Der letzte Krimi-Auftritt von Hannelore Elsner
Von Lars-Christian DanielsVor fast genau einem Jahr verstarb eine der beliebtesten deutschen Schauspielerinnen der vergangenen Jahrzehnte: Hannelore Elsner („Die Unberührbare“), die in ihrer Karriere in über 220 Film- und Fernsehproduktionen mitwirkte, erlag im Alter von 76 Jahren einer Krebserkrankung. Viele Zuschauer liebten Elsner unter anderem für ihre Rolle als Frankfurter Kommissarin Lea Sommer in der über 60-teiligen Vorabendserie „Die Kommissarin“ – in derselben Rolle ermittelte sie darüber hinaus auch in zwei Langfolgen für den „Tatort“ aus Hamburg (nämlich 1997 im „Tatort: Gefährliche Übertragung“ und im „Tatort: Alptraum“, beide eher schwach).
23 Jahre später ist Hannelore Elsner im Frankfurter „Tatort: Die Guten und die Bösen“ noch ein weiteres Mal in der Erfolgsreihe der ARD zu sehen. Das philosophisch angehauchte Krimidrama von Petra Katharina Wagner („Maria an Callas“) wurde wenige Wochen vor Elsners Tod abgedreht und zählt zu ihren letzten TV-Auftritten. Beim Publikum dürfte es der spannungsarme „Tatort“ trotz des prominenten Gastspiels, das mit Elsners früherer Rolle als Lea Sommer mit Ausnahme des Schauplatzes Frankfurt nichts zu tun hat, allerdings schwer haben: Die Filmemacher brechen mit vielen ungeschriebenen Gesetzen der Reihe und stellen lieber Fragen, als Antworten zu geben.
Hannelore Elsner noch einmal im "Tatort". (© HR/Degeto)
Die Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) trauen ihren Augen und Ohren kaum: Ihr Kollege Ansgar Matzerath (Peter Lohmeyer) führt sie zu einer Waldhütte, in der ein Mann gefoltert und erstickt wurde. Matzerath gibt umgehend zu, für die Tat verantwortlich zu sein: Das Opfer hat angeblich sieben Jahre zuvor seine Frau Helen (Dina Hellwig) entführt, vergewaltigt und erst nach fünf Tagen wieder frei gelassen. Nachweisen konnte die Frankfurter Kripo diese Tat allerdings nie.
Die inzwischen pensionierte Kommissarin Elsa Bronski (Hannelore Elsner) war für den Fall zuständig und weiht Janneke und Brix in die Vorgeschichte ein, doch die Kommissare haben keinen guten Tag erwischt: Weil die beiden eine Nacht durchgezecht haben und das Präsidium renoviert wird, ist normale Ermittlungsarbeit kaum möglich. Und dann hat der stellvertretende Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern) auch noch die engagierte Olivia Dor (Dennenesch Zoudé) für einen Teamworkshop einbestellt…
Viele „Tatort“-Zuschauer dürften in den Anfangsminuten des Films ein Déjà-Vu erleben: Ein Coaching für Kommissare, die von dieser Idee alles andere als begeistert sind? Eine ähnliche Ausgangslage gab es bereits am Neujahrstag 2020 im vieldiskutierten „Tatort: Das Team“, der ohne festes Drehbuch an gerade einmal zwei Tagen abgedreht wurde und auf groben Figurenkonzepten und daraus resultierenden Improvisationen der Darsteller beruhte. Beim Publikum fiel der eigenwillige Impro-Krimi aus Nordrhein-Westfalen sang- und klanglos durch und auch der „Tatort: Die Guten und die Bösen“ dürfte es bei vielen Zuschauern schwer haben: Mit einem klassischen Sonntagskrimi hat der elfte Fall von Janneke und Brix wenig zu tun und das offenbart sich auch ziemlich schnell. Die Einschaltquote dürfte daher von Minute zu Minute sinken.
Doch beginnen wir am Anfang: Die erste Viertelstunde ist in der Krimireihe bekanntlich für das Auffinden der Leiche, erste Erkenntnisse am Tatort und das Skizzieren der Ausgangslage reserviert – in der 1129. „Tatort“-Ausgabe findet zunächst aber nichts davon statt. Janneke, Brix und seine exzentrische Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) feiern nämlich eine Karaoke-Party im nächtlichen Präsidium und grölen ausgelassen Rammsteins „Engel“ oder Wolfgang Petrys „Wahnsinn“ ins Mikrofon, um dann am nächsten Morgen verkatert vom mutmaßlichen Mörder Matzerath geweckt und direkt zu seinem Opfer gefahren zu werden. All das könnte als ironisch angehauchte Variation der üblichen Dramaturgie hervorragend funktionieren, wenn der Krimi danach doch nur an Fahrt gewänne – stattdessen stürzt der Film jedoch gleich ins nächste Spannungsloch, aus dem Drehbuchautor David Ungureit („Männerhort“) ihn bis zum Abspann nicht mehr heraushievt.
Bei der Karaoke-Party mit Fanny wurde viel getrunken. (© HR/Degeto)
In diesem „Tatort“ scheint fast alles wichtiger zu sein als die Frage, ob Matzerath den in seinen Augen Richtigen – also den Peiniger seiner mittlerweile von ihm geschiedenen Frau – ins Jenseits befördert hat: Brix’ schwacher Magen, der den harten Alkohol des Vorabends nicht verkraftet, die ausufernden Renovierungen im Gebäude, die zu absurden Verhörszenen zwischen Stellwänden auf dem Flur führen, die Coaching-Sitzungen allein und in der Gruppe, auf die bei der Kripo außer dem Kollegen Jonas (Isaak Dentler) niemand Lust zu haben scheint, ein seltsamer Irrlauf von Coach Dor, die den Ausgang nicht findet, und last but not least Jannekes Fotoausstellung, die den Flur des Präsidiums ziert. „Das ist doch das Tolle an der Fotografie: der Ausschnitt“, sagt Janneke über ein Foto, und etwas Ähnliches ließe sich über diesen Film sagen: Auch er zeigt Ausschnitte aus dem Alltag der Kommissare – aber leider die, die so gut wie keine Spannung generieren.
Zu diesem ermüdenden Leerlauf gesellen sich im Drehbuch realitätsferne Manöver, die beim Blick auf die jüngere „Tatort“-Vergangenheit ihresgleichen suchen: Die pensionierte Kommissarin Bronski – Hannelore Elsner mimt sie unspektakulär, aber überzeugend – darf im Keller des Präsidiums in Seelenruhe ungeklärte Altfälle sichten, weil die Pförtner sie „noch kennen“. Ihr junger Schäferhund flitzt ungestört mit einem roten Ball über die Flure des Gebäudes und der dringend mordverdächtige Matzerath diniert nicht nur unbewacht in der Kripo-Kantine, sondern holt sogar allein ein frisches Hemd aus dem Dienstwagen des Kommissars, weil Brix sich sein anderes vollgekotzt und ihm seinen Autoschlüssel (!) gegeben hat. Das ist ziemlich abenteuerlich und unterstreicht erneut, wie wenig sich die Redaktion des Hessischen Rundfunks um Realitätsnähe schert – das Ergebnis ihrer provokanten „Tatort“-Experimente ist manchmal großartig (wie im „Tatort: Murot und das Murmeltier“), manchmal aber auch katastrophal (wie im „Tatort: Fürchte dich“).
Der „Tatort: Die Guten und die Bösen“, dem sich zwar eine Tendenz in Richtung Echtzeit-Charakter, aber kein Tempo attestieren lässt, gehört zu den missglückten Spielereien, dabei birgt der philosophisch-systemkritische Ansatz des Films eigentlich enormes Potenzial: Zählt ein geständiger Mörder wirklich zu „den Bösen“, weil er den Mann getötet hat, der seine Gattin tagelang ungestört vergewaltigt hat und dafür nie belangt wurde? Und zählen Polizisten wirklich zu „den Guten“, wenn sie einen Mörder davon abbringen wollen, die ganze Tragweite seiner Tat zu gestehen, weil das lebenslang Gefängnis bedeuten würde? „Ich frag mich in letzter Zeit andauernd, was wir hier eigentlich machen und wozu“, zieht Janneke ein ernüchtertes Fazit – und spricht damit aus, was wohl auch viele Zuschauer über ihren elften „Tatort“-Einsatz denken. So reizvoll die kritischen Denkanstöße in den vielen selbstreflexiven Dialogen sein mögen – unterm Strich bleiben fast alle Fragen unbeantwortet und die Figuren drehen sich fast nur um sich selbst.
Fazit: Ein philosophisch angehauchter, sehr eigenwilliger „Tatort“, der die Einteilung in Gut und Böse kritisch hinterfragt – aber auch ein verdammt zäher Krimi, in dem die Spannung trotz einiger guter Ansätze auf Sparflamme köchelt.