Ein gnadenlos (!) gutes Timing
Von Christoph PetersenIn der Filmanalyse hat sich längst die Lesart durchgesetzt, dass „Die Nacht der lebenden Toten“, George A. Romeros bahnbrechendes Zombie-Meisterwerk aus dem Jahr 1968, auch eine direkte Reaktion auf den Vietnamkrieg gewesen sei. Offenbar bedurfte es einer zusätzlichen Abstraktionsebene, in diesem Fall einer Invasion der Untoten, um den Schreckensbildern aus Südostasien auf der Leinwand begegnen zu können. Auch „Civil War“ fühlt sich über weite Strecken an wie ein typisches Zombie-Roadmovie: Eine Gruppe von Überlebenden fährt durch eine dystopische USA und gerät dabei in alle möglichen brenzligen Situationen, manche absurd, viele blutig. Man kennt das aus zahllosen Genrestücken – von „Dawn Of The Dead“ bis „Zombieland“. Aber im Gegensatz zu Romero gönnt „Ex Machina“-Mastermind Alex Garland seinem Publikum (fast) keinen Abstand. Offensichtlich unter dem Eindruck der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 entstanden, entwickelt das verstörende Zukunftsszenario aus „Civil War“ nur wenige Monate vor den US-Wahlen im November 2024 so eine regelrecht gespenstische Intensität.
In einer nicht allzu fernen Zukunft: Nachdem der US-Präsident (Nick Offerman) entgegen der Verfassung eine dritte Amtszeit angetreten, das FBI aufgelöst und schließlich sogar Luftschläge gegen seine eigene Bevölkerung angeordnet hat, ist in den USA ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Angeführt von Texas und Kalifornien, scheint es inzwischen nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die sogenannten „Western Forces“ in Washington D.C. einmarschieren, um den diktatorischen Präsidenten samt seiner Regierung abzusetzen. Zuvor hoffen der Reporter Joel (Wagner Moura) und die Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst) allerdings noch auf einen finalen Coup: Obwohl Journalisten auf der anderen Seite der Front wie feindliche Kämpfer*innen behandelt werden, wollen sie es noch vor den Truppen in die ca. 1.400 Kilometer entfernte Hauptstadt schaffen, um dort das erste Interview mit dem Präsidenten seit 14 Monaten zu führen – schließlich könnte es zugleich auch sein letztes sein…
Wenn Lee in einer kurzen, schnell geschnittenen Montage an ihre früheren Einsätze zurückdenkt, sieht es so aus, als hätte Alex Garland die aufblitzenden Erinnerungssplitter tatsächlich mit realen Dokumentaraufnahmen aus Krisengebieten bebildert. Kurz darauf sehen wir, wie ein Schwarzer Mann mit einem Autoreifen gefesselt, mit Benzin übergossen und angezündet wird – und die Kamera bleibt in diesem Moment sehr viel länger an dem brennenden Körper hängen, als man es von einem Hollywood-Mainstreamfilm eigentlich erwarten würde. „Civil War“ macht genauso wenig Gefangene wie die beiden Kriegsparteien – nicht bei der Bebilderung der Folgen eines Selbstmordanschlags auf die Wartenden vor einer Trinkwasserausgabe und auch nicht beim Entlanggleiten an einem Massengrab, das eine Gruppe vermeintlicher Freiheitskämpfer mit all jenen gefüllt hat, die in ihren Augen nicht als „wahre Amerikaner“ durchgehen. Alex Garland scheint also auf eine größtmögliche Authentizität abzuzielen.
Wenn die Journalist*innen eine Armeeeinheit beim Erstürmen eines Gebäudes begleiten, dabei immer nur einen Schritt von den Soldaten entfernt sind, gibt es lange keinerlei Filmmusik. Die Anspannung ist kaum noch auszuhalten – aber dann, nach der effizienten Eliminierung des ersten Kombattanten, wird dieser hyperrealistische Stil plötzlich fallengelassen. Stattdessen erklingt während einer Montage der weiteren Kampfhandlungen der Song „Say No Go“ der New Yorker Hip-Hop-Gruppe De La Soul, den man so eher in einem Tarantino-artigen Siebziger-Jahre-Retro-Streifen erwartet hätte. Man mag solche Einschübe, die „Civil War“ zumindest zwischenzeitig ganz eindeutig als Genrefilm verorten, für inkonsequent halten. Genauso gut kann man aber auch Alex Garland dafür danken, dass er einen zumindest für einen kurzen Moment aus dem ansonsten allzu glaubhaften Horrorszenario zurück in die Sicherheit eines Kinofilms entlässt. Wobei der „Auslöschung“-Regisseur auch sonst auf ziemlich spannende Weise mit der Nähe beziehungsweise dem Abstand zur realen Situation der Vereinigten Staaten im Jahr 2024 spielt.
Das fängt ja schon mit der größten Pointe des Films an: Ausgerechnet Texas und Kalifornien sollen sich zusammengeschlossen haben, um gegen die abtrünnige US-Regierung vorzugehen? So macht „Civil War“ von Beginn an klar, dass es hier nicht um eine an den Parteilinien entlanglaufende Trump-Abrechnung geht (wer das sehen will, dem empfehlen wir „The Hunt“). Nick Offerman ist zwar vor allem als Comedy-Star aus der Sitcom „Parks And Recreation“ bekannt, aber er gibt den Präsidenten trotzdem nicht als Witzfigur. Satirische Elemente sind vereinzelt vorhanden, etwa wenn ausgerechnet der kanadische Dollar zum begehrtesten Zahlungsmittel der USA mutiert, aber bleiben dennoch die Ausnahme. Für Alex Garland ist offensichtlich Schluss mit lustig – und so begegnet er seinem Szenario bis hin zum absolut konsequenten Finale mit einer seltengewordenen Ernsthaftigkeit. Das gilt übrigens auch für die Charakterisierung des zentralen Journalist*innen-Quartetts:
Joel, Lee, der alte Hase Sammy (Stephen McKinley Henderson) und die junge Nachwuchsfotografin Jessie (Cailee Spaeny) werden zugleich als letzte Bastion der Demokratie, aber auch als egoistische Adrenalinjunkies gezeichnet (immerhin hoffen sie darauf, dass der Krieg zumindest so lange nicht endet, bevor sie es bei zum Weißen Haus geschafft haben). In der am präzisesten beobachteten Szene des Films wird dabei auch auf die Macht des Bildermachens referenziert: Bei einem Zwischenstopp begleitet die unerfahrene Jessie einen wenig vertrauenserweckenden jungen Mann mit Maschinengewehr hinter die Tankstelle, wo er ihr stolz zwei offenbar seit Tagen gefolterte Gefangene präsentiert. Der Mann scheint die Angst, die er in der jungen Fotografin auslöst, regelrecht zu genießen (womit Garland da weitermacht, wo er mit „Men“ aufgehört hat). Doch dann kommt Ellie hinzu und entschärft die Situation: Sie bittet den Folterknecht, für ein Foto mit seinen Opfern zu posieren. Völlig verunsichert, wie er schauen und wo er sich hinstellen soll, hat die Kamera plötzlich die ganze Macht, Maschinengewehr-Machismo hin oder her.
Fazit: Noch vor einigen Jahren wäre „Civil War“ womöglich eine Zukunfts-Dystopie unter vielen gewesen, eine Art Zombiefilm ohne Zombies, mit stärkeren und schwächeren Stationen auf dem Roadtrip quer durch die halbzerstörten Vereinigten Staaten. Aber genau jetzt, nur wenige Monate vor den US-Wahlen im November 2024, trifft er voll ins Schwarze – und damit gnadenlos in die Magengegend des Publikums.