiger Abschied an. Und der ist es womöglich auch.

    Denn auch wenn der aktuell 87 Jahre alte Caine noch immer vor der Kamera steht, tritt er doch langsam kürzer und ist vielleicht nicht mehr dabei, wenn Nolan in drei bis vier Jahren seinen nächsten Film herausbringt. Dann wird sich vielleicht mancher an diese Szene erinnern und sich denken: „Wie wunderschön war es, als Nolan seinen Film unterbrochen hat, um einfach seinen treuesten Star zu verabschieden!“

    „Tenet“ läuft seit dem 26. August 2020 in den deutschen Kinos.

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