Die Goldene Palme für den Besten Film im offiziellen Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes 2018 ging an das japanische Drama „Shoplifters“ über einen ungewöhnlichen Familienverbund aus Außenseitern, die in einem kleinen Haus zusammenleben und sich unter anderem mit Ladendiebstählen über Wasser halten. Der Regisseur Hirokazu Koreeda („Nobody Knows“) war schon häufiger im Cannes-Wettbewerb vertreten, zuletzt 2015 mit dem wunderbaren „Unsere kleine Schwester“. Die offizielle FILMSTARTS-Kritik zu „Shoplifters“ folgt am kommenden Montag, aber so viel sei schon mal verraten – er hat auch uns extrem gut gefallen!
Der Große Preis der Jury (der inoffizielle zweite Platz) wurde unterdessen an das libanesische Drama „Capernaum“ von Nadine Labaki verliehen. Der kraftvolle Film über einen Jungen, der seine eigenen Eltern verklagt, weil sie ihn in diese schreckliche Welt gesetzt haben, war vorab von vielen als absoluter Favorit auf die Goldene Palme gehandelt worden (im Pressesaal gab es sogar laute Buhrufe, als die Regisseurin „nur“ mit dem Großen Preis ausgezeichnet wurde). Der Grand Prix für den originellsten Film des Wettbewerbs ging an „Malcolm X“-Mastermind Spike Lee für „BlacKkKlansman“, einen mitreißenden Mix aus Cop-Komödie und Anti-Rassismus-Pamphlet, das bei seiner Premiere mit langanhaltenden Standing Ovations gefeiert wurde.
BlacKkKlansmanDie Caméra D’Or, die an den besten Erstlingsfilm aus dem offiziellen Programm (also nicht nur aus dem Wettbewerb) vergeben wird, ging an den belgischen Film „Girl“ von Lukas Dhont, in dem die als Junge geborene Teenagerin Lara (grandios: Victor Polster) hart für ihre Ausbildung zur Ballerina und für ihre anstehende Geschlechtsumwandlung arbeitet. Kein klassischer „Problemfilm“, sondern ein berührend-ehrliches Porträt mit einem provokant-radikalen Happy End.
Als Bester Schauspieler wurde der Italiener Marcello Fonte ausgezeichnet, der in der Gangster-Parabel „Dogman“ von „Gomorrah“-Regisseur Matteo Garrone den Besitzer eines Hundesalons verkörpert, der von einem brutalen Schläger terrorisiert wird – und dabei fast selbst wie ein Hund wirkt, der seinem Herrchen auch dann noch brav hinterherläuft, wenn er von ihm immer und immer wieder misshandelt wird. Aber irgendwann beißt auch der unterwürfigste Hund mal zurück…
DogmanÜber den Preis für die Beste Schauspielerin durfte sich Samal Yeslyamova freuen, die in dem russischen Drama „Ayka“ eine aus Kirgisien stammende Frau spielt, die sich illegal im eingeschneiten Moskau aufhält und dort unfassbare Leiden ertragen muss, nachdem sie ihr gerade erst geborenes Baby im Krankenhaus zurückgelassen hat, um stattdessen Geld aufzutreiben, das sie einem Kredithai schuldet. Eine wahre Tour-de-Force-Performance, die so viel Mitleid und Mitleiden erzeugt, dass man es auch im Publikum kaum aushält.
Während der Pole Pawel Pawlikowski, der mit seinem vorherigen Werk „Ida“ den Auslands-Oscar abgeräumt hat, für seinen in grandiosem Schwarz-Weiß gedrehten Historien-Noir „Cold War“ zum Besten Regisseur gekürt wurde, gibt es gleich zwei Gewinner in der Kategorie Bestes Drehbuch: Die italienische Auteurin Alice Rohrwacher wurde für ihr zutiefst menschliches Märchen-Drama „Glücklich wie Lazzaro“ ausgezeichnet, während Nader Saeivar und der in seiner Heimat Iran unter Hausarrest stehende Jafar Panahi den Preis für ihr geschickt mit selbstreferenziellen Elementen spielendes Drama „Three Faces“ verliehen bekamen.
Drei GesichterZum ersten Mal in der Geschichte wurde zudem eine Spezial-Palme vergeben, und zwar an den Meisterregisseur Jean-Luc Godard, weil er konsequent die Grenzen dessen auslotet, was ein Film sein kann – und auch im Alter von 87 Jahren mit seinem Leinwand-Essay „The Image Book“ einmal mehr die Grenzen des Kinos niedergerissen und in einem wütenden Gedankenfeuer zu Asche verbrannt hat.
BildbuchNeben der zweifach oscarprämierten Präsidentin Cate Blanchett („Carol“) bestand die Jury in diesem Jahr aus dem taiwanesischen Schauspieler Chang Chen („Tiger & Dragon“), der US-amerikanischen Regisseurin Ava DuVernay („Selma“), dem französischen Regisseur Robert Guédiguian („Der Schnee am Kilimandscharo“), der burundischen Musikerin Khadja Nin, der französischen Schauspielerin Léa Seydoux („Blau ist eine warme Farbe“), der US-amerikanischen Schauspielerin Kristen Stewart („Personal Shopper“) sowie dem russischen Regisseur Andrei Swjaginzew („Loveless“).
Im vergangenen Jahr ging die Goldene Palme an die schwedische Kunstgeschäft-Satire „The Square“ von Ruben Östlund, 2016 hat Ken Loach den Hauptpreis für sein berührendes Sozialdrama „Ich, Daniel Blake“ abgeräumt und dabei unter anderem auch den haushohen deutschen Favoriten „Toni Erdmann“ ausgestochen.
Wann der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme in die deutschen Kinos kommt, steht aktuell noch nicht fest – aber zumindest einen ersten Trailer zu „Shoplifters“ gibt es schon: