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    Zwei Jahre im Miniaturformat: "Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg"-Regisseurin Sabine Howe im großen FILMSTARTS-Interview
    Oliver Kube
    Oliver Kube
    -Freier Autor und Kritiker
    Das deutschsprachige Gegenwartskino ist oft deutlich besser als sein Ruf. Oliver Kube fallen aktuell u. a. "In Liebe, Eure Hilde", "Die Ironie des Lebens", "Der Buchspazierer" und immer noch "Wunderland" als Belege dafür ein.

    Für März 2024 haben wir den wunderbaren Dokumentarfilm „Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Gespräch mit Regisseurin Sabine Howe natürlich zwingend dazu.

    Die gebürtige Kölnerin Sabine Howe kam direkt nach dem Abschluss ihres Studiums nach Hamburg – nicht, um gleich einen Job zu suchen, sondern erst einmal, „um etwas zu erleben“. Sie wollte einfach mal raus aus ihrer Komfortzone. Offenbar hat es ihr im Norden so gut gefallen, dass sie blieb und dann auch irgendwann begann, dort ihren Lebensunterhalt im Film- und Fernsehgeschäft zu verdienen. Als Regisseurin von TV-Reportagen mit Drehs in allen möglichen Ecken der Welt geht es ihr meist um außergewöhnliche Menschen und/oder Orte. Genau solche bietet nun auch ihr erster Kinofilm „Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ – und dafür musste Howe Hamburg nicht einmal verlassen.

    Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg
    Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg
    Starttermin 7. März 2024 | 1 Std. 33 Min.
    Von Sabine Howe
    User-Wertung
    4,1
    Filmstarts
    4,0

    Das titelgebende Miniatur Wunderland befindet sich schließlich in der Speicherstadt, einem riesigen historischen Lagerhauskomplex im Hamburger Hafen. Dort sind seit 2001 die größte Modelleisenbahn der Welt und eine enorme Miniaturwelt ausgestellt. Die zählt mittlerweile zu den populärsten Touristenattraktionen Europas, 1,5 Millionen Besucher drängen alljährlich durch die Räume. „Wunderland“ erzählt die Geschichte dieses Ortes, die auch die Story der Zwillingsbrüder Frederik und Gerrit Braun ist, die das Ganze erdacht und gegründet haben. Zusammen mit rund 350 Mitarbeitern halten sie die Anlage nicht nur am Laufen, sondern arbeiten täglich daran, sie weiter zu vergrößern. Dabei ist der Film keine nüchterne Anhäufung von Fakten, sondern lädt mit großartigen Bildern und vielen Emotionen auch zum Staunen und Träumen ein.

    FILMSTARTS: Wann und wie hat sich das Projekt „Wunderland“ für dich ergeben? Hattest du selbst den Einfall zu diesem Film oder wurde er an dich herangetragen?

    Sabine Howe: Letzteres, wobei ich an der Entwicklung der Idee schon sehr aktiv beteiligt war. Die Produzent*innen Benjamin Seikel und Vanessa Nöcker spielten bereits seit einigen Jahren mit dem Gedanken, etwas über das Miniatur Wunderland zu machen. Zuerst sollte es wohl sogar eine Doku-Soap-Serie werden, was sich dann aber zum Glück zerschlagen hat. Irgendwann kam der Vorschlag auf, einen abendfüllenden Film zu machen. Da kam ich dann ins Spiel. Wobei da noch nicht klar war, dass es ein Kinoprojekt werden würde.

    FILMSTARTS: Bist du vorher eigentlich mal privat im Miniatur Wunderland gewesen

    Sabine Howe: Ja, ein paar Jahre zuvor. Ich bewunderte und respektierte die Arbeit, die da reingesteckt wurde, war aber – das sollte ich jetzt vielleicht nicht sagen, tue es aber trotzdem – längst nicht so geflasht wie meine Begleitungen. Als ich im Laufe der Vorproduktion merkte, dass die Braun-Zwillinge und ihr persönlicher Hintergrund sowie der familiäre Umgang der Belegschaft miteinander die eigentliche Story sein würden, begann ihr Werk auch für mich eine echte Faszination zu entwickeln.

    TOBIS Film GmbH
    Klare Arbeitsteilung bei den Braun-Zwillingen: Gerrit (rechts) ist der geniale Tüftler, Frederik der marktschreiende Möglichmacher.

    FILMSTARTS: Inwieweit waren die Braun-Zwillinge denn in die Produktion involviert? Haben sie wissen wollen, was ihr plant und wie ihr vorgeht? Bestanden sie darauf, den Film abzunehmen?

    Sabine Howe: Nein, nichts von alldem. Ich empfand es als sehr erfrischend, wie sehr man uns da vertraut hat. Sie haben sich in nichts eingemischt, keine Forderungen oder Bedingungen gestellt, sondern uns einfach machen lassen. Auch nach dem ersten Screening gab es keinerlei Anmerkungen oder gar Änderungswünsche von ihrer Seite. Es wurden nur ein paar Tränchen der Rührung verdrückt. Das Ergebnis gefiel ihnen offenbar so gut, dass sie zum regulären Erscheinen den größten Kinosaal der Stadt mieten und all ihre Angestellten samt Familien zu einem gemeinsamen Screening einladen.

    FILMSTARTS: Du hast zusätzlich zu den erstaunlich offenen und ehrlichen Interviews einige wunderbare Privataufnahmen der Brauns aus ihrer Kindheit einbauen können. Da agieren sie als kleine Jungs in ihrem Spielzimmer und stellen bereits damals von ihnen erlebte Szenen aus der Realität nach. Gab es viel solches Material, aus dem du auswählen konntest?

    Sabine Howe: Nein, nicht wirklich. Wir haben den Großteil dessen, was vorhanden war, benutzt. Wir hatten aber von Anfang an geplant, die Geschichte visuell zu einem beträchtlichen Teil mit per CGI animierten Figuren zu erzählen, die sich innerhalb real gefilmter CinemaScope-Bilder der Miniaturwelt bewegen.

    TOBIS Film GmbH
    Eine der Besonderheiten des Kinofilms: Die Braun-Zwillinge spazieren als Kinder durch ihr eigenes Wunderland.

    FILMSTARTS: Wie viele Drehtage habt ihr vor Ort verbracht, um die Anlagen dafür zu filmen?

    Sabine Howe: Keinen einzigen (lächelt). Wir waren für diesen Teil der Arbeit immer nur nachts dort. Tagsüber fand ganz normaler Publikumsverkehr statt, der nicht unterbrochen werden sollte. Insgesamt waren es wohl 20 Nächte, die sich vor allem mein Kameramann Till Vielrose dort um die Ohren schlug, bis alles so im Kasten war, wie wir es mit den ausführlichen Storyboards im Vorhinein angedacht hatten. Das ist für eine Doku natürlich ein sehr langer Zeitraum und die Produktionsfirma hat deshalb auch ganz schön geächzt. Das High-End-Equipment, das Till dafür benutzt hat, ist nämlich extrem teuer zu mieten. Als sie dann aber die Bilder sahen, die er lieferte, und die Animations-Jungs von der Firma Paul‘s Boutique ans Werk gehen konnten, waren sich alle einig, dass es diese Investition mehr als wert war.

    FILMSTARTS: Absolut. Diese Sequenzen lohnen allein den Weg ins Kino, um sie auf einer möglichst großen Leinwand sehen zu können. Zumal sie dort auch noch von wunderbar passender, herrlich verspielt-melancholischer Musik verstärkt werden. Welche Anweisungen hattest du deinen Komponisten Robert Schulte-Hemming und Jens Langbein gegeben?

    Sabine Howe: Das war gar nicht so einfach. Um ganz offen zu sein, wussten meine Produzenten und ich lange selbst nicht so recht, wie die musikalische Begleitung gestaltet werden sollte. Wir hatten überlegt, die Realfilm-Segmente und die Animationssequenzen in diesem Bezug ganz unterschiedlich anzugehen und dafür sogar schon einen anderen Komponisten engagiert. Aber irgendwie funktionierte das nicht. Als Robert und Jens dann dazu kamen, war der Film bereits so gut wie fertig. Ich bat sie, ihren Ideen freien Lauf zu lassen, was sich als die richtige Herangehensweise herausstellte, denn sie erfassten die Stimmung der Bilder perfekt.

    FILMSTARTS: Zu all den verschiedenen Aufnahmen und der aufwändigen Nachbearbeitung in Hamburg wart ihr ja auch noch eine Woche lang in Argentinien. Dort habt ihr zusammen mit den Braun-Zwillingen und ihrem Chefkonstrukteur Gerhard Dauscher die Modellbauerfamilie Martínez getroffen, die seit einigen Jahren mit dem hiesigen Team kollaboriert und unter anderem für die wundervoll lebendigen Rio-de-Janeiro- und Patagonien-Segmente verantwortlich ist. Wie lange hast du insgesamt mit „Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ verbracht?

    Sabine Howe: Uh, das müssen so etwa zwei Jahre gewesen sein – was „Wunderland“ mit großem Abstand zu meinem aufwändigsten Film macht.

    Miniatur Wunderland / TOBIS Film GmbH / Johannes Rupf
    Regisseurin Sabine Howe mit den Braun-Zwillingen auf dem Roten Teppich.

    FILMSTARTS: Wie geht es jetzt für dich persönlich weiter? Siehst du dich auf Dauer als Doku-Filmerin? Oder spielst du mit dem Gedanken, irgendwann vielleicht auch mal fiktive Geschichten auf die Leinwand zu bringen?

    Sabine Howe: Man soll nie „nie“ sagen, aber ich bin nicht so der Fiction-Typ (lacht). Ich liebe es, mit echten Menschen zu arbeiten und wahre Geschichten zu zeigen. Die sind in den allermeisten Fällen viel spannender als etwas, das sich ein Drehbuchautor ausdenken kann.

    FILMSTARTS: Hast du denn schon ein neues Projekt in Planung oder vielleicht sogar damit begonnen?

    Sabine Howe: Das Nachfolgeprojekt ist nicht nur bereits abgedreht, sondern schon im November 2023 auf Arte zu sehen gewesen. Der Film heißt „Die Kung-Fu Nonnen von Nepal“ und ist, finde ich, einer meiner besten geworden. Die nächste Sache, an der ich arbeite, wird sich im weiteren Sinne mit dem Thema Fußball beschäftigen. Mehr mag ich dazu aber noch nicht verraten – weder in Bezug auf den Inhalt noch auf die Machart.

    FILMSTARTS: Zum Abschluss: Dein „Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ ist die erste Dokumentation, die wir von FILMSTARTS für unsere Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgesucht haben …

    Sabine Howe: Es ist wichtig, dass deutsche Dokus in den Kinos starten und dort auch vom Publikum wahrgenommen werden. Auch das sollte ich vielleicht besser nicht sagen, aber es muss sich etwas ändern: Im Kino haben Doku-Filmer die Chance, Geschichten ganz frei zu erzählen, ohne den Dogmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens folgen zu müssen. Es gibt zum Beispiel die absurde Vorgabe, dass jeder dokumentarische TV-Beitrag eine Art Heldengeschichte enthalten müsse. Vor ein paar Jahren kam wohl jemand auf die Idee, dass es das ist, was das Publikum angeblich sehen wolle, und nun ist das eine unabdingbare Vorschrift.

    Ich hatte vor einer Weile einen Film über eine Teenagerin in Saudi-Arabien gemacht, die davon träumte, als erste Primaballerina des Landes öffentlich tanzen zu dürfen. Es ist ja bekannt, wie restriktiv die dortige Gesellschaft mit ihren weiblichen Mitgliedern umgeht. Deshalb kann das Mädchen das Tanzen nur hinter verschlossenen Türen lernen und üben. Als ob das nicht schon Challenge genug wäre, musste ich noch eine Art Wettbewerb einbauen, den sie unbedingt gewinnen sollte. Ohne diesen meiner Meinung nach ärgerlich überflüssigen Part hätte der Beitrag nicht laufen können – was völliger Unsinn ist. Insofern war mein erster Kinofilm für mich nun sehr befreiend, da ich einfach nur die Story erzählen konnte, wie ich sie sah. Ich hoffe, dass mir dies noch öfter möglich sein wird.

    Wie die Zusammenarbeit für die Gründer-Zwillinge war, könnt ihr euch übrigens in der neuesten Folge des FILMSTARTS-Podcasts Leinwandliebe anhören. Dort haben wir nämlich Frederik Braun zu Gast, der uns unter anderem verrät, warum das Miniatur Wunderland selbst von der Konkurrenz milliardenschwerer Scheichs keine Angst zu haben braucht:

    Wir wählen einen Film ja nicht von ungefähr für „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ aus, „Wunderland“ ist aus unserer Sicht also eine absolute Empfehlung. So lautet das Fazit unserer ausführlichen Kritik etwa: „Eine ebenso bildgewaltige wie berührende Doku über einen magisch anmutenden Ort, der nicht nur den Kinderwunsch seiner Schöpfer wahr werden ließ, sondern auch alle, die ihn besuchen (egal ob in echt oder jetzt im Kino), zum Träumen einlädt.“

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