Längst hat sich Südkorea im internationalen Filmmarkt etabliert – und auch beim Mainstream-Publikum finden die Werke von Regie-Größen wie Bong Joon-ho („Parasite”) oder Park Chan-wook („Oldboy”) immer größeren Anklang. Ihnen gemein sind oftmals die kluge und für westliche Sehverhältnisse ungewohnte Erzählweise, die düstere Darstellung gesellschaftlicher Probleme und ungeschönte Brutalität, wobei sie gleichzeitig von einer ästhetischen Raffinesse gezeichnet sind.
Zu den ganz großen südkoreanischen Filmemachern zählt auch Kim Jee-Woon, der mit Filmen wie „I Saw The Devil” oder „A Tale Of Two Sisters” von sich reden machte. 2021 hat er für Apple TV+ mit „Dr. Brain” eine Mini-Serie gedreht, die wir euch dringend ans Herz legen müssen, da diese bisher in Deutschland kaum Beachtung gefunden hat. Die Hauptrolle spielt hier zudem niemand geringerer als der kürzlich verstorbene Lee Sun-kyun, bekannt aus „Parasite”.
Im Probeabo von Apple TV+ könnt ihr „Dr. Brain” sieben Tage kostenlos sehen, danach zahlt ihr 9,99 Euro im Monat. Das Abo ist monatlich kündbar.
"Dr. Brain": Herumdoktern im Bewusstsein Toter
Und darum geht es in der Serie: Von Kindheitstagen an interessiert sich der hochbegabte und autistische Se-won (Lee Sun-kyun) für die Funktionsweise des Gehirns. Als erfolgreicher Neurowissenschaftler entwickelt er später eine Möglichkeit, Hirnwellen zu synchronisieren. Aufgrund tragischer Ereignisse stirbt sein Sohn. Seine Frau Jung (Lee Yoo-young) liegt im Koma. Das Geschehene wirft jedoch Fragen auf – und so entschließt Se-won, diesen auf den Grund zu gehen, indem er sein Gehirn mit den Erinnerungen toter Personen koppelt.
Ein schöner Nebeneffekt dieses Plots ist, dass die Serie gleich mehrere Genres durchdringt: Sci-Fi trifft auf Mindfuck, entwickelt Mystery- und Thriller-Auswüchse, hinzu kommt etwas Drama und garniert wird das Ganze mit einer kleinen Prise Kung-Fu. Daneben ruft die Verschmelzung von Se-wons Hirn mit dem Bewusstsein anderer (frisch gestorbener) Menschen starke Bilder auf den Plan, wie sie nicht selten bei der Visualisierung geistiger Prozesse wie Erinnerungen oder Träume verwendet werden.
An einigen Stellen erinnert das sogar an Christopher Nolans bildgewaltigen Blockbuster „Inception” oder „The Cell” mit Jennifer Lopez: In surrealistisch anmutenden Sequenzen findet Se-won sich unter anderem an menschenleeren Stränden wieder, seine Frau Jung taucht aus einem Meer aus Blut auf oder er hat verstörende Visionen, die mitunter ans Unheimliche grenzen.
Katzen-Kopfkino
Dabei hält „Dr. Brain” die ein oder andere Überraschung bereit. Während Se-won mittels Einspeisung verschiedener Bewusstseinsströme immer neue Perspektiven erlangt, tun sich auch immer neue Twists und Entwicklungen auf. Von Folge zu Folge werden Leerstellen gefüllt und neue erschaffen, es eröffnen sich immer neue Fragen und Rätsel. Letztlich wird Se-won zum Ermittler und gleichzeitig zum Hauptverdächtigen in eigener Sache.
Die Grenzen zwischen Realität und Erinnerungen verschwimmen dabei zunehmend, wobei die internalisierten Erinnerungen auch die Wirklichkeit selbst sprengen. Wenn sich Se-won mit seiner Katze (kein Scherz) verbindet, dann kann er infolgedessen plötzlich selbst katzenhaft auf Bäume klettern und unbeschadet von Dächern springen.
Auch sonst beeinflussen Se-won die toten Begleiter, die er in seinem Kopf hat. Das autistische Genie, das nicht mal eine Träne vergoss, als seine Mutter vor seinen Augen von einem Laster überfahren wurde, beginnt etwas zu fühlen.
Vielleicht mögen sich einige Zuschauer*innen an den emotionalen Family-Drama-Einlagen oder der Weichzeichnung von Jungs’ Erinnerungen stören – und ein komplex ausgearbeitetes Drama ist „Dr. Brain” tatsächlich nicht. Doch Kim Jee-Woons Sci-Fi-Serie ist ein spannendes und vor allem auch visuell reizvolles Erzählexperiment, das mit seinen verrückten Einfällen ein kurzweiliges Binge-Wochenende garantiert.
Wäre "Oldboy" so noch viel besser geworden? Aus diesem Grund ist der Regisseur nicht ganz zufrieden mit seinem Kult-Meisterwerk