Das böse, böse Filmgeschäft oder Once Upon a Time in Cinecittà
Von Janick NoltingTriff nie deine Helden, sagt man bekanntlich. Meistens soll es nur in Enttäuschung gipfeln. Besonders dann, wenn man sich im Kino den Zauber des Films, den Zauber einzelner Persönlichkeiten bewahren will, die dort überlebensgroß über die Leinwand flimmern. Wer diese Weisheit bislang nicht verinnerlicht hat, kann ihre Beweggründe in Saverio Costanzos („Meine geniale Freundin”) neuem Historiendrama noch einmal über 140 Minuten nachvollziehen. „Finally Dawn” führt die verführerische Kraft des Films und des Kinos vor, um dann einen entlarvenden Blick hinter die Kulissen zu werfen. Was er dort findet, lässt einen in erster Linie entnervt die Augen verdrehen.
In den 1950er-Jahren träumt man davon, nach ganz oben zu gelangen, wenngleich man im selben Moment ahnt, dass der Aufstieg wahrscheinlich nur wenigen vergönnt sein wird. Die junge Mimosa (Rebecca Antonaci) ist von jetzt auf gleich eine von jenen, die noch hoffen dürfen. Nach einem Kinobesuch in Rom wird ihre Familie auf ein Casting für einen großen Historienfilm aufmerksam gemacht. Mimosa betritt die Studiowelt der Cinecittà als Statistin, aber entsprechen die Szenen, die sich dort abspielen, wirklich dem, was sich Menschen von der glamourösen Filmwelt erträumen? Wenn endlich die Morgendämmerung anbricht, wird eine Nacht hinter ihr liegen, in der alles entzaubert wurde...
Plötzlich sitzt Mimosa mit den Stars aus Hollywood im Auto.
Saverio Costanzo lässt seine Protagonistin erst einmal eine Reihe unheilvoller Schlaglichter durchwandeln. Im Dunkel des labyrinthischen Filmstudios werden einzelne Plattformen und Zonen erhellt. Menschen werden dort wie Objekte vermessen und drapiert. Halbnackte Männer posieren. Hinter verschlossenen Türen begutachtet man Frauen, fordert sie auf, mehr Haut zu zeigen. Es soll angeblich dem Casting-Prozess dienen. Schließlich hatten die Frauen im alten Ägypten auch keine Jacken, gemahnt man scheinheilig bei den Vorbereitungen für ein neues Sandalen-Epos.
Was beim eigentlichen Dreh passiert, bleibt zunächst geheim. Zwei Kinder schauen durch ein Loch in einem Brettergerüst. Dahinter hört man schreiende Menschen. Mimosa will sich den beiden gerade anschließen, um einen Blick zu erhaschen, da greift auch schon der Ordnungswächter ein. Erst später taucht die Kamera in die immensen Kulissen und prächtigen Szenarien ein, welche auf der Leinwand künftig erstrahlen sollen.
Costanzo lässt sein Publikum minutenlang einen Film im Film sehen, ohne die Praktiken seiner Entstehung tatsächlich reflektieren zu können. Dafür ist sein verklärender Blick auf das künstlerische Resultat viel zu naiv. Es darf überwältigender, auratischer Mythos bleiben, obwohl hier eigentlich eine überhöhte Welt entzaubert werden soll.
Man hat ohnehin viel zu schnell durchschaut, was „Finally Dawn” anprangern will: Übergriffigkeit, Machtmissbrauch, Dauerstress. Menschen werden wie Objekte behandelt. Skandalregisseur Gaspar Noé hatte aus diesen Dynamiken, Machtverhältnissen und ihren Rollentypen in „Lux Aeterna” noch eine angemessen überzeichnete und verstörende Parodie gesponnen. Oder Quentin Tarantino: Seine Filmbranchen-Komödie „Once Upon a Time... in Hollywood” hegte zumindest ein echtes Interesse an den Figuren und ihren Konflikten. Costanzos Historiendrama handelt derweil nur von leblosen Abziehbildern. Er kann den genannten filmischen Verwandten nicht ansatzweise das Wasser reichen, denn sein Drama bleibt durchweg berechenbar, reiht naheliegendste und längst bekannte Beobachtungen aneinander, ohne irgendeinen interessanten Bruch herbeizuführen.
Schauspiel-Diva Josephine Esperanto (Lily James)
„Finally Dawn” erschöpft sich somit in ewigen Variationen, die im weiteren Verlauf das Set verlassen und zu einer Fahrt durch die Nacht aufbrechen - mit Willem Dafoe („Poor Things”) als Chauffeur. Mimosa steigt zu den hier in Italien drehenden Stars aus Hollywood ins Auto, die sie zu einer Party der High Society mitnehmen. Die junge Frau kann ihr Glück kaum fassen, doch erneut wird sie nur Enttäuschungen und Entsetzen erleben. Darsteller, die sie auf der Leinwand bewunderte, entpuppen sich im realen Leben plötzlich als übergriffige Typen. Beziehungsweise: Sie entpuppen sich genau als die Scheusale, die sie auch im Film verkörpern.
Man führt einander vor, ist eifersüchtig, hat Angst, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Partner*innen reicht man achtlos hin und her und dann wird auch noch Kokain ausgepackt. Es sind müde Klischees, die „Finally Dawn” über „die da oben” zu zeigen hat. Saverio Costanzo bestätigt lediglich das, was ohnehin schon alle zu wissen glauben. Wie oft will man diese alten Kamellen denn noch vorkauen? Wozu überhaupt? Damien Chazelle hatte aus ihnen in „Babylon - Rausch der Ekstase” immerhin noch echten inszenatorischen Exzess kreiert. Diese Enthemmung fehlt Costanzo völlig.
Fatal ist eine solche Einfallslosigkeit nicht nur für den Film selbst, sondern auch deshalb, weil damit Klassenverhältnisse zementiert und beibehalten werden. Das schiefe Sinnbild, mit dem der Film endet, kann daran ebenfalls wenig ändern. Mimosa, die unbedarfte Schönheit aus einfachen Verhältnissen, darf zuvorderst lernen, dass doch jede*r in der eigenen Sphäre bleiben sollte. Was sollte man bei den Reichen und Schönen auch wollen, wenn dort dauernd ein falsches Spiel gespielt wird? Einmal soll Mimosa ein Gedicht rezitieren, doch sie kann nur schweigen und weinen, bis ihr Publikum ebenfalls in Tränen ausbricht. Costanzo lässt seine eigentlich talentierte Hauptdarstellerin Rebecca Antonaci erst wenig anderes tun, als orientierungslos oder erschrocken in die Gegend zu starren. Dann degradiert er sie vollends zur charakterlosen Ursprünglichen und Reinen, die den Unsympath*innen allein so etwas wie echte Gefühle entlocken kann.
Natürlich, das ist eine Welt, die in ganz besonderem Maße mit Schauspiel, Maskeraden und künstlichen Fassaden arbeitet. Lily James als selbstzweifelnde Schauspiel-Diva ist diesbezüglich einer der wenigen Lichtblicke in diesem Film. Aber man kann ihr nicht so schnöde und träge begegnen! Wie sich Menschen in der Scheinwelt der Filmbranche verlieren können, dazu war mit David Lynchs „Mulholland Drive” und „Inland Empire” eigentlich das Meiste gesagt. „Finally Dawn” hat dem nichts hinzuzufügen und schleppt sich müde durch die schicksalhafte Nacht. Schließlich ist der Titel Programm: Endlich Morgendämmerung! Das Ende dieser Odyssee kann nicht schnell genug kommen.
Fazit: Saverio Costanzo hat die langweiligere Version von „Babylon” gedreht. „Finally Dawn” verschwendet seinen talentierten Cast und wärmt allein abgedroschene Klischees über die Filmbranche auf!
Wir haben „Finally Dawn“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.