Ein Film wie Knäckebrot mit Erdnussbutter und Chipsletten
Von Christoph PetersenAuf zwei der Weltpremieren, bei denen ich in diesem Jahr dabei sein dufte, habe ich mich ganz besonders gefreut. Zum einen auf „Once Upon A Time... In Hollywood“, den Quentin Tarantino auf den Tag genau 25 Jahre nach der Uraufführung von „Pulp Fiction“ im Wettbewerb von Cannes präsentierte. Und zum anderen auf „Mein Lotta-Leben - Alles Bingo mit Flamingo!“, das neue Werk von Neele Leana Vollmar, die in den vergangenen fünf Jahren mit „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ und „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ gleich zwei der besten Kinderfilme aller Zeiten abgeliefert hat (bei „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ war Vollmar im Mutterschaftsurlaub und das Fehlen der Regisseurin merkt man dem Mittelteil der Trilogie auch an). Nun ist „Once Upon A Time...“ nicht so bahnbrechend wie „Pulp Fiction“ und „Mein Lotta-Leben“ nicht so gut wie die „Rico“-Filme, aber großartig Grund zur Enttäuschung gibt es trotzdem nicht. Schließlich kommen Vollmars besondere Stärken auch in der Verfilmung der „Mein Lotta-Leben“-Bücher von Alice Pantermüller wieder voll zum Tragen.
Lotta Petermann (Meggy Hussong) hätte gerne ein neues Haustier, aber dazu müsste sie ihren Eltern erst einmal beweisen, dass Heesters tatsächlich tot ist. Also nicht der Sänger „Jopi“ Heesters, sondern ihre Schildkröte, die zwar jeden Tag irgendwo anders im Haus herumliegt, aber trotzdem nie ihren Kopf herausstreckt. Aber aktuell ist sowieso erst mal ein anderes Problem viel drängender: Weil die eingebildeten (G)Lämmer-Girls aus ihrer Klasse eine „Kufendisco“ veranstalten, müssen Lotta und ihre beste Freundin Cheyenne (Yola Streese) nämlich nicht nur Schlittschuhlaufen lernen („so ein Doppelter Rittberger ist doch ein Klacks“), sondern auch erst einmal an eine Einladung herankommen. Dafür behauptet Lotta, den gerade schwer angesagten Teenie-Popstar Marlon (Lukas Rieger) voll gut zu kennen. Allerdings besteht diese „Bekanntschaft“ nur darin, dass Marlons Fahrer nach einem ganz leichten Unfall aus versicherungstechnischen Gründen die Visitenkarte von dessen Managerin (Caro Cult) für Cheyenne dagelassen hat ...
Lotta (rechts) und ihre beste Freundin Cheyenne lassen es sich schmecken ...
Das Lieblingsgericht von Lotta ist Knäckebrot mit Erdnussbutter und Chipsletten* – und mit diesem nicht alltäglichen Aufstrich lässt sich auch der Film selbst ganz passend beschreiben: im Kern zwar durchaus bodenständig, aber im selben Moment immer auch eigenwillig und verrückt. Dabei begegnet Neele Leana Vollmar ihren Protagonisten wie gewohnt auf Augenhöhe, statt auf sie herabzublicken oder gar den erhobenen Zeigefinger auszupacken. Besonders gut gelungen ist dabei der Umgang mit den sozialen Unterschieden zwischen den Kindern in der Klasse: Während (G)Lämmer-Girl-Anführerin Berenike (Laila Ziegler) in einer Villa lebt, wohnen Lotta in einem Einfamilienhaus und Cheyenne in einer kleinen Hochhauswohnung. Diese (Chancen-)Ungleichheit wird aber gar nicht großartig ausbuchstabiert. Stattdessen reicht ein im ersten Moment komischer, nach kurzem Nachdenken allerdings tieftragischer Satz, wenn Cheyenne an einer Stelle ganz pragmatisch feststellt, dass es bei ihr zwar schon sehr eng wäre, aber man auch gar nicht mehr Platz bräuchte, weil ihre Mutter ja sowieso nur den ganzen Tag auf der Couch rumliegen würde.
*Wir haben das mit dem Knäckebrot mit Erdnussbutter und Chipsletten übrigens in der Redaktion mal ausprobiert - Beweisfoto und Erfahrungsbericht gibt es am Ende dieser Kritik.
Ein bisschen zerfasert ist die Erzählung allerdings schon, was sicherlich auch mit der Tagebuchform der Vorlage zu tun hat. Zudem wirkt das Setting eines „DSDS“-artigen Castings inzwischen doch ein wenig ausgelutscht, selbst wenn Vollmar der Blender-Veranstaltung ganz bewusst ihren Glanz und Glamour entreißt. Aber das ist gar nicht so schlimm, denn der (angesichts der Zielgruppe oft erstaunlich trockene) Humor sitzt! Wenn sich die neue Lehrerin als Frau Kackert vorstellt, graust dem erwachsenen Zuschauer schon vor eineinhalb Stunden platten Fäkalwitzen. Aber Carolin Kebekus („Schatz, nimm du sie!“) stellt als Pädagogin mit unvorteilhaftem Namen kurz fest, dass jeder einen „qualvollen Tod sterben wird“, der sich lustig macht – und dann ist auch gut. Zudem hat die Regisseurin mit Meggy Hussong und Yola Streese nicht nur zwei herausragend talentierte Jungdarstellerinnen für die Hauptrollen gefunden – die beiden entsprechend auch weder vom Aussehen noch von ihrer Art den üblichen (Stereo-)Typen, die man als Protagonisten im (deutschen) Kinderfilm eigentlich gewöhnt ist. Sehr erfrischend.
Fazit: Der neue Film von Neele Leana Vollmar kommt zwar nicht an ihre beiden „Rico, Oskar und ...“-Meisterwerke heran, liefert aber nichtsdestotrotz ein kurzweilig-kitschloses Abenteuer, das sich mit seiner Natürlichkeit und Unangepasstheit wohltuend vom generisch-hochglänzenden Kinderkino-Allerlei absetzt.
Für FILMSTARTS-Chefkritiker Christoph Petersen geht das auf jeden Fall als Kochen durch ...
Die FILMSTARTS-Redaktion beißt mehr oder weniger freiwillig rein ...
„Für alle, die es gerne etwas verrückter haben, definitiv einen Versuch wert. Ich find's gut!“
(Daniel Fabian, FILMSTARTS-Redakteur)
„Für mich ist es nichts...Die Erdnussbutter klebt mir die Chips im Mund fest. Eines der Dinge, die man wohl nur als Kind nicht eklig findet.“
(Dennis Meischen, FILMSTARTS-Volontär)