„Gemini Man“ ist ein teures Blockbuster-Schwergewicht, doch zumindest auf einer Ebene haben die Produzenten um Jerry Bruckheimer ein Schnäppchen gemacht: Denn für den futuristischen Action-Thriller bekommen die Macher zwei Mal Superstar Will Smith zum Preis von einem. Der 50-Jährige spielt nicht nur den ehemaligen Regierungskiller Henry Brogan, sondern auch dessen 23 Jahre jüngeren Klon Junior, der Jagd auf ihn macht. Während Henry herausfinden muss, warum ihn die Defense Intelligence Agency töten lassen will, erhält er Unterstützung von der Agentin Danny (Mary Elizabeth Winstead), die ihn eigentlich beobachten sollte.
Am Set in der Kleinstadt Glennville, Georgia (in der Nähe von Savannah) trafen wir Will Smith nach einem langen Nachtdreh, den wir komplett begleitet haben, zum Interview.
FILMSTARTS: Wirkt sich die Technologie mit 120 Bildern pro Sekunde (fps) auf euer Schauspiel aus?
Will Smith: Ja, tatsächlich. Wir haben festgestellt, dass es komplett ohne Make-up besser aussieht. [lacht] Das macht den Morgen einfacher. Jedes bisschen Make-up sieht man mit 120 fps und 4K-Auflösung direkt auf den Monitoren und dann später auf der Leinwand.
FILMSTARTS: Wie ist es, eine Person in zwei verschiedenen Altersphasen zu spielen, die sich trotzdem die Leinwand teilen?
Will Smith: Es ist wirklich bizarr, immer vor und zurück zu springen. Die beiden Figuren teilen sich denselben Gencode, wurden aber verschieden aufgezogen. Sie haben dasselbe Temperament, sprechen aber unterschiedliche Dialekte. Ich habe die ersten Testmuster gesehen, es ist wirklich verrückt. Das ist bisher noch nie so gemacht worden, wir lernen immer mehr dazu, während wir drehen. Die erste Szene mit meinen beiden Figuren, die aufeinander treffen, ist wirklich verstörend. Das ist sehr filmisch, erstaunlich und irgendwie schrill. Man hat einen Aha-Effekt: [lacht] „Oh, so fühlt sich Klonen an.“
Will Smith: “Habe den perfekten 23-jährigen Avatar“
FILMSTARTS: Wie geht es dir, wenn du darüber nachdenkst, dein eigenes Ich zu treffen?
Will Smith: Weil es für diesen Fall einfach keine Referenz gibt, es wurde schließlich noch nie gemacht, ist es spannend herauszufinden, wie es sich anfühlt – eine identische Version von dir selbst, das ist nicht wirklich ein Zwilling, es ist auch nicht wie ein eigenes Kind, wenn du im übertragenen Sinn eine jüngere Version von dir selbst triffst. Wir haben uns angestrengt, die Gefühle herauszufiltern. Das Erste, was mir in den Sinn kam, [lacht] war Eifersucht. Die perfekte, 23 Jahre alte Version von dir selbst, dem jemand die Fehler ausgetrieben hat?! [lacht] Jemand, der sexuell nicht verunsichert ist?!
"Gemini Man" wird nicht weniger als eine Kino-Revolution: Am Set von Ang Lees Sci-Fi-ThrillerDas ist mal ein ganz anderer Ansatz für eine Figur. Wenn man andererseits von der jüngeren Version auf die ältere schaut und feststellt, dass es nur einen Klick weit ist, um genauso viel Weisheit und Stärke zu erlangen. Das sage ich meinen Söhnen übrigens ständig, wenn sie mich austesten. Es macht wirklich Spaß, sich durch diese verschiedenen Konzepte und Ideen zu spielen. Wenn wir mit diesem Film fertig sind, habe ich einen perfekten 23 Jahre alten Avatar von mir, der dann Filme für mich drehen kann. Das ist schön verrückt.
Nach der emotionalen Seite suchen wir auf der technischen Ebene nach Informationen über „Gemini Man“, bei Technical Supervisor Ben Gervais, Visual Effects Supervisor Bill Westenhofer und Stereo Supervisor Demetri Portelli.
FILMSTARTS: Was genau ist deine Aufgabe, Ben?
Ben Gervais: Mein Job ist das Implementieren von Technologie. Ich sorge dafür, dass sie filmbar ist.
FILMSTARTS: Warum setzt ihr die 120-fps-Technoliogie [Bilder pro Sekunde] überhaupt ein?
Ben Gervais: Ang Lee glaubt, dass diese Technik viel mehr Intimität zwischen dem Publikum und den Personen auf der Leinwand erlaubt. Wenn ihr das seht, werdet ihr wissen, was ich meine.
Demetri Portelli: Es ist ein großer Sprung von 48 fps bei „Der Hobbit“, zu James Camerons Tests mit 60 fps zu jetzt 120. „Gemini Man“ ist nach „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ erst der zweite Film in diesem Format. Was ist die neue Ästhetik des digitalen Kinos? Aber das ist ein Prozess: Wir müssen herausfinden, was in High Frame Rate funktioniert und was nicht.
“Ang Lee ist kein James Cameron, nicht einmal ein Peter Jackson“
FILMSTARTS: Ist Ang Lee denn überhaupt ein Technikfanatiker?
Ben Gervais: Nein, Ang ist überhaupt kein Tech-Typ, er ist definitiv kein James Cameron. Er ist, was seine technischen Fähigkeiten anbelangt, nicht einmal ein Peter Jackson. Er sieht eine Person auf der Leinwand und denkt über seine Verbindung zu ihr nach. Meine Aufgabe ist es, das zu visualisieren. Ang wollte gern viel Intimität und so sind wir zu diesem Filmformat gekommen.
FILMSTARTS: Habt ihr ein bisschen Angst vor der Reaktion des Publikums, dass es die High Frame Rate ablehnen könnte? Bei Peter Jacksons „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ waren die Reaktionen auf die 48 fps sehr durchwachsen und „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ ist gefloppt...
Ben Gervais: Ja, sicher. Es wäre dumm, das nicht zuzugeben. Es ist auch eine Annäherung. Vielleicht haben manche Zuschauer das Gefühl, dass die hohe Frame Rate alles, was bisher auf der Leinwand zu sehen war, ablehnt. Ang denkt aber nicht so. Und ich auch nicht. Die Menschen machen seit 100 Jahren Filme, in dieser Zeit ist viel Kunst entstanden. In 120 fps zu drehen, ist keine Ablehnung der Kunst, sondern ein neues Werkzeug, das uns jetzt zur Verfügung steht. Es wird eine High-Frame-Rate-Version des Films geben und eine normale Version. Jeder kann sich dann aussuchen, was er gern sehen möchte. Aus unserer Sicht bietet die High-Frame-Rate-Version die beste Zuschauererfahrung.
"Die Furcht vor dem Versagen hält dich auf Trab": Unser Interview mit "Gemini Man"-Regisseur Ang LeeBill Westenhofer: Die High Frame Rate macht diesen Prozess des künstlichen Erschaffens von Menschen noch schwieriger. Es gab schon ähnliche Versuche zuletzt. In „Star Wars: Die letzten Jedi“ und in „Blade Runner 2049“. Für die kurze Zeit, in der die am Rechner erschaffenen Menschen [Carrie Fisher, Peter Cushing und Sean Young] auf der Leinwand waren, hat das gut funktioniert. Doch wir haben uns für die schwierigere Variante entschieden und Will Smith im Alter von 23 Jahren komplett digital erschaffen. Er und Junior sind direkt zusammen im Bild, kämpfen und interagieren. Wir wollen das erste Mal eine überzeugende, komplett digitale Person auf der Leinwand präsentieren. Ich denke, dass „Gemini Man“ eine Revolution wie „Avatar“ werden wird. Das ist der nächste heilige Gral des Filmemachens.
FILMSTARTS: Was zeichnet Ang Lee eigentlich so aus? Jeder schwärmt hier von ihm…
Ben Gervais: Ang ist der visuellste aller Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe. Er will den Zuschauern die Erfahrung geben, in einem Raum mit den Schauspielern zu sein – eine voyeuristische Erfahrung. 3D ist ein hervorragendes Mittel, das zu erreichen.
Demetri Portelli: Ang Lee ein Purist wie Alfred Hitchcock.
„Gemini Man“ startet am 3. Oktober 2019 in den deutschen Kinos.