Bevor J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) in Christopher Nolans „Oppenheimer“ mit seiner Frau Kitty (Emily Blunt) zusammenkommt, hat er eine Beziehung mit der Psychologin Jean Tatlock (Florence Pugh). Auch später hat er noch einmal einen Seitensprung mit ihr – über den er ausführlich im Verhör mit Roger Robb (Jason Clarke) Auskunft geben muss. Er macht sich dabei nackt – was Regisseur Nolan auch mit Bildern unterstreicht.
Kurz darauf geht es im Verhör auch um den Tod von Tatlock. Oppenheimer berichtet über ihren Suizid. In die Gesprächsszenen schneidet Nolan dabei immer kurze Szenen, die Tatlocks Tod zeigen – und dabei ist vor allem eines der letzten Bilder besonders. Denn hier ist für einen ganz kurzen Moment ein schwarzer Handschuh zu entdecken, der Tatlocks Kopf unter Wasser drückt. Christopher Nolan zeigt in dieser einen Szene einen Mord – aber so versteckt, dass ihn sehr viele im Kino übersehen haben.
Doch was will er uns damit sagen? War es gar kein Selbstmord, sondern soll dieser kurze Schnipsel uns hier verraten, dass Tatlock in Wirklichkeit ermordet wurde?
Befeuert Christopher Nolan hier eine populäre Verschwörungserzählung?
Die Theorie, dass sich Tatlock nicht selbst umgebracht hat, kursierte schon kurz nach ihrem Tod. Ihr Bruder war zum Beispiel fest davon überzeugt, dass sie ermordet wurde. Als 1975 ein Sonderausschuss des US-Senats feststellte, dass die eigene Regierung in der Vergangenheit Mordanschläge geplant und begangen hat, kam auch Tatlock als ein mögliches Opfer solcher Regierungsaktivitäten zur Sprache. Definitive Beweise dafür wurden aber nie gefunden.
Christopher Nolan will sicher auch auf diese Theorien mit dem kurzen Zeigen des Handschuhs verweisen, doch es geht ihm nicht darum, sich auf die Seite der Verschwörungserzählung zu stellen und diese als die Wahrheit zu porträtieren. Wir sehen hier schließlich die Gedanken von J. Robert Oppenheimer, seine Sicht auf die Dinge.
Er ist von Schuld zerfressen. Er glaubt, dass sich Tatlock umgebracht hat, weil sie nicht mit ihm zusammen sein konnte. Doch er sieht in seinen Gedanken auch andere Möglichkeiten. Ihm ist durch das Zusammentreffen mit dem Armee-Offizier Boris Pash (Casey Affleck) und die anschließenden Schilderungen von Leslie Groves (Matt Damon) die Möglichkeit bewusst, dass das Militär selbst vor Mord nicht zurückschrecken könnte, um das Manhattan-Projekt geheim zu halten. Er weiß, dass die instabile, mit Kommunisten verbundene Tatlock als Sicherheitsrisiko eingestuft und deswegen beschattet sowie überwacht wurde.
Daher sehen wir in diesem Moment sowohl Szenen, die zeigen, dass sich Tatlock selbst umbringt, wie auch die eine Szene mit dem Handschuh, die man leicht verpassen kann, wenn man nur im falschen Moment blinzelt oder nicht auf die linke Seite der Leinwand schaut, von welcher der Handschuh kurz ins Bild kommt. Es sind alles Gedanken und Möglichkeiten, die durch Oppenheimers Kopf gehen. Doch es ist alles nur seine subjektive Sicht der Dinge – wie bei allen Farbszenen des Films.
„Oppenheimer“ läuft aktuell in den deutschen Kinos.
Das Ende von "Oppenheimer" erklärt: Darum ist es das erschütterndste Finale aller Zeiten