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    Werner Herzog - Radical Dreamer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Werner Herzog - Radical Dreamer

    Der schmale Grat zwischen Vision und Besessenheit

    Von Karin Jirsak

    Ich sollte aufhören, Filme zu machen, und mich direkt in die Irrenanstalt einweisen lassen.“ Schon dieses Statement von Werner Herzog, abgegeben hinter den Kulissen von „Fitzcarraldo“ (1982), zeigt, das die hinreichend dokumentierte Entstehungsgeschichte des Klassikers kaum weniger irre ist als seine Hauptfigur, verkörpert von Klaus Kinski, dem Herzog später auch den Film „Mein liebster Feind“ (1999) widmete. Die Behind-the-Scenes-Aufnahmen lassen Herzog im Vergleich zu seinem rasenden Hauptdarsteller wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung wirken. Ein Eindruck, der auch die Kino-Dokumentation „Werner Herzog – Radical Dreamer“ noch einmal unterstreicht. Und doch wird auch der schmale Grat zwischen Vision und Besessenheit deutlich, auf dem Herzog wie die Helden seiner Filme vor allem in den frühen Jahren seiner Karriere wandelte. Diesem Grat folgend, schafft Regisseur Thomas von Steinaecker ein ebenso klarsichtiges wie fesselndes Porträt.

    Ein Junge aus einem kleinen Dorf in Bayern. Nach dem Krieg in ärmlichen Verhältnissen und ohne Vater aufgewachsen. In dieser Anarchie, wie er selbst dazu sagt, macht Werner Herzog seine Regeln von Anfang an selbst. Eine Haltung, die auch sein filmisches Schaffen definiert. Das „Unmachbare machend“ inszeniert Herzog vor allem in den 70er- und 80er-Jahren konsequent am Limit. In den 90ern siedelt er in die USA über und findet dort ein Verständnis für seine Arbeit, das er in Deutschland so nicht gefunden hat. In Los Angeles verfolgt er seine Idee der „ekstatischen Wahrheit“ mit Dokumentarfilmen wie „Grizzly Man“ (2005) und avanciert in seiner Wahlheimat so endgültig zur Kultfigur. Und auch mit 80 Jahren hat sich der visionäre Geist noch keineswegs erschöpft...

    Pünktlich zum 80. Geburtstag erscheint mit „Werner Herzog – Radical Dreamer“ einer der besten Filme über den Kultregisseur.

    Ich lebe oder beende mein Leben mit diesem Projekt.“ Es ist nicht Brian Sweeney Fitzgerald, der hier spricht, sondern Werner Herzog. Wie Thomas von Steinaecker deutlich herausarbeitet, spiegelt sich Herzogs Wesen immer wieder in den Protagonisten seiner Arbeiten. Figuren, die etwas in sich haben, das sie zum scheinbar Unmöglichen zwingt. Ob nun Herzog im Winter zu Fuß von München nach Paris geht, um seine Mentorin Lotte Eisner vom Sterben abzuhalten, oder einen Film wie „Fitzcarraldo“ trotz Kinskis Launen und zwei Flugzeugabstürzen fertigstellt – im Leben wie in seiner Arbeit erscheint Herzog immer auch als Getriebener. Es ist die Jagd nach den Bildern, die bislang noch nie im Kino, sondern allenfalls in Träumen zu sehen waren, die sein Schaffen markiert.

    Von Steinaecker präpariert einige wichtige dieser Bilder aus Herzogs Filmen und arrangiert sie mit Hintergründen wie bisher nie gezeigten Archivaufnahmen, Anekdoten von Filmsets sowie Statements illustrer Weggefährt*innen zu einem Kaleidoskop, das in seiner faszinierenden Dichte manchmal schwindelig macht. Kolleg*innen wie Volker Schlöndorff und Chloé Zhao geben ihre Einschätzungen zu Wesen und Werk des Meisters ab, Wim Wenders bringt es letztlich auf den Punkt: „Nichts ist untypisch für Werner Herzog. Nur das Untypische ist typisch für ihn.

    Auch mit 80 weiterhin absolut unberechenbar – Werner Herzog hat sich die anarchische Ader seiner Anfangsjahre immer konsequent bewahrt.

    Auch US-Stars wie Nicole KidmanChristian Bale und Patti Smith zollen ihren Tribut und verdeutlichen den Einfluss Herzogs auf die internationale Film- und Popkultur, nehmen aber im Ganzen nicht zu viel Raum ein. Vielmehr konzentriert sich Thomas von Steinaecker, der bislang hauptsächlich als Schriftsteller („Wallner beginnt zu fliegen“) und TV-Regisseur („Bewegte Republik Deutschland“) in Erscheinung trat, in angemessener Weise aufs (Hand-)Werk. Seine sensible Studie ist dann besonders aufschlussreich, wenn er der Regie-Ikone ganz nah kommt, etwa an einem Wasserfall in der bayrischen Heimat, den Herzog als seine „Seelenlandschaft“ bezeichnet, oder beim Sammeln perfekt gerundeter Vulkansteine am Strand von Lanzarote.

    In diesen intimen Szenen wird auch deutlich, dass Herzog sich nicht nur der Suche nach nie gesehenen Bildern verpflichtet hat, sondern auch der nächsten Generation von solchen Bilderjäger*innen. Er ist eben nicht nur Filmemacher, sondern auch Dozent und vermittelt als solcher Kernlektionen über seine Kreativprozesse und die mentalen Grundvoraussetzungen, die unbedingt dazugehören. Unerschöpfliche Neugier zum Beispiel und jene Resilienz, ohne die es gar nicht gelingen kann, das „Unmachbare machbar“ zu machen.

    Fazit: Herzog in a nutshell: Zum 80. Geburtstag schafft Thomas von Steinaecker eine faszinierende Annäherung und ein würdiges Denkmal für einen der ganz großen Filmvisionäre unserer Zeit. Obendrein bietet Steinaeckers Hommage einen Grundkurs im radikalen Träumen, der nicht nur der kommenden Generation von Filmschaffenden dringend ans Herz gelegt werden muss.

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