+++ Meinung +++
Als 2017 die Live-Action-Adaption des Kult-Animes „Ghost In The Shell” weltweit in die Kinos kam, mussten sich die Macher – allen voran Regisseur Rupert Sanders („Snow White And The Huntsman“) – so einiges gefallen lassen. Denn für viele Fans des Mangas ist Masamune Shirows Vorlage, auf dem der Hollywood-Film basiert, ein durch und durch japanisches Kulturgut.
Vor allem wurde die Entscheidung kritisiert, die in New York geborene Scarlett Johansson in die Rolle von Motoko Kusanagi zu stecken – nach Jake Gyllenhaal als „Prince Of Persia - Der Sand der Zeit“ oder Christian Bale und Joel Edgerton oder überhaupt dem ganzen Cast von Ridley Scotts „Exodus: Götter und Könige“ ein weiterer Whitewashing-Skandal, den sich die Traumfabrik zu Schulden kommen ließ. Interessant ist allerdings, dass der aktuell im Kino laufende „Alita: Battle Angel“ keine vergleichbare Diskussion ausgelöst hat, obwohl er zumindest theoretisch dasselbe Problem haben müsste. Und noch viel spannender ist die Frage, ob dieses scheinbare Problem überhaupt eines ist.
Weiße Hauptdarstellerin – na und?
In Mangas haben Figuren oftmals die unterschiedlichsten Haar- oder Augenfarben, vom Körperbau ganz zu schweigen. Wird aber nicht dezidiert auf ihre Herkunft eingegangen, sind sie deswegen aber noch lange nicht asiatisch, afrikanisch oder europäisch, sondern schlicht und ergreifend Figuren, die sich optisch und charakterlich von anderen unterscheiden und lediglich in Japan zu Papier gebracht wurden. Anzunehmen, dass deswegen alle Figuren, die Geschichte sowie die Schauplätze japanisch sind, wäre nicht nur oberflächlich, sondern bereits der Anfang von Rassismus.
Der Fall "Alita"
Eine der größten Stärken von „Alita: Battle Angel“ sei, wie uns Produzent Jon Landau im Interview verriet, dass man sich, verglichen mit anderen Filmemachern zuvor, einen leichter zu adaptierenden Manga vorgenommen habe, gleichzeitig aber auch einen, der nicht zwingend in Asien spiele – weswegen die Titelheldin auch nicht zwingend asiatisch sein müsse. Das klingt logisch, denn immerhin wurde die Geschichte ja auch von Nord- nach Mittelamerika verlegt und hat mit Asien nicht viel zu tun.
Dass mit Rosa Salazar eine amerikanische Schauspielerin mit peruanischen Wurzeln die Hauptrolle spielt, rückt aber ohnehin in den Hintergrund, da Alita ohnehin von Kopf bis Fuß animiert wurde. Was im Kern aber eigentlich zählt, ist, dass es auch gar keine Asiatin sein muss, die hinter den Animationen steckt, da wir hier ohnehin von einem Cyborg sprechen, der jede beliebige Gestalt haben könnte.
Der Fall "Ghost In The Shell"
In „Ghost In The Shell“ wurde die Hauptfigur ebenfalls nicht von einer asiatischen Hauptdarstellerin gemimt – mit dem Unterschied, dass Hauptdarstellerin Johansson im Film eben auch zu sehen ist und die Geschichte auch tatsächlich in Asien spielt. Dennoch muss deshalb noch lange nicht jede darin vorkommende Figur (und schon gar nicht alle Cyborgs) auch tatsächlich asiatisch sein. Das findet übrigens auch Mamoru Oshii, der Regisseur des „Ghost In The Shell“-Animes von 1995: „Ihre physische Form basiert auf reiner Annahme. Ihr Name, Motoko Kusanagi, und ihr Körper entsprechen gar nicht ihrer ursprünglichen Form. Deswegen gibt es keinen Grund, anzunehmen, sie müsse von einer asiatischen Schauspielerin verkörpert werden.“
Mit dabei in „Ghost In The Shell“ sind neben Scarlett Johansson unter anderem auch die Französin Juliette Binoche, der Däne Pilou Asbæk, der japanische Auteur Takeshi Kitano und der aus Singapur stammende Chin Han. Ähnlich sieht es in „Alita: Battle Angel“ aus, wo wir an der Seite von Rosa Salazar unter anderem den Österreicher Christoph Waltz, den Briten Ed Skrein, die Mexikanerin Eiza González und die Vietnamesin Lana Condor sehen. In beiden Fällen wurde also durchaus auf einen internationalen Cast, eine „buntgemischte“ Darstellerriege gesetzt, was vor allem in „Alita“ auch der Geschichte geschuldet ist. Schließlich leben in Iron City Menschen, die aus allen Winkeln der Erde hierhin geflüchtet sind.
Gut, eine asiatische Figur, die auch tatsächlich von größerer Bedeutung ist, fehlt in beiden Filmen. Eine solche zu erzwingen, ganz einfach, weil der Manga aus Japan stammt, würde einen Film aber nicht direkt aufwerten und ohnehin aus den falschen Beweggründen resultieren. Letztlich entschied man sich dafür, der Vorlage vor allem hinsichtlich der Inszenierung gerecht zu werden und die Mangas nicht bloß zu kopieren, sondern eben zu adaptieren. Es muss nämlich vor allem der Natur des Mediums Rechnung getragen werden, wie auch Christoph Waltz weiß. Und um genau das zu erreichen, haben die Filmemacher sowohl bei „Ghost In The Shell“ als auch bei „Alita“ eng mit den Schöpfern der jeweiligen Vorlage zusammengearbeitet. Was will man mehr?
Sowohl „Ghost In The Shell“-Regisseur Oshii als auch „Alita“-Schöpfer Yukito Kishiro halten von der Whitewashing-Debatte um die Hollywood-Versionen ihrer Geschichten wenig. Oshii sagte über Scarlett Johanssons Besetzung in der Live-Action-Version sogar: „Wenn das nicht erlaubt ist, sollte Darth Vader auch nicht Englisch sprechen“. Und „Alita“-Schöpfer Kishiro sieht in Robert Rodriguez‘ Leinwandadaption sogar den „großartigsten Film überhaupt“, weil er einfach das Herzstück des Mangas repräsentiert.
Beide stehen öffentlich hinter den vermeintlich verwestlichten Produktionen, was einerseits vielleicht an ihrer Freude darüber liegen mag, dass es ihre Geschichten im Blockbuster-Format ins Kino geschafft haben. Andererseits sind sie sich wohl aber auch bewusst, dass ihre Geschichten zwar von ihnen, die zwar Japaner sind, stammen, deswegen aber noch lange nicht japanisch sein müssen. Es ist doch umso besser, wenn diese überall auf der Welt funktionieren, unabhängig von Hautfarbe oder Schauplatz. Diese Einstellung teilt übrigens auch ein Großteil des asiatischen Publikums.
Whitewashing ist ein reales Problem
Damit soll Whitewashing übrigens nicht geleugnet oder gar gutgeheißen werden, sondern lediglich dorthin verlagert, wo es auch tatsächlich existiert. Denn Whitewashing ist nach wie vor Thema in Hollywood – zuletzt erst sollte beispielsweise Ed Skrein („Alita“, „Deadpool“) den japanisch-amerikanischen Captain Ben Daimio im „Hellboy“-Reboot spielen, bevor er schließlich ablehnte und Platz für Daniel Dae Kim machte. Weiße Darsteller genießen also nach wie vor das Privileg, über andere gestellt zu werden und übernehmen dadurch immer wieder Rollen, für die andere, auch ungeachtet ihres Talents, weit besser geeignet wären.
Dabei leben wir doch eigentlich in einer Zeit, in der das Kino nicht nur auf Seite des Publikums, sondern auch seitens der Filmschaffenden ein globales Phänomen ist. Rollen also „fremd“ zu besetzen, weil es keine talentierten Darsteller einer bestimmten Ethnie gibt, ist heutzutage ganz einfach Schwachsinn. In einer Zeit, in der Konzerne wie Netflix sogar den afrikanischen Markt ankurbeln, haben wir auf jedem Fleckchen der Erde die unterschiedlichsten Leute, die sich gut vor einer Kamera machen würden. Man muss nur danach suchen. Wenn dann doch fehlbesetzt wird, dann aus anderen Gründen – weil es einfacher ist, mehr Geld bringt oder es den Machern schlichtweg egal ist. Und genau das ist das Problem.
Das wahre Problem
Für den Autor dieser Zeilen liegt der Krux in der ganzen Sache im traditionellen Denken vieler Filmfans, das zur Folge hat, dass auch Neuverfilmungen immer wieder schon vorab verteufelt werden. Natürlich muss Matt Damon in „The Wall“ nicht unbedingt den großen Retter der Chinesen spielen, ebenso wenig notwendig sind Remakes wie „Oldboy“, die wenige Jahre nach dem fremdsprachigen Original erscheinen. Und ja, aus der Vergangenheit lässt sich schließen, dass jene Neuauflagen oft kaum nennenswerten Mehrwert mitbringen – dennoch haben vorab geschürte Vorurteile rein gar nichts mit der letztendlichen Qualität eines Films zu tun.
Man stelle sich vor, amerikanische Filmemacher, die oft so hingestellt werden, als würden sie die ganze Welt an sich reißen wollen (manchmal nicht ganz unbegründet), würden sich nicht auch zutiefst europäischen Sagen („Krampus“) oder klassischer Hong-Kong-Thriller („Departed – Unter Feinden“) annehmen, ihre eigene Sache daraus machen und damit eine andere Sicht auf etwas eröffnen. Dann würden uns, finde ich, zweifelsohne viele spannende und interessante Filme entgehen. Dasselbe gibt es übrigens auch in die andere Richtung, etwa mit „The Unforgiven“, in dem Regisseur Lee Sang-il Clint Eastwoods US-Western „Erbarmungslos“ nach Japan verlagert.
Dabei geht es weniger um gut oder schlecht, sehenswert oder langweilig, sondern überhaupt erst um die Aufgeschlossenheit, mit der man Neuinterpretationen begegnet (oder eben nicht), darum, vielleicht sogar mit Spannung zu erwarten, wie möglicherweise höchsttalentierte Filmschaffende etwas mir Bekanntes zu etwas Neuem machen. Ist das nicht irgendwie auch das Schöne am Kino – diese Neugier, eben nicht genau zu wissen, was einen erwartet und eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen? Wann sind wir denn eigentlich an den Punkt gekommen, an dem wir Dinge verteufeln, die eben nicht dem entsprechen, was wir kennen? An dem wir glauben, dass Geschichten nur auf diese eine Weise erzählt werden können, die uns ohnehin schon bekannt ist? An dem wir uns nicht mehr daran erfreuen, wenn sich Filmemacher etwas trauen, sondern Dinge schon vorab schlechtreden, obwohl wir kaum etwas von ihnen wissen?
Am besten ist schlussendlich natürlich immer, sich selbst ein Bild zu machen – und genau dazu habt ihr heute Gelegenheit. Während ihr „Alita: Battle Angel“ nämlich seit dem 14. Februar 2019 in den deutschen Kinos anschauen könnt, feiert „Ghost In The Shell“ heute um 20.15 Uhr seine Free-TV-Premiere auf ProSieben.