Christopher Nolan ist bekannt dafür, in seinen Filmen atemberaubende Action und komplexe Themen zu verbinden. Eines seiner Lieblingsthemen ist dabei die Zeit und deren Wahrnehmung – wie auch in seinem neuesten Film „Tenet“.
Doch anders als bei „Inception“ belässt es Nolan nicht dabei, ein abgefahrenes Science-Fiction-Konzept einzuführen (bei „Inception“ war es die Traumtechnologie), dessen technische bzw. wissenschaftliche Funktionsweise dann aber nicht weiter erklärt wird:
Bei „Tenet“ führen verschiedene Figuren jede Menge Erklärungen an, die auf den ersten Blick sehr wissenschaftlich erscheinen. Wir haben uns einige der zentralen Begriffe und ihre Verwendung in „Tenet“ genauer angeschaut.
Inversion
Die zentrale Mechanik, dank der die Zeitreisen in „Tenet“ möglich sind, nennt sich Inversion. Anders als in bekannten Zeitreisefilmen wird hier nicht von einem Punkt in der Zeit zu einem anderen gesprungen, sondern tatsächlich gereist, indem der Fluss der Zeit für Objekte und Menschen umgedreht wird.
Möglich werden soll das dadurch, dass die Entropie dieser Menschen und Dinge umgekehrt wird. Aber was genau ist jetzt eigentlich Entropie?
Entropie
Wir wollen gar nicht so tun, als würden wir uns mit Themen wie dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik besonders gut auskennen, aber das müssen wir wohl auch nicht.
Entropie kann den thermodynamischen Zustand eines Systems beschreiben. Unter Entropie versteht man vereinfacht gesagt die Menge an Informationen, die nötig ist, um dieses System richtig beschreiben zu können, oder noch vereinfachter gesagt ein Maß für die Ordnung dieses Systems.
Ein klassisches Beispiel für Entropie sind Eiswürfel, die beim Zerschmelzen aus der geordneten kristallinen atomaren Struktur in die ungeordnete atomare Struktur einer Wasserpfütze übergehen, wobei die Entropie zunimmt.
Entropie und Zeit
Das ist aber alles gar nicht so wichtig, denn Nolan geht es weniger um Thermodynamik oder die Ordnung bzw. Unordnung eines Systems, sondern vor allem darum, dass die Entropie eines Systems zunimmt, wenn Zeit verstreicht (zumindest auf lange Sicht betrachtet nimmt die Entropie im Universum zu). Entropie ist also gewissermaßen ein anderer Begriff für „Zeit vergeht“.
Denkt man diesen Aspekt weiter, kommt man ganz schnell bei Nolans Interpretation von Entropie in „Tenet“ an: Wenn Entropie vorwärts (bzw. normal) ablaufender Zeit entspricht, dann entspricht umgekehrte Entropie rückwärts ablaufender Zeit.
Anklänge des thermodynamischen Ursprungs des Begriffs Entropie finden sich in „Tenet“ aber noch in der Tatsache, dass während der Inversion heiß und kalt vertauscht sind: Als der Protagonist (John David Washington) während seiner invertierten Reise in einem explodierenden Auto gefangen ist, verbrennt er trotz der Flammen nicht etwa, sondern droht zu unterkühlen.
Kernspaltung und Strahlung
Eine Erklärung dafür, wie Inversion möglich sein soll, wird von der Wissenschaftlerin Barbara (Clémence Poésy) ins Spiel gebracht. Sie vermutet, dass die Inversion durch eine Art von Kernspaltung (wie bei einem Kernkraftwerk oder einer Atombombe) und umgekehrte Strahlung möglich ist.
Gemeint ist hier wohl das, was umgangssprachlich als radioaktive Strahlung bezeichnet wird, also Strahlung, die Elektronen (negativ geladene Teilchen) aus Atomen und Molekülen herauslösen kann.
Umgekehrte (radioaktive) Strahlung soll dann also vermutlich bedeuten, dass Atome und Moleküle Elektronen hinzugewinnen und dadurch eine negative Ladung bekommen.
Elektronen und Positronen
Eine andere (?) mögliche Erklärung wirft Neil (Robert Pattinson) auf, der einen Master in Physik hat (womit wir in der FILMSTARTS-Redaktion nicht dienen können) und ganz nebenbei die Theorien von Richard Feynman und Ernst Carl Gerlach Stückelberg zu Elektronen und Positronen erwähnt.
Grundsätzlich sind Positronen die (positiv geladenen) Gegenstücke der bereits erwähnten Elektronen. Feynman und Stückelberg zufolge soll ein Positron ein Elektron sein, das rückwärts in der Zeit reist. Die Verbindung zu „Tenet“ ist klar: In der Theorie reisen dieselben Teilchen vorwärts und rückwärts in der Zeit, im Film sind es dieselben Personen.
Und auch hier pickt sich Nolan wieder einen Aspekt heraus, den er auf die Figuren und die Handlung überträgt: Der Protagonist wird davor gewarnt, während seiner invertierten Reise auf sein nicht-invertiertes Ich zu treffen, denn sonst droht die totale Auslöschung, die Annihilation. Mit diesem Begriff bezeichnet man normalerweise das, was passiert, wenn Teilchen und Antiteilchen (also z.B. Elektron und Positron) aufeinandertreffen.
"Tenet" ist nicht "Interstellar"
Spätestens bei der Frage, ob durch so etwas tatsächlich theoretisch der Fluss der Zeit umgedreht werden könnte, sind wir aber endgültig überfordert. Vermutlich ist es das beste, die Erklärungen in „Tenet“ so zu verstehen wie die Erklärungen bei „Star Trek“: als (pseudo-)wissenschaftliche Ausführungen, die gleichermaßen seriös und spannend klingen, aber nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen.
„Tenet“ ist eben nicht „Interstellar“, in dem die meisten Ereignisse auf (theoretische) Astrophysik zurückzuführen sind, und man kann Nolans neuesten Film zum Glück auch genießen, ohne dass die Erklärungen für die Inversion alle hundertprozentig wissenschaftlich (und hunderprozentig verständlich) sind.
"Tenet": Das Ende erklärt