Serienkiller üben eine makabre Faszination aus – das zeigt sich am anhaltenden True-Crime-Boom, und selbstredend an der hohen Zahl an Serienkiller-Thrillern, die zu Klassikern wurden. Manche von ihnen drehen sich um die Suche nach dem Killer, andere stellen ihn in den Fokus. Und dann gibt es „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“:
Der Meilenstein von Regie-Legende Fritz Lang vereint beide Schwerpunkte zu einem brillant inszenierten, packenden Kriminal-Thrillerdrama. Völlig verdient gilt dieses Meisterwerk als einer der besten Filme aller Zeiten. Heute, am 10. Juni 2024, läuft „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ab 20.15 Uhr bei arte. Ihr könnt den Thriller-Klassiker aber auch danach in der arte-Mediathek nachholen, außerdem ist er im Abo von Amazon Prime Video abrufbar:
"M – Eine Stadt sucht einen Mörder": Ein trüber Blick auf die Republik
Berlin, 1931: Ein Kindermörder (Peter Lorre) geht um. Die Bevölkerung befindet sich in Aufruhr, die Presse peitscht das Thema hoch, die Polizei gerät unter Druck. Doch die panische Stimmung in der Stadt erschwert die Polizeiarbeit. Also bildet die Berliner Unterwelt, angeführt vom eiskalten Schränker (Gustaf Gründgens), ihre eigene Untersuchungstruppe, damit der Spuk ein Ende hat und sie ungestört ihren illegalen Geschäften nachgehen kann. Parallel dazu findet die Polizei endlich handfeste Indizien...
Das von Regisseur Fritz Lang und Thea von Harbou verfasste Drehbuch weist nur spärliche Momente konkreter Drastik auf. Dass der Kindermörder auch Kinderschänder sein könnte, wird etwa bloß in wenigen Dialogpassagen angedeutet. Und doch schildert „M“ unmissverständlich eine verrohte Gesellschaft.
Das wird deutlich, bevor das erste Bild zu sehen ist: Eine Gruppe Kinder verarbeitet die schon vor Filmbeginn in Gang gesetzten Ereignisse, indem sie in einem Abzählreim trällert, dass ein Mann dich holt und zu Hackfleisch macht. Eine Mutter hört dieses pietätlose Lied und keift, die Kinder sollen es nicht mehr singen – eine andere kommentiert resigniert, dass sie ruhig singen sollen. Wenigstens ist es Beweis, dass die Kinder noch da sind.
Sobald sich die Ereignisse überschlagen, wird diese anekdotische Tonalität ersetzt. Zuweilen durch Galgenhumor. Etwa, wenn sich Passant*innen mit komödiantisch großer Geste erbost zu einem Mann drehen, der seinem Kind einen Abschiedskuss gibt. Zunehmend aber durch Beklemmung. Leere Gassen werden schlagartig von einem tosenden Mob gefüllt, der bereit ist, einen Mann bei leisestem Verdacht (mindestens) krankenhausreif zu prügeln. Und eine Horde an Gangstern schneidet unser Sichtfeld genau da ab, wo ein Wachmann gefoltert wird, damit er eine Information preisgibt, die zum Standort des Mörders führen könnte.
Was „M“ dabei so wirksam macht, ist der gleitende Perspektivwechsel: Wir sind erst Teil derer, die nach dem Mörder suchen, landen letztlich aber in den Schuhen des Gejagten, der Horden an gewaltbereiten Menschen gegenübersteht. Zugleich vollführten Lang und von Harbou einen meisterlichen Drahtseilakt, indem sie viele rau-realistische Momente kreieren, aber in gezielten Augenblicken so sehr überspitzen, dass ihre Erzählung wie eine prophetische Mahnung wirkt.
Das lässt auch über 90 Jahre später den Atem stocken, da „M“ nicht dauerhaft desolat ist, so dass man sich erschlagen abkapselt, aber auch nicht so satirisch-zugespitzt, dass man ihn als konstruiert abtun könnte. „M“ findet einen gelegentlich erschreckend komischen, vor allem schaurig-dramatischen Mittelweg, der unter die Haut geht.
Das gilt, wenn man „M“ im historischen Kontext betrachtet: Der Film entstand während der finalen Atemzüge der Weimarer Republik, als die Vorboten der NS-Zeit bereits erdrückend waren. Und es gilt davon losgelöst, wenn man „M“ als meisterliches Spannungsstück betrachtet, das ungebrochen die Gegenwart adressiert.
Denn in der „M“-Welt agieren charmante Kleingangster Schulter an Schulter mit herzlosen, faschistoiden Verbrechern. Besteht die Polizei aus Leuten, die trödeln, aus akribisch-pflichtbewussten Gesetzeshütern sowie aus Männern, die genüsslich Unschuldige triezen. Ist der Grat zwischen Zivilcourage und hasserfüllter Selbstjustiz wenige Handbreit schmal. Werden Bürger, die besorgt sind, im Handumdrehen „besorgte Bürger“.
Erdrückende Schatten, stechende Schärfe
Die Intensität von „M“ rührt aber nicht allein aus der erschreckend zeitlosen Skizze einer Gesellschaft, die darauf wartet, sich selbst aus den Angeln zu heben. Sondern ebenso aus der begnadeten Bild- und Klangsprache des „Metropolis“-Regisseurs.
So ist „M“ frei von Filmmusik, die sich über das Geschehen legt – die einzigen Melodien, die ertönen, entstammen der Handlung. Dies führt zu einer unterschwellig-unbequemen Leere auf der Klangebene, die Lang visuell spiegelt: Unterbevölkerte Straßenkreuzungen. Ein Kellergewölbe, das Lang und sein Kameramann Fritz Arno Wagner mehrmals so zeigen, dass kräftiges Schwarz den belebten Raum erdrückt. Ein gedeckter Tisch, von dem wir als Publikum wissen, dass dort ein Teller mehr steht, als fortan benötigt wird.
Doch ähnlich wie auf Skriptebene entsteht bildlich ein spannendes Reibungsfeld aus Widersprüchen: So schattig und leer die Welt von „M“ auch ist, sie ist schärfer gestellt als das menschliche Auge die Wirklichkeit wahrnimmt. Und wenn Justiz sowie Unterwelt gleichermaßen darüber brüten, wie man den Täter schnappt, werden die halligen Räume durch abstruse Mengen an Qualm erfüllt.
Noch dazu erarbeitete sich dieser in der FILMSTARTS-Kritik mit der Höchstnote ausgezeichnete Krimi seinen Status als Meilenstein, indem Lang die Kamera dynamischer einsetzt, als man es sich im frühen Tonfilm zumeist vorstellen konnte. Sie rückt neugierig näher, wann immer Figuren laut denken. Schleicht um Ecken, als könne sie so wertvolle Informationen erhaschen. Und sie schwebt durch eine geschäftige Bettlerbörse, als wäre sie eine Motte, die das Licht sucht. Aber auch ihr werden Grenzen gesetzt: Am Ende gibt es bloß erdrückendes Schwarz und das Echo mahnender Rufe.
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