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    The Man Who Wasn't There
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Man Who Wasn't There
    Von Christian Horn

    Joel und Ethan Coen sind die Meister einer spezifisch postmodernen Inszenierungsweise, die sich wohl am besten als Sampling beschreiben lässt. In allen Filmen der Brüder treffen so viele Motivstränge, Querverweise und Zitate aufeinander, dass das Ganze am Ende nur schwer völlig aufgehen kann. In „The Man Who Wasn't There“ beziehen sich die Coens vor allem auf Hollywoods Schwarze Serie, also den frühen amerikanischen Film Noir. Daneben vollführt der Film eine Reise durch das Amerika der 1940er und 50er Jahre und hier vor allem durch das amerikanische Kino dieser Zeit. Ergänzt wird das alles mit einer guten Portion der „vertrauten Coenschen Tollheit“ (Ekkehard Knörer), einer verschachtelten Story, die auch unabhängig von der breiten Zitat-Struktur funktioniert, sowie großartigen darstellerischen Leistungen, allen voran von Billy Bob Thornton.

    USA, Ende der 1940er Jahre: Ed Crane (Billy Bob Thornton) lebt mit seiner Frau Doris (Frances McDormand) in einer nordkalifornischen Kleinstadt. Sein Job im Friseursalon des Schwagers und sein stagnierendes Eheleben erfüllen den in sich gekehrten, stets rauchenden Ed nicht. Als er zufällig die Bekanntschaft des kuriosen Geschäftsmanns Tolliver (Jon Polito) macht, der mit chemischer Trockenreinigung reich werden will und dafür noch 10.000 Dollar Startkapital benötigt, sieht Ed seine Chance gekommen. Kurzerhand erpresst er die Summe anonym von Doris‘ Chef Big Dave (James Gandolfini), der eine Affäre mit Doris hat und unter keinen Umständen will, dass diese ans Licht kommt. Aber weil „The Man Who Wasn't There“ nun mal ein Coen-Film ist, geht recht bald alles schief, was nur schiefgehen kann - und Ed reitet alle Beteiligten immer tiefer ins Verderben, Leichensäcke inbegriffen…

    Wie in ihren anderen Filmen verweisen die Coens auch in „The Man Who Wasn't There“ im großen Stil auf die (amerikanische) Kultur- und Filmgeschichte, wobei die Bezugnahme auf den Film Noir der Vierzigerjahre am offensichtlichsten ist (mit ihrem Debütfilm Blood Simple hatten die Brüder noch einen Neo-Noir inszeniert). Der ganze Film ist – bisher ein Unikat in der Filmographie der Coens – in Schwarz-Weiß gedreht. Kameramann Roger Deakins (Die Verurteilten, Zeiten des Aufruhrs), der seit Barton Fink bei allen Coen-Filmen mit Ausnahme von Burn After Reading die Kamera führte, leistet hier eine großartige Arbeit: Seine Bilder sind durch die Bank brillant komponiert, jedes einzelne – Gemeinplatz hin oder her – verdient eine Rahmung. Einen Gutteil dazu trägt die stilvolle Lichtsetzung bei, die klassische Vertreter des Film Noirs imitiert (Licht, das durch Tür- und Fensterschlitze einfällt / Rauchschwaden / Fahrten am Bürgersteig entlang) und gleichzeitig eine eigenständige visuelle Oberfläche schafft. Daneben finden sich auch auf der Ebene der Erzählung vielfältige Verweise auf den Film Noir: „The Man Who Wasn't There“ handelt von Erpressung und Mord, außerdem treten der Femme Fatale und dem Privatdetektiv gleich zwei typische Figuren des Genres auf und die Figuren verstricken sich immer mehr in eine Geschichte, die sie selbst kaum mehr überschauen können. Ungewöhnlich ist hingegen die Profession der Hauptfigur: Ed Crane ist kein Detektiv, Inspektor oder Gangster, sondern ein zunehmend desillusionierter Frisör. Ein letztes auffälliges Stilmerkmal der Coenschen Noir-Variation ist das Voice Over von Billy Bob Thornton, das in für das Genre typischer Manier die Ereignisse rekapituliert. Der an sich wortkarge Frisör, in seiner ersten Szene mit den Worten „I don't talk much, I just cut the hair” eingeführt, wird so zum subjektiven Erzähler des Films.

    Die Verweise auf den Film Noir orientieren sich nach Aussage der Coen-Brüder vornehmlich an den Romanen von James M. Cain, die den Stoff für Filmklassiker wie Frau ohne Gewissen (1944) oder „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (erstmals 1946 verfilmt) lieferten. Daneben gibt es in „The Man Who Wasn't There“ aber noch weitere Referenzgrößen aus den späten Vierzigerjahren zu entdecken. Da wäre zum Beispiel die Gerichtsverhandlung, ein Topos des klassischen Schwarz-Weiß-Films, der etwa in Alfred Hitchocks Der Fall Paradin (1947) oder Sydney Lumets Die 12 Geschworenen (1957) prominent vertreten ist. Zu einer Gerichtsverhandlung gehört natürlich ein Anwalt - und auch hier haben die Coens eine ironisch überzeichnete Figur parat: Tony Shalhoub („Monk“) tritt in einer bemerkenswerten Darbietung als neurotischer Staranwalt Freddy Riedenschneider auf, der in seinem Plädoyer die Heisenbergsche Unschärferelation anbringt: Je genauer man etwas betrachtet, desto weniger weiß man davon – auch eine Aussage über den Film selbst, dessen ungezügelte Verweisstruktur sich nachträglich kaum mehr ordnen lässt.

    Neben all dem Erwähnten gibt es in „The Man Who Wasn't There“ außerdem eine kurze Lolita-Episode, die auf Vladimir Nabokovs Roman aus dem Jahr 1955 und die Kubrick-Verfilmung von 1962 anspielt. Kurzzeitig glaubt Ed Crane, bei der minderjährigen „Birdy“ (Scarlett Johansson, Lost in Translation) Erlösung finden zu können, aber letztlich endet die ganze Beziehung in einem Desaster. Ein allerletzter, besonders skurriler Verweis auf die Filmgeschichte sei noch erwähnt: Aufgrund von Filmen wie Robert Wise‘ Der Tag, an dem die Erde stillstand (1951) standen UFOs und Außerirdische in den Fünfzigern hoch im Kurs. In „The Man Who Wasn't There“ liest Ed Crane einen Zeitungsartikel über den Roswell-Zwischenfall von 1947, hört sich eine wirre UFO-Entführungs-Theorie an und erblickt schließlich eine fliegende Untertasse am Himmel. Aus dem Rahmen der Filmhandlung fallen diese Episoden heraus, im Kontext der zügellosen Zitatgewalt der Coen-Brüder machen sie als Ausflug in ein anderes prominentes Filmgenre der Fünfziger aber durchaus Sinn.

    Komplettiert wird das postmoderne Sampling der Coens durch unzählige andere Referenzen. So gibt es ein Restaurant namens „Da Vinci‘s“, die kleine Lolita spielt Beethoven-Stücke auf dem Klavier und ein Junge ist ganz vertieft in einen trivialen Western-Comic. Präsentiert wird das alles vollkommen Coen-typisch mit unverhohlener Ironie und einer gewissen Unverbindlichkeit: Nicht alle Verweise erfüllen eine Funktion über den bloßen Verweis hinaus und daran liegt es wohl auch, dass einige Kritiker die kalte Präzision oder die hohle Formverliebtheit des Coenschen Werks immer wieder anprangern. Eine gewisse Berechtigung hat dieser Einwand ohne Zweifel – und dennoch, gerade für Cineasten und Kinoliebhaber offerieren die Filme der Coens ein wahres Füllhorn an inszenatorischer Schönheit. Und es gibt natürlich auch jene Kritiker, die das Schaffen der Coens verteidigen und wie ein Mantra stets diesen einen Satz wiederholen, der auch für „The Man Who Wasn't There“ gilt: Die Coens machen einfach keine schlechten Filme.

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