Wenn sich der Regisseur der „Indiana Jones"-Filme und der Macher der „Herr der Ringe"-Verfilmung für ein gemeinsames Projekt zusammentun, ist das eine der hochkarätigsten Kollaborationen in der Geschichte Hollywoods – die Erwartungen an die Kinoumsetzung der „Tim und Struppi"-Comics des Belgiers Hergé, die je nach Erfolgsfall bis zur Trilogie ausgebaut werden soll, waren entsprechend hoch. Aber Steven Spielberg und Peter Jackson zeigen sich der Herausforderung gewachsen. Der erste Teil „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der ‚Einhorn‘" gerät unter der Regie von Spielberg zum Triumph - und Jackson, der diesmal als Produzent fungiert, wird sich bei der geplanten Fortsetzung, bei der er die Inszenierung übernehmen soll, ganz schön ins Zeug legen müssen, um das vorgelegte Niveau zu halten: Schließlich ist „Das Geheimnis der ‚Einhorn‘" einer der besten Abenteuerfilme seit Spielberg das Genre 1989 mit „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug" schon einmal revolutionierte - oder anders ausgedrückt: Mit „Die Abenteuer von Tim und Struppi" ist Spielberg nun der Film gelungen, den sich Fans eigentlich schon vor drei Jahren von „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" erhofft hatten.
Reporter Tim (Jamie Bell) ersteht auf dem Trödelmarkt ein Modell der „Einhorn", die schon vor Jahrhunderten auf den Meeresgrund gesunken ist. Offenbar ist er jedoch nicht der einzige, der sich in das Modellschiff verguckt hat, denn schon kurze Zeit später bieten ihm ein dicklicher Amerikaner (Joe Starr) sowie der undurchsichtige Sakharin (Daniel Craig) viel Geld für die Antiquität. Aber Tim lehnt dankend ab und stellt das Schiff lieber auf seinen Kaminsims. Doch damit ist die Angelegenheit keinesfalls erledigt. Erst wird ein Mann auf der Türschwelle zu Tims Haus erschossen und dann wird auch noch seine Wohnung durchwühlt. Offenbar ist in dem Modell etwas versteckt, das so wertvoll ist, dass die Verbrecher nicht einmal vor einem Mord zurückschrecken. Aber noch bevor Tim der Sache näher auf den Grund gehen kann, wird er niedergeschlagen und auf ein echtes Schiff verschleppt, wo er auf den ständig besoffenen Kapitän Haddock (Andy Serkis) trifft, der von seiner eigenen Crew überrumpelt und in seiner Kabine eingesperrt wurde...
Spielberg und Jackson haben sich für das sogenannte Performance-Capture-Verfahren entschieden, bei dem zunächst die realen Darsteller in blauen Anzügen die Szenen spielen, ehe ihre Bewegungen und ihre Mimik per Computer auf die animierten Figuren übertragen werden. Diese Technik war nach dem Flop „Milo und Mars" zuletzt ein wenig in Verruf geraten, aber Spielberg und Jackson zeigen, wie es richtig geht. Die Bilder sind technisch brillant und die überbordende Fantasie der Beteiligten macht jede Szene zu einem Augenschmaus – da verwandeln sich die Dünen der marokkanischen Wüste plötzlich in tosende Wellen, zwischen denen sich zwei feindliche Kapitäne mit ihren Schiffen ein tödliches Duell liefern. Etwas ähnliches lässt sich übrigens auch über den Einsatz der beim Publikum zunehmend in Ungnade fallenden 3D-Technik sagen: „Das Geheimnis der ‚Einhorn‘" zeigt endlich wieder einmal, dass die dritte Dimension nicht zwingend Kopfschmerzen verursachen muss, sondern ein echtes Plus sein kann, wenn sich die Macher nur mal ein bisschen Gedanken darüber machen. Gleich zu Beginn spielt Spielberg übrigens augenzwinkernd auf die modernisierte Optik an: Das Publikum schaut einem Hergé nachempfundenen Straßenkünstler zu, wie er ein Porträt von Tim malt – so sieht der Zuschauer zunächst den klassischen, zweidimensionalen Tim, bevor die Kamera herumschwenkt und so zum ersten Mal den Blick auf den jungen Reporter in all seiner dreidimensionalen Pracht freigibt.
Zwar ist der ganze Film voll von solchen verspielten inszenatorischen Finessen, es gibt zum Beispiel etliche Szenen mit Spiegeln und Spiegelungen oder wir blicken durch eine von Haddocks Whiskyflaschen, was zu spannenden Verfremdungseffekten führt. Aber es gibt neben solchen amüsanten Einzelheiten auch viele sehr ernste und hochspannende Momente sowie eine Prise Gewalt. Das war zwar auch in den Comics schon so, aber man hat oft genug gesehen, wie Hollywood Stoffe entschärft hat, um die Familientauglichkeit zu gewährleisten, und Spielberg selbst hat einst für eine Wiederaufführung von „E.T. - Der Außerirdische" per digitaler Nachbearbeitung die Pistolen der Polizisten durch Walkie Talkies ersetzt. Aber hier bleibt er der Vorlage treu und findet jederzeit den richtigen Tonfall. So ist nicht direkt zu sehen, wie ein Mann von Maschinengewehrkugeln durchlöchert wird, aber er verschmiert anschließend sein Blut auf einer Zeitung, um Tim so noch einen entscheidenden Hinweis zu geben. Und natürlich säuft und flucht Kapitän Haddock auch in diesem Film, als gäbe es kein Morgen. Hagel und Granaten, bei allen heulenden und jaulenden Höllenhunden - es freut uns wirklich sehr, dass Hollywood „Tim und Struppi", wie wir es kennen und lieben, nicht unnötig weichgewaschen hat.
Dass man den Film trotzdem bedenkenlos Kindern ab acht Jahren empfehlen kann, liegt daran, dass Spielberg die spannenden Szenen immer wieder mit reichlich Humor auflockert. Und weil Tim selbst nun mal ein ziemlich ernsthafter Zeitgenosse ist, müssen diesen Part eben andere übernehmen. Zunächst ist da natürlich Tims treuer Foxterrier Struppi, der auch schon mal einen um das Zehnfache größeren Dobermann zusammenbellt, wenn dieser sein Herrchen bedroht. Seinen lustigsten Auftritt hat Struppi, als er ein Auto verfolgt und dabei eine Abkürzung durch eine Herde eingepferchter Kühe wählt – das ist Slapstick, wie man ihn besser nicht inszenieren kann. Der cholerische Kapitän Haddock sorgt unterdessen mit seinem unflätigen Gefluche für reichlich Lacher – auch wenn seine Worte bei genauem Hinhören gar nicht so derb sind. Das melonen- und spazierstocktragende, ständig die Sätze des anderen wiederholende Ermittler-Duo Schultze (Nick Frost) und Schulze (Simon Pegg) fehlt natürlich auch nicht und erweist sich vor allem im Fall eines dreisten Taschendiebs (Toby Jones) als herrlich unfähig. Und dann gibt es da ja auch noch diesen kleingewachsenen marokkanischen Scheich, der sich als riesiger Opernfanatiker entpuppt und Regisseur Spielberg wie aus dem Gesicht geschnitten ist...
Fazit: Wenn der Abspann rollt, fiebert man augenblicklich der Fortsetzung entgegen. „Das Geheimnis der ‚Einhorn‘" ist ebenso spannend wie humorvoll und wird dem Geist der Comics in jeder Szene gerecht. Kurzum: Ein unbedingtes Muss für Freunde klassischer Abenteuerkost genauso wie für Fans moderner Animationskunst.
P.S.: Jetzt heißt es Daumendrücken, dass mein persönlicher „Tim und Struppi"-Liebling, der trottelige Professor Bienlein, im zweiten Teil vielleicht auch einen kleinen Auftritt bekommen wird.