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    Freud - Jenseits des Glaubens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Freud - Jenseits des Glaubens

    So streitet man richtig

    Von Gaby Sikorski

    Im März 1938 fand nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich der sogenannte „Anschluss“ an das Deutsche Reich statt. Wenige Monate später konnte der zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 80 Jahre alte Sigmund Freud mit seiner Familie aus Wien nach London entkommen. Allerdings war da bereits abzusehen, dass der schwerkranke Begründer der modernen Psychoanalyse nicht mehr lange leben würde – und tatsächlich nahm er sich bereits am 23. September 1939 mittels eines begleiteten Selbstmords das Leben. Zuvor allerdings führte er noch ein langes Gespräch mit einem Oxford-Professor, so viel ist sicher – nur wer dieser Professor genau war, das ist nicht überliefert.

    Das 2009 uraufgeführte Theaterstück „Freud’s Last Session“ von Mark St. Germain beruht auf der Annahme, dass es sich bei dem unbekannten Besucher um niemand geringeren als den Schriftsteller und Theologen C. S. Lewis gehandelt haben könnte. Der überzeugte Christ ist später vor allem als Autor von „Die Chroniken von Narnia“ in die (Fantasy-)Literaturgeschichte eingegangen. Der „Poesie des Unendlichen“-Regisseur Matthew Brown hat das Zwei-Personen-Stück nun unter dem Titel „Freud – Jenseits des Glaubens“ als kammerspielartiges Vexierspiel verfilmt.

    Sigmund Freud (Anthony Hopkins) ist mit seiner Tochter Anna (Liv Lisa Fries) vor den Nazis nach London geflohen. X-Verleih
    Sigmund Freud (Anthony Hopkins) ist mit seiner Tochter Anna (Liv Lisa Fries) vor den Nazis nach London geflohen.

    Die Idee eines fiktiven Dialogs zwischen zwei prominenten historischen Persönlichkeiten, die sich in Wahrheit vermutlich nie getroffen, geschweige denn derart ausführlich ausgetauscht haben, ist nicht komplett neu. Exemplarisch sei hier etwa „Insignificance“ mit Albert Einstein und Marilyn Monroe genannt (ebenfalls zuerst ein Theaterstück, später ein origineller Film von Nicolas Roeg). In „Freud“ geht es allerdings weniger lustig zu, stattdessen könnten schon die Umstände – die Kriegserklärung gegenüber Deutschland, die unsichere Zukunft sowie Freuds schlechter Gesundheitszustand – kaum schlechter sein. Das Ergebnis ist dann auch ein relativ wortlastiges, aber nichtsdestoweniger spannendes Streitgespräch, in dem sich viele Parallelen zur aktuellen Situation finden: eine ungewisse kritische Lage, die stete Kriegsgefahr, eine von Ängsten gebeutelte Gesellschaft.

    Es wird einem also vor allem jede Menge Stoff zum Nachdenken geboten. Und dank der großartigen Besetzung mit dem zweifachen Oscargewinner Anthony Hopkins als Sigmund Freud, „Watchmen“-Bösewicht Matthew Goode als Kultautor C. S. Lewis sowie nicht zuletzt Liv Lisa Fries („In Liebe, Eure Hilde“) gibt es Schauspielkunst auf höchstem Niveau. Trotz aller Bemühungen der Co-Autoren St. Germain und Brown, das Theaterstück für die große Leinwand aufzupeppen, bleibt die Bühnenherkunft sicht- und spürbar. Das ist nicht unbedingt ein Qualitätsmangel, sorgt aber schon aufgrund der vielen Innenaufnahmen für eine gedeckte Grundstimmung – und auch sonst ist die Atmosphäre bedrückt: Der Film spielt an einem einzelnen Tag, dem 3. September 1939, also genau dem Datum, an dem das Vereinigte Königreich Deutschland den Krieg erklärt.

    So eine Streitkultur sollte uns allen Vorbild sein

    Kein Wunder also, dass die beiden Männer in diesem Umfeld nicht weniger als eines der ganz großen Themen der Menschheit diskutieren: Gibt es einen Gott? Speziell in dieser Frage stehen sich der Atheist Sigmund Freud und der Christ C. S. Lewis als Kontrahenten gegenüber. Zwar sind beide Wissenschaftler, aber sie haben jeweils auch ihre persönlichen Traumata, die sie mit sich herumtragen. Besonders C. S. Lewis, der seine Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg bis dato nicht verarbeiten konnte. Seine Kriegserlebnisse werden im Film als Rückblenden eingebaut.

    Für beide Männer ist es selbstverständlich, dass sie voreinander Respekt haben, auch wenn sie vollkommen unterschiedliche Ansichten vertreten. So ist ihr Gespräch nicht nur ein Diskurs über die Existenz Gottes, sondern auch ein Musterbeispiel für Streitkultur, eine Form der Auseinandersetzung, die in den letzten Jahren immer mehr in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Weder Freud noch Lewis greifen sich persönlich an, wenn sie diskutieren oder disputieren. Sie hören einander zu, und es scheint, als ob ihre gegenseitige Hochachtung sogar weiterwächst, je länger sie sich unterhalten.

    Auch das Publikum kann mal tief durchatmen, wenn Sigmund Freud und C.S. Lewis (Matthew Goode) zur Abwechslung auch mal an der frischen Luft diskutieren. X-Verleih
    Auch das Publikum kann mal tief durchatmen, wenn Sigmund Freud und C.S. Lewis (Matthew Goode) zur Abwechslung auch mal an der frischen Luft diskutieren.

    Dabei entwickelt sich auf der Grundlage ihrer Biografien eine spannende Verbindung zwischen Psychologie, Philosophie und Theologie: Lewis und sein Kriegstrauma, Freud und sein Verhältnis zu Frauen, insbesondere zu seiner Tochter Anna (Liv Lisa Fries). Allerdings gibt es hier weder Anklagen noch Beschuldigungen. Den beiden Männern geht es nicht ums Rechthaben, sondern um Erkenntnisgewinn. Anthony Hopkins übernimmt dabei die Führung, er ist einfach großartig in der Wahl seiner schauspielerischen Mittel, spielt zugleich den ausgefuchsten Intellektuellen und den leidenden alten Zausel. Er ist witzig und melancholisch, starrköpfig und kreativ im selben Moment.

    Und er ist sehr überzeugend: Ja, so muss er wohl gewesen sein, der alte Sigmund Freud in seinen letzten Tagen. Matthew Goode als sein Gegenspieler kann da durchaus Schritt halten und steigert sich im Diskurs sogar: Ein Mann, der sich zwar in seinem Glauben nicht erschüttern lässt, der aber dennoch von seinem Kontrahenten lernen will. Und schließlich Liv Lisa Fries: Sie spielt sehr beherrscht und mit akzentuiert gesetzten kleinen Bewegungen Freuds Tochter, die sich von ihrem Vater ausnutzen lässt, von dem sie sich zugleich aber auch wünscht, dass er die Liebe zwischen ihr und ihrer Lebensgefährtin absegnet. So ganz reicht dieser kurze Schlenker allerdings nicht aus, um aus „Freud – Jenseits des Glaubens“ nicht nur einen intellektuell, sondern auch emotional stimulierenden Film zu machen.

    Fazit: Es wird viel geredet in diesem Film. Aber Anthony Hopkins, der stark auf die 90 zugeht, zeigt in der Rolle des krebskranken Sigmund Freud einmal mehr seine ganze schauspielerische Klasse. „Wir sind alle Feiglinge im Angesicht des Todes“, sagt der alte, kranke Mann und fasst damit in einem einzigen Satz zusammen, warum sich die Menschen überhaupt mit Themen wie Religion und Philosophie beschäftigen. „Freud – Jenseits des Glaubens“ wäre dabei sicherlich kein schlechter Einstieg, selbst wenn der Bühnendiskurs auf der Kinoleinwand hier und dort durchaus auch mal ein wenig trocken wirkt.

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