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    Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Wunderland - Vom Kindheitstraum zum Welterfolg

    Kleine Welt ganz groß

    Von Oliver Kube

    Die Dokumentation „Wunderland – Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ führt Kinobesucher aller Altersstufen in das in der Hamburger Speicherstadt angesiedelte Miniatur Wunderland – die mit einer kombinierten Gleislänge von mehr als 16 Kilometern größte Modelleisenbahnanlage der Welt. Mittlerweile zählt die für die Besucher*innen zu großen Teilen per Fernbedienungen sogar interaktive Anlage zu den populärsten Publikumsattraktionen Europas. Jährlich lösen eineinhalb Millionen Gäste aus aller Welt ein Ticket. Erdacht und umgesetzt wurde das Ganze nicht etwa von einem Touri-Konzern, sondern von den Hamburger Zwillingsbrüdern Frederik und Gerrit Braun, die mit ihren etwa 350 Mitarbeitern bis heute dafür sorgen, dass die Züge nicht nur deutlich pünktlicher als bei der Deutschen Bahn abfahren, sondern auch der ein oder andere spektakuläre Unfall samt Feuerwehreinsatz genau nach Plan erfolgt.

    Warum aber fasziniert die Idee der Brauns so viele Menschen und lässt sie selbst am anderen Ende unseres Planeten träumen? Das vermittelt Regisseurin Sabine Howe mit Interviews und Archivmaterial, vor allem aber mit regelrecht poetischen Bildern der Anlage sehr anschaulich. Man muss kein Modelleisenbahn-Nerd sein, um sich in die hier gezeigte Welt im Kleinformat (Maßstab 1:87) zu verlieben. Vielleicht hilft es sogar, wenn man noch gar keine so große Ahnung von der Materie hat. Die hatten die beiden Ex-Diskothekenbesitzer-Zwillinge schließlich auch nicht, als sie begannen, den Traum ihrer Kindheit in die Realität umzusetzen.

    Die Zwillinge Gerrit und Frederik Braun haben das Miniatur Wunderland gegründet – eigentlich totaler Wahnsinn und inzwischen doch ein weltweiter Megaerfolg. Tobis Film
    Die Zwillinge Gerrit und Frederik Braun haben das Miniatur Wunderland gegründet – eigentlich totaler Wahnsinn und inzwischen doch ein weltweiter Megaerfolg.

    „Wunderland“ ist keine Chronik des Miniatur Wunderlands in bewegten Bildern. Vielmehr ist die Doku ein emotionales Porträt der Ausstellung und der Personen, die sie zu dem machen, was sie ist: ein Ort, um der Realität mit all ihren Herausforderungen für ein paar Stunden zu entfliehen. Stattdessen taucht man in eine erstaunlich große kleine Welt ein, die zwar eng an unsere angelehnt ist, aber doch andere, eigene und schon mal herrlich abseitige Fokusse setzt. Dabei werden uns etliche der überall in den Schaubildern versteckten Gags oder Anspielungen gezeigt. Zudem dürfen wir ausführlich in die Werkstätten oder die leicht an Cape Canaveral erinnernde Schaltzentrale hineinschnuppern. Dennoch bleiben einige Hintergründe etwas im Dunkeln – angefangen damit, dass wir allenfalls erahnen können, wie die Brauns ihr neues Unternehmen zumindest teilweise mit dem Verkauf ihres vorhergehenden finanziert haben. Auch der Grad und die Form der Involvierung des Vaters der Zwillinge und wie ihr Halbbruder Sebastian Drechsler dazugekommen ist, werden nie gänzlich ausformuliert.

    Wer also eine streng an Fakten und Zahlen orientierte Historie der Firma bekommen will, ist im falschen Film und wäre mit einem der diversen älteren TV-Beiträge besser bedient. Hier ist die Herangehensweise deutlich emotionaler. Wir lernen die Braun-Brüder als sehr unterschiedliche Charaktere kennen, die allerdings wohl nur zusammen das erreichen konnten, was nun ihr Lebenswerk ist. Sie wirken fast wie die menschgewordenen zwei Hälften des Gehirns: Frederik als der kreative Teil mit den genialen Ideen und Gerrit als der Macher-Typ, der immer wieder Wege findet, die im ersten Moment vielleicht noch „spinnert“ anmutenden Einfälle seines Zwillings umzusetzen. Die Belegschaft vertraut und folgt den beiden bereitwillig – auch weil ihnen die Freiheit zugestanden wird, sich und ihre eigenen Einfälle einzubringen. Die Leidenschaft aller Beteiligten für ihren Job wird in Wort und Bild ganz offensichtlich.

    Die Gründer-Zwillinge tauchen im Film auch als animierte Charaktere in ihr eigenes Wunderland ein. Tobis Film
    Die Gründer-Zwillinge tauchen im Film auch als animierte Charaktere in ihr eigenes Wunderland ein.

    Nirgendwo wird das jedoch emotional spürbarer als in den Momenten, in denen sich das Kamerateam mit den Brauns und ihrem Chef-Konstrukteur Gerhard Dauschke nach Argentinien aufmacht. Dort treffen sie die Familie Martínez, die seit Generationen voller Enthusiasmus Modellbau betreibt. Der Patriarch und seine mittlerweile erwachsenen Kinder hatten vor Jahren einen Bericht über das Miniatur Wunderland auf dem deutschen Auslandsfernsehsender DW-TV gesehen und auf VHS aufgezeichnet. Während sie diesen Film immer wieder anschauten, träumten sie auf der heimischen Hazienda davon, eines Tages nach Hamburg zu reisen und sich das alles in echt anzugucken.

    Durch einen vom Film wunderbar geschilderten Zufall sah Frederik eine der Arbeiten der Familie bei einem Event in New York City und war spontan begeistert. Also kontaktierte er sie und schlug eine Kollaboration vor. Die Südamerikaner konnten es damals kaum glauben. Mit weit aufgerissenen Augen erklärt einer der Söhne, dass Frederik und Gerrit für Modellbauer in etwa das seien, was die Beatles für Musikfans darstellen würden. Einige Jahre später kam der gesamte Clan dann tatsächlich in die Hansestadt, um unter Tränen des Glücks bei der Einweihung des von ihm für das Miniatur Wunderland erschaffenen „Rio de Janeiro“-Segments dabei zu sein.

    Im Miniatur Wunderland sind etliche lustige kleine Szenen versteckt – und natürlich gibt es davon nun auch welche auf der großen Leinwand zu sehen. Tobis Film
    Im Miniatur Wunderland sind etliche lustige kleine Szenen versteckt – und natürlich gibt es davon nun auch welche auf der großen Leinwand zu sehen.

    Zwischen den von allen Beteiligten ganz unbefangen beantworteten Interview-Parts zeigt der Film uns immer wieder brillante CinemaScope-Bilder der Anlage, die allein das Kinoticket wert sind. Unterlegt von einem exzellent passenden, verspielt-melancholischen Score fährt die Kamera extrem dicht an die ca. 290.000 Figürchen, die fast 5.000 Gebäude, mehr als 10.000 Fahrzeuge (Autos, Flugzeuge, Schiffe etc.) und natürlich die über 1.200 Züge heran. Da fällt es leicht, sich komplett in dieser Welt zu verlieren. Vor allem, wenn wir den computergenerierten Mini-Versionen von Frederik und Gerrit folgen, wie sie durch ihr Wunderland spazieren. Die animierte Charaktere sind den Zwillingen nachempfunden, wie wir sie immer wieder in kurzen privaten Videoclips aus ihrer Kindheit zu sehen bekommen. Schon damals stellte das Duo mit seinen Spielzeugen selbst erlebte Szenen aus der realen Welt nach – und so löst der Film seinen Untertitel „Vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ wirklich vollumfänglich ein.

    Fazit: Eine ebenso bildgewaltige wie berührende Doku über einen magisch anmutenden Ort, der nicht nur den Kinderwunsch seiner Schöpfer wahr werden ließ, sondern auch alle, die ihn besuchen (egal ob in echt oder jetzt im Kino), zum Träumen einlädt.

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten Vorurteil vom „lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Wunderland“ ist unsere Wahl für den März 2024.

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