Wunderschöne Oberflächen
Von Michael MeynsIn Homers „Odyssee“ wurden die Sirenen zum ersten Mal erwähnt, jene Wesen, die mit ihrer Schönheit und ihrem Gesang jeden Mann verführen und in den Abgrund reißen. Eine von ihnen wurde in der griechischen Mythologie später Parthenope genannt. Mit diesen ca. 2.800 Jahre alten literarischen Höhenflügen kann der neue Film von „The New Pope“-Schöpfer Paolo Sorrentino aber leider nicht mithalten: In „Parthenope“ beweist sich der italienische Regisseur zwar einmal mehr als Meister glatt-glänzender, wunderschöner Bilder, doch sein Porträt der Titelfigur, die 1950 in Neapel geboren wird, den Männern den Kopf verdreht, aber doch nach Höherem strebt, bleibt pure Oberfläche. Dank der atemberaubenden Hauptdarstellerin Celeste Dalla Porta zwar eine ganz besonders attraktive, doch ohne Ecken und Kanten, Brüche und Konflikte wird selbst das Betrachten von Perfektion irgendwann langweilig.
Neapel, 1950. In jenen Wassern, in denen der Legende nach einst die titelgebende Sirene ertrank, wird ein Baby geboren. Das Mädchen wird folgerichtig auf den Namen Parthenope getauft und erstrahlt nach einem Zeitsprung ins Jahr 1968 in atemberaubender Schönheit. Ihrem Bruder Raimondo (Daniele Rienzo) gelüstet es ebenso nach ihr wie Sandrino (Dario Aita), dem Sohn eines der vielen Dienstmädchen in dem schmucken Haus, in dem die Angehimmelte aufwächst. Doch Parthenope ist nicht nur attraktiv, sondern auch klug und gewitzt, womit sie ihren zukünftigen Anthropologie-Professor und Mentor Devoto Marotta (Silvio Orlando) schon bei der Aufnahmeprüfung zur Universität beeindruckt. So umwerfend ist Parthenope, dass selbst der alternde, alkoholkranke amerikanische Schriftsteller John Cheever (Gary Oldman), dem Parthenope auf Capri begegnet, von ihr fasziniert ist…
Es ist kein Geheimnis, dass sich Paolo Sorrentino für Jugend und Schönheit interessiert, nicht umsonst heißen zwei seiner Filme „Die große Schönheit“ und „Ewige Jugend“. Aus der Faszination für die Schönheit der Jugend, die zwangsläufig irgendwann vergehen muss, entstehen dann fast zwangsläufig die Stimmungen, die die meisten von Sorrentinos Filmen durchziehen: Nostalgie und Melancholie herrschen dort vor. Nach Jahren der Rom-Filme kehrte Sorrentino zuletzt mit seiner Netflix-Produktion „The Hand Of God“ in seine Heimatstadt Neapel zurück, wo nun auch sein neues elegisches Epos spielt.
Abgesehen von einem kurzen Prolog und Epilog, spielt ein Großteil von „Parthenope“ zwischen 1968 und 1982. 15 Jahre im Leben der schönen Parthenope, die in dieser Zeit studiert und zur Assistenz-Professorin wird, sich viele Männer hörig macht und dabei nie ihr sanftes, gleichermaßen einladendes wie mysteriöses Lächeln verliert. Warum Parthenope jeden Mann betört, liegt einerseits auf der Hand, bleibt andererseits aber auch ein Rätsel, denn abgesehen von ihrer Attraktivität bleibt die Figur unergründlich. Was auch daran liegt, dass Sorrentino wie so oft kein wirkliches Interesse an komplexen Figuren hat, sondern vor allem an Typen und Chiffren, gerade wenn es um Frauen geht.
Parthenope wirkt dann auch weniger wie eine reale Person, sondern mehr wie eine fleischgewordene Männerphantasie. Ein Wesen von so unfassbarer Schönheit, dass bisweilen nicht nur die zahlreichen Männerfiguren im Film zu sabbern scheinen, sondern auch Sorrentinos Kamera kaum an sich halten kann. In tiefst dekolletierten Kleidern schlendert dieses ätherische Wesen da durch wunderbare Paläste, posiert vor der malerischen Kulisse des italienischen Südens oder räkelt sich lasziv rauchend auf Betten oder am Strand. In gewisser Weise wie eine typische Mary-Sue-Figur wirkt Parthenope in diesen Momenten, zumindest wenn man Sorrentinos Film für ein progressives, feministisches Werk halten würde. Diesen Gedanken kann man allerdings getrost begraben, denn das Progressivste an „Parthenope“ ist, dass Sorrentino seine Hauptdarstellerin tatsächlich nie nackt zeigt, eine Zurückhaltung, die angesichts der in seinem Œuvre bis dato vorherrschenden Zurschaustellung vieler entblößter Frauenkörper dann doch ein wenig überrascht.
Nachdem er seine gesamte Karriere Filme über Männer gedreht hat, wollte Sorrentino nun einen Film mit einer weiblichen Hauptfigur drehen, wollte mal etwas aus weiblicher Perspektive erzählen. Doch was er über Frauen zu sagen hat, war und bleibt mehr als dünn. So wird seine Hauptfigur nie zu einer selbstständigen Figur, sondern agiert vornehmlich so, wie sich das ein altmodischer Macho so vorstellt: verführerisch, mit dem Männern spielend, aber dann doch gerade von jenen Männern fasziniert, die schon auf den ersten Blick – gelinde gesagt – problematisch erscheinen. Egal ob der Alkoholiker Cheever oder gar – in einer besonders verunglückten Szene – ein alternder Priester, von dem sich die schöne Parthenope ernsthaft in einer Kirche fingern lässt.
Ob man das jetzt als Anklage der Kirche verstehen soll, die den verführerischen Reizen einer Sirene ebenfalls nicht gefeit ist, bleibt wie so vieles in diesem Film ein Rätsel. Sanft bewegt sich Parthenope durch die Zeit, altert nicht, verändert sich nicht. Der Erfolg fliegt ihr zu, aber letztlich bleibt sie allein, ohne dass es ihr so oder so etwas auszumachen scheint. Dass Sorrentino die Makellosigkeit seiner Hauptdarstellerin fasziniert, kann man verzeihen, dass er um sie herum einen so glatt-oberflächlichen Film gebaut hat, eher weniger.
Fazit: Einmal mehr erweist sich Paolo Sorrentino als Meister der Oberfläche, zeigt schöne Menschen in schöner Umgebung. Doch anders als in seinen vorherigen Filmen mit männlichen Hauptfiguren, die mal mehr, mal weniger überzeugend von Schönheit, Jugend und Vergänglichkeit erzählen, fällt Sorrentino zu seiner weiblichen Hauptfigur wenig mehr ein, als ihre Schönheit zu bewundern.
Wir haben „Parthenope“ beim Cannes Filmfestival 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.