Es wurde schon viel Tinte vergossen und digitaler Speicherplatz geopfert, weil „Casino“-Regisseur Martin Scorsese sich 2019 negativ über Marvel-Filme geäußert hat. Zu viel, fragt man den Verfasser dieses Textes, der es überzogen findet, wie oft sich Leute über fünf Jahre alte Aussagen des Meisterregisseurs aufregen – oder meinen, sie als argumentative Munition gegen Marvel-Comicverfilmungen nutzen zu müssen.
Viel spannender sind doch Fälle, die aufzeigen, dass (Unterhaltungs-)Kunst und der Diskurs darüber viel facettenreicher sein können als eine grobschlächtige „Team A gegen Team B“-Kategorisierung. Immerhin geht es hier um Filme, nicht darum, welche Fußballmannschaft man mit Bier und Bratwurst befeuernd angrölt. (Und wer nun wegen dieses ungelenken Seitenhiebs gekränkt ist, stimmt also der Einstellung zu, dass man es mit dem Gegeneinander übertreiben kann.)
So gibt es Fälle, in denen sich Marvel-Filmschaffende von Scorsese inspirieren ließen – ein griffig-unterhaltsames Beispiel dafür haben wir euch im folgenden Artikel vorgestellt:
Kult-Klassiker trifft Big-Budget-Spektakel: Dieser Marvel-Blockbuster ist von Martin Scorsese inspiriert!Und Martin Scorsese ist nicht derart konsequent gegen Comicverfilmungen eingestellt, wie es ihm nach mehreren Jahren des Diskurses angedichtet wird. Schließlich richteten sich seine Aussagen – und erst recht die Konkretisierung seiner Kritik (wir berichteten) – gegen ein Übermaß an rein unterhaltsamem Überwältigungskino.
Gegen die Sprechblasenheftchen-Ursprünge von Marvel-Filmen hat sich Scorsese unterdessen nicht gestellt. Es gibt sogar einen Marvel-Film, den Scorsese mag: Sam Raimis „Spider-Man“! Doch Scorseses Lob über „Spider-Man“ kommt mit einem großen „Aber“ daher...
Martin Scorsese über "Spider-Man": Er freut sich über den Film, aber...
Scorsese kam bereits mehr als eineinhalb Jahrzehnte, bevor seine Marvel-Kommentare den Onlinediskurs explodieren lassen sollten, auf das Tobey-Maguire-Vehikel zu sprechen: in der Dokumentation „A Decade Under The Influence“ von Ted Demme und Richard LaGravenese. Die 2003 veröffentlichte Doku dreht sich um die US-amerikanische Epoche des New Hollywood – ihre Entstehung und Wirkung, ihren Untergang sowie ihre Nachwirkung.
Darin kommt auch Scorsese zu Wort, der mit Filmen wie seinem Thriller-Meilenstein „Taxi Driver“ zur New-Hollywood-Ära beigetragen hat. Unter anderem spricht Scorsese über seine (seit „A Decade Under The Influence“ weiter gewachsenen) Sorgen über den Status Quo bezüglich der US-Filmindustrie: Scorsese beklagt, dass durch einen konstanten Zuwachs an Big-Budget-Projekten der Druck auf die Studios zunimmt, kontinuierlich Hits zu liefern – und dass daher das Geld für andere Projekte ausbleibt.
Dabei betont Scorsese, dass das nicht bedeute, dass er solche Blockbuster per se ablehne – ihm aber ihre Schlagzahl Kopfschmerzen bereite. Als qualitativ positives Beispiel pickt er den Mega-Hit über die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft heraus: „Spider-Man“. Das läge aber auch daran, dass er generell „Sam Raimis Filme mag“.
„Ich bin froh, dass das ein Erfolg war“, ergänzt Scorsese in „A Decade Under The Influence“, nicht ohne auf die negativen Implikationen des 139 Millionen Dollar teuren Films hinzuweisen, der global über 830 Millionen Dollar an den Kinokassen einnahm: „Aber er vergrößert die Kluft! Durch die Summe, die ,Spider-Man' gekostet hat, durch den Haufen Geld, den er wieder einbringen muss. Und durch die Geldsumme, die durch ihn gemacht werden könnte!“
Scorsese beklagt nicht den Film, sondern die Einstellung der Studios: „Alle Studios sind im Business, Business zu machen.“ Eine Erkenntnis, die 21 Jahre später bloß weiter an Relevanz zugelegt hat, nicht zuletzt aufgrund der den Filmmarkt durcheinanderwirbelnden Wirkung der diversen Streamingdienste.
Wenn ihr wissen wollt, welches Western-Meisterwerk (nicht nur) Scorsese extrem beeinflusst hat, dann lest direkt im folgenden Artikel weiter:
"Der Film hatte großen Einfluss auf uns alle": Dieses Western-Meisterwerk hat Regie-Legende Martin Scorsese begeistert und erschüttert