Aller guten Dinge sind vier
Von Christoph PetersenBei der Berliner Pressevorführung von Josh Cooleys „A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“ wurden auch Vorschauen für die kommenden Disney-Attraktionen „Die Eiskönigin 2“ und „Maleficent 2: Mächte der Finsternis“ gezeigt. Zwei sichere Blockbuster, bei denen zunächst der wirtschaftlich begründete Wunsch nach einem Sequel im Raum stand und erst dann mit der Suche nach einer passenden Story begonnen wurde – so wie es eben schon immer bei den allermeisten Fortsetzungen der Fall war (und zwar längst nicht nur in Hollywood). Bei dem Gedanken daran könnte man fast ein bisschen zynisch werden ... zumindest, wenn einem das vierte „Toy Story“-Abenteuer nicht sofort wieder jeden einzelnen Funken Zynismus aus dem Körper prügeln würde.
Die Pixar-Verantwortlichen behaupten ja seit inzwischen einem Vierteljahrhundert steif und fest, dass bei jeder potenziellen Fortsetzung zunächst mal eine gute Story da sein müsse, bevor man über ein solches Projekt auch nur ernsthaft nachdenken würde. Nur nimmt man ihnen das nach „Cars 2“ und „Die Monster Uni“ nicht mehr uneingeschränkt ab. Lediglich bei der „Toy Story“-Reihe, und da mag man uns jetzt gerne „naiv“ schimpfen, scheint das alte Credo tatsächlich noch immer uneingeschränkt zu gelten: Stolze neun Jahre nach „Toy Story 3“ erweist sich nun nämlich auch „A Toy Story“ als ein zutiefst berührendes, immens kreatives, unglaublich lustiges und technisch bahnbrechendes Animations-Abenteuer, in dem alte Bekannte noch einmal Auftrumpfen dürfen und sich jede neue Figur als Volltreffer entpuppt. Sowas gelingt einem nicht, wenn man zuerst an die finanziellen Chancen denkt.
Als ihr bisheriger Besitzer Andy aufs College geht, finden die Cowboy-Puppe Woody (Originalstimme: Tom Hanks), die Astronauten-Actionfigur Buzz Lightyear (Tim Allen) und all ihre Spielzeug-Freunde ein neues Zuhause beim kleinen Nachbarsmädchen Bonnie. Allerdings müssen sich die Neuankömmlinge in der ungewohnten Umgebung auch erst einmal eingewöhnen – zum Beispiel hat Woody im Kinderzimmer nicht mehr automatisch das Sagen, der Job fällt vielmehr der zwar niedlich aussehenden, aber sehr bestimmt auftretenden Puppe Dolly (Bonnie Hunt) zu. Bonnies neuer Liebling ist aber ein aus einer Plastikgabel und einem Pfeifenreiniger selbstgebasteltes Spielzeug, das sie auf den Namen Forky (Tony Hale) tauft. Nur kommt Forky selbst mit seiner neuen Rolle so gar nicht zu Recht. Er hält sich selbst noch immer für „Müll“ und stürzt in eine tiefe philosophische Krise (beziehungsweise in den Abfalleimer, wenn Woody mal eine Sekunde nicht auf ihn achtgibt) ...
Cowboy Woody mit seinem neuen Freund Forky.
„A Toy Story“ beginnt mit einem Blick neun Jahre zurück in die Vergangenheit: In einer stürmischen Nacht muss Woody mit ansehen, wie die Schäferin Bo Peep (die in „Toy Story 3“ gar nicht vorgekommen ist, aber jetzt wieder eine ganz zentrale Rolle spielt) in einem Umzugskarton abtransportiert wird. Allerdings legt diese Rückblende nicht nur den emotionalen Grundstein für das neue Abenteuer, sie lässt auch direkt zum Auftakt keinerlei Zweifel daran, dass Pixar in animationstechnischer Hinsicht auch diesmal wieder mit der Konkurrenz den Boden aufwischt. Wenn sich hier ein ferngesteuertes Auto mit aller Kraft dagegen wehrt, vom Schlamm und Laub davongeschwemmt zu werden, dann ist das zwar schon ziemlich dramatisch – aber der Mund steht einem nicht wegen der waghalsigen Rettungsaktion offen, sondern wegen der puren visuellen Brillanz. Immer wenn man glaubt, dass Ende der Fahnenstange sei aber langsam mal erreicht, kommt Pixar daher und macht noch einmal einen riesigen Sprung nach vorne.
Aber gut, alles andere wäre speziell der für ihre tricktechnischen Quantensprünge berüchtigten „Toy Story“-Reihe auch einfach nicht würdig gewesen. Die viel drängendere Frage war dann im Vorfeld auch, ob die Macher nach dem Abschluss der Andy-Trilogie tatsächlich noch etwas Neues zu erzählen haben – zumal es in „A Toy Story“ um einen Roadtrip geht und Roadtrips ja auch gerne mal als dramaturgisches Allheilmittel verwendet werden, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Aber keine Sorge, „A Toy Story“ ist bis obenhin vollgestopft mit weisen, cleveren, inspirierenden und zu Herzen gehenden Themen und Subplots, die auch locker für eine ganze Handvoll Filme gereicht hätten – von Forkys existenzieller Sinnkrise über Bo Peeps selbstbestimmte Lebensweise bis hin zu einem tragischen Bösewicht, dem man am Ende tatsächlich beide Daumen drückt.
Sowieso erweisen sich speziell die neuen Figuren als absolute Knaller: Die Pläne von Bunny (Jordan Peele) und Ducky (Keegan-Michael Key), mit denen sie eine greise Antiquitätenkrämerin überwältigen wollen, sind etwa dermaßen genial-gaga, dass man den leicht psychotischen, an den Händen zusammengenähten Jahrmarktstofftieren einfach nicht böse sein kann. Der andauernd posende kanadische Stuntman Duke Caboom (großartig: Keanu Reeves) ist ein ebenso zuverlässiger Gaglieferant wie Forky, nur dass die Pointen mit der lebensmüden Plastikgabel naturgemäß eine ganze Ecke trockener ausfallen. Nachdem die Reihe speziell in „Toy Story 2“ ja schon auf allerlei Western- und Science-Fiction-Einflüsse gesetzt hat, lassen die aus den 1950ern stammende Gabby Gabby (Christina Hendricks) und ihre Bauchrednerpuppen-Armee „A Toy Story“ zudem immer mal wieder in Richtung eines betont altmodischen Horrorkinos kippen. Das Ergebnis sind einige vor allem auch visuell herausragende Sequenzen (der torkelnde Gang der Bauchrednerpuppen ist göttlich).
Woody hat seine große Liebe Bo Peep wiedergefunden.
Trotz der zahlreichen neuen Figuren erzählt „A Toy Story“ – noch viel mehr als die Vorgänger – aber in erster Linie die Geschichte von Woody. Bisher wusste der geborene Anführer immer, was zu tun ist – nämlich alles, um Andy beziehungsweise Bonnie glücklich zu machen und vor Unheil zu bewahren. Wie es eben die Aufgabe eines Spielzeugs ist. Aber was kommt danach? Auch in dieser Hinsicht erweist sich „A Toy Story“ als erstaunlich weise, angenehm tiefe Erzählung – und so kullern einem dann in den finalen 20 Minuten, nachdem sich der Film im Mittelteil vor allem als temporeicher Spaß erwiesen hat, doch noch die von der Reihe gewohnten Tränen über die Wange. Da lässt es sich dann auch gleich viel leichter verkraften, dass dafür einige der alten Stars (allen voran natürlich Buzz Lightyear, der sich diesmal mit einem Running Gag über seine innere Stimme zufriedengeben muss) ins zweite Glied zurücktreten müssen.
Fazit: Das vierte Meisterwerk in Folge. Das hat auf diesem immens hohen Niveau wohl noch keine andere Filmreihe zuvor geschafft.