Wie setzt man einen Film fort, den viele für perfekt halten? Die Verantwortlichen für „Alles steht Kopf 2“ standen vor genau diesem Problem. Schließlich wird Vorgänger „Alles steht Kopf“ sogar als einer der allerbesten Pixar-Filme gefeiert. Dem Team hinter dem Animationsfilm war klar, dass sie vor allem bei einer Sache keine Abstriche machen dürfen. Sie mussten ihr Konzept von den Emotionen im Kopf wieder so ernst nehmen, dass sie auch die Wissenschaft dahinter voll zur Geltung kommen lassen – und so holten sie sich noch mehr externe Unterstützung als beim Vorgänger.
So kehrte die schon beim ersten Teil als Beraterin beschäftigte Emotionen-Wissenschaftlerin Dacher Keltner zurück. Die Psychologie-Professorin an der Elite-Universität Berkeley half bei der Entscheidung, welche neuen Emotionen eingeführt werden und wie man diese korrekt auf der Leinwand umsetzt. Sie war direkt wieder an Bord, wie sie Vox im Interview verriet: „Sie machen es richtig“, sagt sie dort über Pixar: „Sie nehmen die Wissenschaft ernst.“
Dass Neid und Scham erst jetzt in Rileys Kopf auftauchen, ist Wissenschaft
Doch Keltner bekam zusätzliche Unterstützung. Eine große Hürde für „Alles steht Kopf 2“ war schließlich, dass Protagonistin Riley älter geworden ist und nun die Pubertät durchlebt. Um auch das besonders komplexe Gefühlschaos dieses Lebensabschnitts richtig zu zeigen, holte Pixar so eine echte Expertin für genau diesen Entwicklungsabschnitt an Bord: Lisa Damour.
Die Psychologin ist Autorin mehrerer Bücher über die Gefühlswelt und Entwicklung von Jugendlichen und verriet ebenfalls ihre Ansätze bei der Beratung für den Animationsfilm und der Gestaltung der neuen Emotionen. Denn dass Neid und Scham jetzt plötzlich auch in Rileys Schaltzentrale sitzen, hat sogar einen wissenschaftlichen Hintergrund und ist nicht einfach dem Umstand geschuldet, dass es in einem Sequel von allem mehr geben muss:
„Wenn Menschen Teenager werden, wird ihr Gehirn komplexer und lässt selbstbewusste Emotionen zu. Bis 13 Jahre denken Kinder sehr konkret. Sie können Dinge nicht immer aus einer anderen Perspektive sehen. Dann, etwa mit 13 oder 14 Jahren, entwickelt sich die Fähigkeit, sich selbst von außen zu betrachten und verschiedene Szenarien zu imaginieren, als Folge der Gehirnentwicklung. Mit dieser Entwicklung kommt die Fähigkeit, sich zu schämen und sich vorzustellen, was andere von einem denken. Oder Neid zu empfinden, etwas zu wollen, was jemand anderes hat, und zu wissen, warum man es selbst nicht hat“, so Damour gegenüber Vox.
Die zentrale neue Figur ist Zweifel, die auch Damour sehr wichtig war: „Zweifel erfordert die Fähigkeit zu imaginieren und vorauszusehen. Angst ist unsere Reaktion auf die Bedrohung direkt vor uns, während Zweifel das Vorstellen von Dingen ist, die passieren könnten.“
Das Besondere ist dabei, dass wie schon die Original-Emotion Angst auch die neue Figur Zweifel eine Zweidimensionalität besitzt – obwohl sie erst mal als eine Art Bösewicht in Stellung gebracht wird, welche Freude und Co. aus der Schaltzentrale schmeißt. Doch laut Damour hat schließlich auch das reale Gefühl „Zweifel“ (alias Anxiety) eine schützende Funktion und ist nicht unbedingt immer negativ. „Die meisten Menschen wissen das nicht. Aber wir befinden uns in einem kulturellen Moment, in dem wir ziemlich unbehaglich gegenüber unangenehmen Emotionen sind und negative Emotionen schnell pathologisieren. In diesem Film wurde brillant gezeigt, wie vielfältig Zweifel sein kann“, so die Wissenschaftlerin.
Es sei daher ungemein wichtig, dass „Alles steht Kopf 2“ Zweifel als wesentlichen Teil des Lebens zeige, der uns auch hilft Dinge zu erkennen und vorherzusehen, die schiefgehen könnten. Zweifel unterstütze uns dabei, Kurskorrekturen vorzunehmen und bessere Entscheidungen zu treffen.
Ihr merkt: „Alles steht Kopf 2“ ist nicht nur ein sehr erfolgreicher und ausgesprochen guter Film, sondern auch ein wissenschaftlich fundierter. Und mit diesem Unterbau in der realen Wissenschaft war es überhaupt erst möglich, uns so gut Einblick in das komplexe emotionale Universum einer Teenagerin zu geben.
Trotzdem heißt dieser wissenschaftliche Ansatz natürlich nicht, dass am Ende entscheidet, was für die Erzählung in einem Kinofilm das Beste ist. Eine Emotion wurde so schon bei „Alles steht Kopf“ wieder rausgeschmissen und nun bei „Alles steht Kopf 2“ erneut mitten in der Entwicklung verworfen – dabei hätte man sie ganz stark mit Deutschland verbunden und sogar als bärtiger Bayer in Lederhose gesehen. Mehr dazu gibt es im folgenden Artikel:
"Wir haben die Übersicht verloren": Diese Emotion ist schon zwei Mal aus "Alles steht Kopf" geflogenEin ähnlicher Artikel ist zuerst auf unserer spanischen Schwesternseite Espinof erschienen.