+++ Meinung +++
„A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“ ist ein schöner Film – ich habe viel gelacht und am Ende auch ein Tränchen verdrückt. Für fast das gesamte Altersspektrum ist in dem Pixar-Animationsfilm was dabei. Die Kinder finden den actionreichen Roadtrip von Woody und seinen Freunden spannend, und lustige Sprüche gibt es zuhauf. Die Erwachsenen nehmen auch verstecktere popkulturelle Anspielungen wahr, erkennen die nachdenklich stimmende Bitterkeit hinter der wirklich witzig aufbereiteten existenziellen Krise von Göffel Forky und genießen den saucoolen Auftritt von Filmstar Keanu Reeves – zumindest in der Originalfassung.
Doch für ganz kleine Kinder ist „Toy Story 4“ eher nix – und das trotz der FSK-Altersfreigabe ab 0 Jahren! Klar, Eltern können und müssen natürlich einschätzen, was sie ihrem Kind beim Kinobesuch auf der Leinwand zumuten können. Zum größten Teil ist „Toy Story 4“ auch wirklich harmlos, wie es sich für einen Familienfilm gehört. Doch an den Stellen, an denen im Film mit Verweisen aufs Horror(!)-Kino und auf Action-Blockbuster gespielt wird, sind tatsächlich verdammt gruselig bis gar verstörend. Die Szenen sind zwar herrlich gemacht, aber wirken doch wie ein Bruch, bei dem ich mir beim Zuschauen dachte: „Ookaaayyy, das ist jetzt echt heftig für die ganz Kleinen!“
Waschechte Horrorpuppen
Eigentlich ist „Toy Story“ ja prädestiniert dafür, eine Horror-Richtung einzuschlagen, immerhin geht es in der Filmreihe um Spielzeuge – und Puppen können mit das gruseligste sein, das es gibt. Nicht umsonst sind Puppen ein beliebtes Horrortopos und haben schon so manchem Kinogänger durch Filme wie „Chucky – Die Mörderpuppe“, „Puppet Master“, „Dolls“ und „Annabelle“ schlaflose Nächte beschert.
Nun wartet „Toy Story 4“ gleich mit einer ganzen Armee von Gruselpuppen auf: den herumtorkelnden und fies dreinblickenden Handlangern von Gabby Gabby (Christina Hendricks / deutsche Fassung: Ulrike Jenni), die in dem sowieso recht düster wirkenden Antiquitätenladen den Eindruck erwecken, als würden sie nachts kleinen Kätzchen das Herz rausreißen und sich in ihre ewig grinsenden Marionetten-Klappmünder stecken.
Auch in unserer FILMSTARTS-Kritik verweisen wir darauf, dass die Szenen mit Gabby Gabby und ihren Horror-Kumpanen den Film „immer mal wieder in Richtung eines betont altmodischen Horrorkinos kippen“ lassen. Das sieht bei der Animation der Marionetten extrem gut aus und sorgt zudem für angenehmen Nervenkitzel – aber für ganz kleine Zuschauer, die zumal auch überhaupt nicht das gelungene Genre-Zitat verstehen, dürfte das zu viel des Guten sein.
Auch Gabby Gabby nimmt sich da nicht viel – sie sieht zwar nicht so unheimlich aus wie ihre Handlanger, die altmodische Puppe, die sich in einem Kinderwagen herrisch durch den Laden schieben lässt, hegt jedoch zutiefst sinistre Absichten: Sie will Woody sein eingenähtes Sprachmodul aus dem Rücken reißen – fast schon Body Horror!
Die spätere Erkenntnis, dass die vermeintliche Bösewichtin Gabby Gabby eine zutiefst einsame und von Sehnsucht getriebene Figur ist, deren Herz, wenn es drauf ankommt, dann doch am rechten Fleck sitzt, hebt zwar die Aura des Bösen von der Puppe und gehört für mich mit zu den stärksten Momenten des Films. Dem verstörten Vorschulkind bringt das dann aber herzlich wenig und ich könnte gut verstehen, wenn es am Ende des Tages alle seine Puppen sicherheitshalber aus seinem Kinderzimmer entfernt.
Als der Film schon fast vorbei war, irritierte mich jedoch noch ein weiterer Moment, den ich nicht nur als überhaupt nicht zum Film passend, sondern auch noch für unnötig brutal halte. Zugegeben, ich bin auch so schon kein Fan des zusammengetackerten Plüschfiguren Ducky (OV-Stimme: Keegan-Michael Key) und Bunny (OV-Stimme: Jordan Peele), bei denen ich drauf gewettet hätte, dass sie im Deutschen von YouTubern gesprochen werden, so nervig wie sie klingen. Dem ist aber nicht so: Julian Manuel (Ducky) und Karim El Kammouchi (Bunny) arbeiten seit Jahren als Synchronsprecher, El Kammouchi ist u. a. als Dudley Dursley in „Harry Potter“ zu hören, Manuel in der Serie „Phineas und Ferb“.
"Toy Story" meets "Godzilla"
Doch ich verstehe, warum es diese Figuren gibt, ihre lässigen Sprüche und das gegenseitige Gefrotzel könnten bei vorpubertären Grundschülern und frühpubertären Teenagern ziemlich gut ankommen. Und an ihren leicht psychotischen Zügen hatte dann auch ich meine Freude. Doch in einer der Abspannszenen wurde dies dann zugunsten eines Blockbuster-Zerstörungsorgien-Moments unnötig auf die Spitze getrieben. Da fantasieren die beiden latent gewalttätigen Plüschviecher Ducky und Bunny von einem Amoklauf auf dem Jahrmarkt, sind zu riesigen Monstern angewachsen und zerstören mit Laser-Augen und Godzilla-Gebrüll alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Diesen Bruch in der Tonalität eines Films, der ansonsten mit angenehm „handgemachter“ Action (zum Beispiel wilde Verfolgungsjagden im Antiquitätenladen) aufwartet, fand ich gelinde gesagt irritierend.
In diesen letzten Minuten des Films noch mal schnell ein Monster-Movie reinzupacken und kurz große Krawumm-Action abzufackeln, ist womöglich unterhaltsam für ältere Kinder, die sowieso lieber in den neuesten „Avengers“-Film gegangen wären statt mit dem kleinen Bruder „Toy Story 4“ anzugucken – der kleine Bruder braucht dann aber wahrscheinlich erst mal ein großes Trosteis.
„A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“ läuft seit dem 15. August 2019 im Kino. Warum der tolle Film in Deutschland vorranging mit den beiden gewollt abgebrühten Plüsch-Psychos beworben wird, bleibt mit allerdings ein Rätsel: