„Drei Gesichter“ ist bereits der vierte Film, den der iranische Auteur Jafar Panahi („Offside“) fertiggestellt hat, seitdem er 2010 vom Mullah-Regime mit einem 20-jährigen Berufs- und Reiseverbot belegt wurde. Offenbar lassen ihn die staatlichen Behörden inzwischen ein Stück weit gewähren, solange seine auf kolportiert abenteuerliche Weise außer Landes geschmuggelten Filme nur auf europäischen A-Festivals und nicht im eigenen Land bejubelt werden – und diesen Jubel gab es nun auch wieder beim Filmfestival in Cannes, in dessen Wettbewerb „Drei Gesichter“ uraufgeführt wurde, selbst wenn Panahi nicht selbst bei der Premiere an der Côte d'Azur anwesend sein konnte.
Die Post-Berufsverbot-Arbeiten von Panahi sind auf den ersten Blick charmante kleine Filme. In „Taxi Teheran“, der auf der Berlinale zu Recht mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, fährt Panahi etwa einen Tag lang als Taxifahrer durch die iranische Hauptstadt und kommt dabei mit seinen verschiedenen Fahrgästen ins Gespräch. Aber wie schon bei „Taxi Teheran“ fällt es nun auch bei „Drei Gesichter“ nicht schwer, die vermeintlich simple Erzählung als clever-doppelbödigen Meta-Kommentar über das politische System und die patriarchale Gesellschaft im Iran sowie über die (Ohn-)Macht des Kinos zu durchschauen.
Der Regisseur Jafar Panahi und die Schauspielerin Behnaz Jafari spielen Versionen von sich selbst.
„Drei Gesichter“ beginnt dabei mit einem Handyvideo, das ein Teenager-Mädchen namens Marziyeh (Marziyeh Rezaie) von sich aufgenommen und an den Regisseur Jafar Panahi (spielt sich selbst) geschickt hat, damit er es an die berühmte iranische Schauspielerin Behnaz Jafari (spielt sich ebenfalls selbst) weitergibt. In dem Video ist das verzweifelte Mädchen zu sehen, wie es Jafari vorwirft, ihr trotz zahlreicher Bitten nicht geholfen zu haben, ihre Familie davon zu überzeugen, auf die Schauspielschule gehen zu dürfen. Am Ende des Videos erhängt sich die Teenagerin, das Handy fällt auf den Boden.
Es folgt eine lange schnittlose Sequenz, in der Panahi und Jafari gemeinsam im Auto sitzen und im Dunkeln in Richtung des Dorfes fahren, aus dem das Mädchen aus dem Video stammen soll. Jafari macht sich zwar schwere Vorwürfe, kann aber auch keine der angeblichen früheren Anfragen des Mädchens unter ihren Nachrichten auf Telegram oder Instagram entdecken. Zugleich stellt sie die Echtheit des Videos in Frage: Gibt es da am Ende, wenn das Telefon auf den Boden fällt, nicht vielleicht einen versteckten Schnitt? Oder noch perfider: Hat Panahi ihr nicht vor kurzen vom einem Drehbuch zu einem Film über einen Selbstmord erzählt, in dem sie die Hauptrolle spielen soll? Wird hier womöglich gerade ein Film gedreht, von dem nur sie selbst nichts weiß…
Aus der Perspektive des Rückspiegels gefilmt, ist diese Autofahrpassage zumindest die inszenatorisch mit Abstand brillanteste des Films – ein formal wie inhaltlich versiertes Spiel mit der suggestiven Kraft der Bilder, die eben doch Dinge in Bewegung setzen können, und sei es auch nur einen Regisseur und eine Schauspielerin, die nun mitten in der Nacht in ein abgelegenes Bergdorf fahren. Es ist eine wunderbar trockene (und durchaus selbstkritische) Pointe, dass diese gerade noch ausgestellte Macht der bewegten Bilder vor Ort erst einmal wieder harsch niedergebügelt wird: Als die Bewohner nämlich mitbekommen, wer die beiden Städter wirklich sind, wandern sie enttäuscht davon. Sie hatten gehofft, es würde sich endlich jemand um ihre Probleme mit Strom und Gas kümmern.
Die anschließenden Geschehnisse in dem Bergdorf haben zwar nicht denselben unwiderstehlichen Fluss wie das Meisterwerk „Taxi Teheran“, triefen aber weiterhin vor treffend-bissigem Subtext. Wenn Panahi etwa von dem ausgeklügelten Hup-System erfährt, das die Dorfbewohner entwickelt haben, weil auf der kurvenreichen Bergstraße immer nur ein Auto zur selben Zeit fahren kann, ist das im ersten Moment eine charmant-schrullige Anekdote darüber, wie solche Dinge in abgelegenen Regionen eben nun mal geregelt werden. Erst nach und nach kann man als Zuschauer durchschauen, welche schlimmen Folgen diese vermeintlich bauernschlaue Art des Problemlösens hat.
Hat sich Marziyeh (Marziyeh Rezaie) wirklich das Leben genommen?
Schließlich wäre es ein Leichtes, die Angelegenheit mit dem Bau von ein paar simplen Parkbuchten ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Aber statt auf zukunftsgerichtete Lösungen setzen die Männer lieber auf arbiträre Regeln, um die Versäumnisse der Vergangenheit zu verwalten: Eine junge Frau, die mal einen Spaten in die Hand genommen hat, um sich einfach selbst um das Problem zu kümmern, wurde sofort wieder auf ihren Platz verwiesen. Aber auch wenn Panahi die Männer des Dorfes völlig zu Recht für ihre patriarchalischen Traditionen (inklusive einer sehr amüsanten Episode über den Sinn des Vergrabens abgeschnittener Vorhäute) kritisiert, nimmt er sie und ihre Probleme durchaus ernst. Wenn einer der Männer erklärt, dass sie im Dorf erst mal einen Doktor und keinen Schauspieler bräuchten, ist dieses Ansinnen sicherlich nicht einfach so von der Hand zu weisen.
Auf der anderen Seite stehen die Frauen, Schauspielerinnen aus drei Generationen, denen auch der Titel „Drei Gesichter“ gewidmet ist, obwohl wir eines der Gesichter nie zu sehen bekommen. Denn neben Behnaz Jafari, die als etablierter Kino- und Fernsehstar für die Gegenwart steht, und Marziyeh Rezaie, die mit ihrem Handyvideo eine mögliche Generation YouTube andeutet (obwohl das Videoportal im Iran seit 2006 gesperrt ist), gibt es da auch noch eine alte Frau namens Shahrazade, die vor der Iranischen Revolution einst eine berühmte Schauspielerin war, aber inzwischen von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen wurde. Weil die vor 1979 so beliebten Tanz- und Singfilme inzwischen verpönt sind und in der iranischen Gesellschaft praktisch nicht mehr vorkommen, ist es nur folgerichtig, dass wir auch Shahrazade nur von hinten oder als Schatten hinter einem Vorhang zu sehen bekommen.
Trotz all der ihnen in den Weg gelegten Steine gehen die Frauen aller drei Generationen am Ende mutig und selbstbewusst ihren Weg. Ganz im Gegensatz zu den Männern, die sitzen nämlich noch immer in ihren Autos und hupen. Etwa zur Hälfte der Spielzeit erklärt einer von ihnen, man bräuchte solche Regeln, denn sonst würde alles auseinanderfallen. In diesem Moment ist man sogar noch geneigt ihm zuzustimmen. Aber am Ende, wenn Panahi mit einem einzelnen brillanten Panorama durch seine gesplitterte Frontscheibe seinen Film noch einmal in einer einzigen Einstellung zusammenfasst, weiß man es zum Glück besser.
Fazit: Ein weiterer clever-charmant verpackter Gesellschafts-(Meta-)Kommentar von Jafar Panahi.
Wir haben „Drei Gesichter“ bei den Filmfestspielen in Cannes 2018 gesehen, wo er im Wettbewerb um die Goldene Palme gezeigt wurde.