Klar, Christopher Nolan hat mit der „The Dark Knight“-Trilogie neue Maßstäbe im Comic-Blockbuster-Genre gesetzt. Aber abgesehen davon ist Christopher Nolan neben Quentin Tarantino eben auch einer von nur noch ganz wenigen Hollywood-Regisseuren, bei denen ein neuer Film auch ohne bestehendes Franchise bereits deshalb zu einem Ereignis wird, weil sein Name auf dem Poster steht.
Christopher Nolan ist längst seine eigene Marke – und ihr Kern ist nicht nur die pure Bildgewalt seiner Blockbuster, sondern auch eine das Publikum mitreißende Obsession für Zeit und deren Wahrnehmung. Das Thema treibt den Regisseur und Drehbuchautor nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten um.
In dem Action-Thriller „Tenet“ (jetzt Tickets sichern), der eine globale Spionage-Story à la James Bond mit dem Science-Fiction-Konzept der Inversion verbindet, können sich Dinge auch rückwärts ihren Weg durch die Zeit bahnen, während sich der Rest der Welt weiterhin ganz regulär in Richtung Zukunft bewegt…
„Tenet“ ist dabei aber eben nicht der Anfang, sondern der (vorläufige) Höhepunkt einer leidenschaftlichen Beschäftigung mit dem Konzept von Zeit – und um zu verstehen, was Christopher Nolan umtreibt und was seine Filme auf einem thematischen wie visuellen Level so unglaublich faszinierend macht, müssen auch wir einen Sprung in der Zeit zurück wagen:
„Memento“ (2000)
Basierend auf einer Kurzgeschichte seines Bruders Jonathan Nolan, mit dem er später auch gemeinsam die Skripte zu „The Dark Knight“ und „The Dark Knight Rises“ verfasst hat, erhielt Christopher Nolan für sein Skript zu „Memento“ direkt seine erste Oscarnominierung (inzwischen hat er bereits fünf).
Der vertrackte Thriller erzählt die Geschichte von Leonard Shelby (Guy Pearce), der den Mörder seiner Ehefrau jagt, seit einer Kopfverletzung aber an anterograder Amnesie leidet. Deshalb hat Leonard kein Kurzzeitgedächtnis mehr – er kann sich immer nur an die vergangenen fünf Minuten erinnern.
Alle wichtigen Infos, die er auf keinen Fall vergessen darf, tätowiert er sich daher auf seine Haut. Und um auch das Publikum diese spezielle Wahrnehmung von Zeit nachvollziehen zu lassen, wird der Film hauptsächlich in Fünf-Minuten-Blöcken rückwärts erzählt – bis am Ende (also chronologisch gesehen am Anfang) einer der besten und vor allem fiesesten Twists der Kinogeschichte mit brachialer Gewalt beim Zuschauer einschlägt.
„Inception“ (2010)
„Inception“ ist der erfolgreichste Nicht-Batman-Blockbuster aus der Filmographie von Christopher Nolan – und es ist das Projekt des Regisseurs, das „Tenet“ wohl am nächsten kommt: Wie in „Tenet“ geht es schließlich auch in „Inception“ um einen verschlungenen, internationalen Heist-Plot, bei dem die verschiedenartige Wahrnehmung von Zeit eine ganz zentrale Rolle spielt:
Wenn der Extractor Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) nämlich in die Träume seiner Zielpersonen eindringt, dann läuft die Zeit für ihn und seine Mitstreiter stark verlangsamt ab – und der Effekt potenziert sich sogar noch, wenn Dom in tiefere Traumebenen hinabsteigt.
Und da man schon mal vergessen kann, dass man gerade in einem Traum feststeckt, kann es sogar geschehen, dass jemand sein ganzes Leben in einem fremden Traum verbringt, während in der realen Welt nur ein paar Minuten verstreichen. Und wenn der Kreisel in der letzten Szene nicht umgefallen ist, dann dreht er sich wohl noch heute…
„Interstellar“ (2014)
Mit „Interstellar“ macht Christopher Nolan genau dort weiter, wo er mit „Inception“ aufgehört hatte – nur verhandelt er die Idee, dass die Zeit für verschiedene Menschen verschieden schnell abläuft, hier nicht länger in einem Fantasy-Setting mit Traumdiebstählen und einem sich zusammenfaltenden Paris, sondern mit Hilfe „realer“ physikalischer Gesetze im Weltall:
Wegen der gravitationsbedingten Zeitdilatation verstreicht auf einem Planeten in der Nähe eines schwarzen Lochs nur eine Stunde, während auf der Erde sieben Jahre vergehen. Für den NASA-Piloten Cooper (Matthew McConaughey) bedeutet das, dass seine Kinder nach seiner Rückkehr von der interstellaren Mission längst erwachsen sein werden, selbst wenn für ihn nur einige Monate vergangen sind…
„Dunkirk“ (2017)
„Dunkirk“ basiert zwar auf realen historischen Geschehnissen – sein Lieblingsthema „Zeit“ hat Christopher Nolan aber trotzdem in dem bildgewaltigen Zweiter-Weltkrieg-Epos untergebracht.
Bei der Evakuierung der französischen Küstenstadt Dünkirchen, wo im Frühjahr 1940 etwa 330.000 von 370.000 eingekesselten britischen Soldaten gerettet werden konnten, waren Infanteristen, Boote und Flugzeuge beteiligt. Für jede dieser Gruppen spielt Zeit jedoch eine ganz andere Rolle - und das wird im Film selbst auf eine faszinierende Weise repräsentiert:
Obwohl die einzelnen Handlungsstränge alle ineinander geschnitten sind, vergeht in den parallel angeordneten Episoden verschieden viel Zeit: Während wir die eingekesselten Soldaten eine Woche lang begleiten, dauert die Überfahrt der zahllosen (Privat-)Boote nur einen Tag – und der Pilot Farrier (Tom Hardy) ist in seinem Flugzeug sogar nur eine einzelnde Stunde unterwegs.
„Tenet“ (2020)
Während es bisher also vor allem darum ging, mit welcher Geschwindigkeit Zeit verstreicht, geht Christopher Nolan in „Tenet“ nun gleich ein paar Schritte weiter: Hier geht es nämlich nicht länger nur um langsam oder schnell. Stattdessen kommt durch die Inversion auch noch ein vorwärts oder rückwärts hinzu.
Wir wollen natürlich nichts spoilern – das Entdecken der konkreten Auswirkungen einer solchen Inversion macht schließlich mit den gewaltigen Reiz von „Tenet“ aus. Aber so viel ist mal sicher: „Tenet“ ist einmal mehr voll von Bildern und Ideen, die man so noch nie auf einer großen Leinwand gesehen hat…
Ein Einblick in den Kopf von Christopher Nolan
Wir hatten vergangene Woche übrigens die Chance, Christopher Nolan bei einer Zoom-Pressekonferenz Fragen zu „Tenet“ zu stellen – und auch dort hat er noch einmal bestätigt, wie lange und intensiv seine Gedanken bereits um das „Konzept von Zeit“ kreisen:
Christopher Nolan: „Es gibt Bilder und Mechaniken in ‚Tenet‘, über die ich schon einer sehr lange Zeit nachdenke. Wirklich schon seit Jahrzehnten. Wer meine früheren Werke kennt, der wird einige Elemente wiedererkennen – etwa die Patrone, die aus der Wand kommt und zurück in die Pistole fliegt.
Etwas Ähnliches gab es auch schon in ‚Memento‘ – aber damals war es eine Metapher, in ‚Tenet‘ ist es nun etwas sehr Konkretes und Reales. Am Skript selbst, also an der Idee, einen Spionage-Thriller als Vehikel für eine Reise durch diese bizarren Konzepte von Zeit zu verwenden, habe ich sechs oder sieben Jahre gearbeitet.“
FILMSTARTS: Was hat sich in den Jahren, die du am Skript gearbeitet hast, denn noch an den Konzepten geändert?
Christopher Nolan: „Wir haben in der Zeit vor allem daran gearbeitet, eine so mitreißende Spionagegeschichte wie möglich zu entwickeln. Es ging darum, die verschiedenen Konzepte von Zeit zu erklären, aber im selben Moment auch eine mitreißende Achterbahnfahrt für den Zuschauer zu kreieren.
Man tritt in die Schuhe des Protagonisten und durchlebt mit ihm all diese aufregenden Action-Set-Pieces rund um den Globus. Es ging immer darum, Konzept und Genre miteinander in Einklang zu bringen!“
„Tenet“ läuft seit dem 26. August 2020 in den deutschen Kinos. Jetzt Tickets sicher.
Tenet