In „Tenet“ gibt es nicht nur vorwärts oder rückwärts. Ganz besonders faszinierend wird es vielmehr immer dann, wenn die Dinge im selben Moment vorwärts und rückwärts ablaufen. Das Ergebnis sind Actionszenen, wie man sie noch nie auf der großen Leinwand gesehen hat – und dazu gehört eben auch ein Score, wie man ihn noch nie im Kino gehört hat.
Wir haben in der vergangenen Woche an einer Zoom-Pressekonferenz mit Christopher Nolan, seinen Stars und seinem für die Filmmusik von „Black Panther“ oscarprämierten Komponisten Ludwig Göransson teilgenommen. Dabei ging es nicht nur um die Entstehung des bahnbrechend-treibenden Experimental-Scores – sondern auch darum, wie sich Christopher Nolan persönlich auf der Tonspur seines neuen Science-Fiction-Spionage-Blockbusters verewigt hat.
Sound, wie es sie noch nie gab
Ludwig Göransson: „Ich bin sehr früh im Prozess zum Film gestoßen. Schon sechs Monate, bevor Chris losgezogen ist, um mit den Dreharbeiten zu beginnen. Nach dem Lesen des Skripts habe ich schnell verstanden, dass das eine Welt ist, wie wir sie noch nie gesehen oder erlebt haben. Also brauchten wir einen andersartigen Sound, eine ganz andere Qualität von Musik. Einen Sound, der sich von allem abhebt, was wir jemals zuvor gehört haben.
Am Anfang habe ich einmal die Woche mit Chris gearbeitet – und ich habe sehr früh mit dem Komponieren von Demos angefangen. In seinem Büro haben wir die Musik seziert, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wir haben sehr früh unsere ganz eigene Welt aus Sound und Musik kreiert.“
Die Atemgeräusche von Christopher Nolan
Ludwig Göransson auf die Frage, welche technischen Spielzeuge er für den Score verwendet hat:
„Eine Menge Spielzeuge. Aber auch viele organische Instrumente. Ich mag es, Geräusche zu verwenden, die wir gut kennen, und sie dann so sehr zu manipulieren, dass man sich nicht mehr wirklich sicher sein kann, was genau es ist. Zu Beginn haben Chris und ich viel darüber diskutiert, wie man die Gitarre auf eine neue Weise einsetzen könnte – also habe ich viel mit Gitarren experimentiert. Ich habe sie durch eine Reihe von Spielzeugen, Effekten und Audiomanipulationen gejagt.
Ein Großteil des Scores besteht aus Gitarren und Umgebungsgeräuschen, bei denen man nie genau weiß, womit man es gerade zu tun hat. Wir nutzen zudem auch einige menschliche Geräusche – zum Beispiel, wie jemand sehr heftig in ein Mikrofon atmet. Das war Chris‘ Idee für den Bösewicht des Films – ein Teil des Scores ist tatsächlich Christopher Nolan, den ich so manipuliert habe, dass dieser wirklich ungemütliche Atemsound dabei herauskommt.
Christopher Nolans Vision für einen guten Score
Christopher Nolan: „Für mich ist es wichtig, dass die Musik sich mit dem allgemeinen Sounddesign zu einer Einheit zusammenfügt. Deshalb haben wir unseren Sounddesigner Richard King sehr früh mit einbezogen, um herauszufinden, wo wir uns mit dem ganzen Ding hinbewegen. Eine der Sachen, die ich an der Arbeit mit Ludwig besonders genossen habe, ist sein Ansatz, Geräusche von Grund auf neu zu erschaffen. Es gibt nichts, was spezifische Assoziationen beim Zuhörer auslöst – in gewisser Weise ist alles vollkommen frisch.
Das hat zur Folge, dass die Musik mehr die Funktion eines traditionellen Sounddesigns übernimmt. Sie wirkt direkt auf das Unterbewusstsein. Sie bildet die DNA des Films. Dass Ludwig so früh anfangen musste, liegt daran, dass ich beim Schnitt keine temporäre Musik nutze. Ich verwende also keine Musik aus anderen oder früheren Filmen als Platzhalter, bis der neue Score geschrieben wird. Stattdessen baute Ludwig die Geräusche – und wir schnitten den Film direkt mit den originalen Demos. Das verbindet die Musik sehr eng mit dem Sound der Welt, die wir zu kreieren versuchten.
Ist es normal, dass Hollywoodstudios ihren Regisseuren erlauben, bei ihren 200-Millionen-Dollar-Blockbustern auf experimentell-avantgardistische Filmmusik zu setzen? Eine rhetorische Frage, denn die Antwort lautet natürlich „Nein“. Vermutlich wäre außer Christopher Nolan niemand damit durchgekommen. Deshalb sieht man bei ihm nicht nur Dinge, die man noch nie gesehen hat, man hört auch Dinge, die man noch nie gehört hat.
Wobei sich das nach den Kinostarts dann oft auch sehr schnell ändert: Nach dem Erfolg von „Inception“ tauchte das ikonische Hans-Zimmer-Dröhnen in den folgenden Jahren schließlich in fast jedem zweiten Hollywood-Blockbuster auf…
„Tenet“ läuft ab dem 26. August 2020 in den deutschen Kinos.
Tenet