Die Rätselhaftigkeit des Dschungels
Von Michael MeynsDer Schatten Werner Herzogs liegt über Pia Marais „Transamazonia“. Schon dass der Film im tiefen Amazonas-Dschungel gedreht wurde, evoziert die Filme des „Aguirre“-Regisseurs, der oft unter schweren Bedingungen drehte, um ein besonderes Maß an Authentizität zu erzeugen. Auch der Ton von Marais’ viertem Spielfilm, der mäandernd erzählt, mit impressionistischen Bildern und Tönen arbeitet, erinnert an den deutschen Extremfilmer – und es gibt noch eine weitere Parallele:
Die junge Deutsche Juliane Koepke, die zu Beginn der 1970er Jahre einen Flugzeugabsturz im Amazonas überlebte. Bereits im Jahr 2000 drehte Herzog mit „Julianes Sturz in den Dschungel“ einen Dokumentarfilm über sie, nun hat auch Marais den historischen Vorfall als Ausgangspunkt für ihren Film genommen, der auf ambitionierte Weise erzählerische Ansätze zusammenzubringen versucht, sich aber immer wieder verheddert. So zeigt „Transamazonia“ zuletzt auch, dass es im Jahre 2025 offenbar nicht mehr möglich ist, auf die Art Filme zu drehen, wie es Werner Herzog einst noch getan hat.
Als einzige Überlebende eines Flugzeugabsturzes findet sich Rebecca in den Tiefen des Amazonas-Dschungels wieder. Ein Indigener findet das Mädchen und bringt sie zu einer abgelegenen Missionsstation, wo ihre Rettung wie ein Wunder gefeiert wird. Jahre später lebt Rebecca (jetzt gespielt von Helena Zengel) zusammen mit dem Missionar Lawrence (Jeremy Xido), der ihr Vater zu sein scheint. Gemeinsam bemühen sie sich um das seelische Wohl der Indigenen. Scheinbar gelingen ihr dabei auch Wunderheilungen, doch ob Rebecca selbst an ihre Fähigkeiten glaubt, bleibt offen.
Unweit der Missionsstation finden illegale Abholzungen statt, die die Lebensgrundlage der Indigenen zu zerstören drohen. Doch die Frau des Vorarbeiters ist krank, auch die eingeflogene Krankenschwester Denise (Sabine Timoteo) kann nicht helfen. Aber ja vielleicht Rebecca? Sollte es ihr gelingen, die Frau zu heilen, wollen die Holzfäller abziehen. Doch da ist noch etwas anderes: Denise glaubt, Rebeccas leibliche Mutter zu kennen – und löst in der Teenagerin so den Wunsch aus, sich tiefer mit ihrer Herkunft zu beschäftigen…
Pia Marais wurde in Südafrika als Tochter eines schwedisch-südafrikanischen Paares geboren, lebt aber seit vielen Jahren in Berlin. Deshalb ist es wohl auch nicht überraschend, dass der Blick der Regisseurin schon seit jeher meist weit über Deutschland hinausging. So besetzt sie Rollen regelmäßig mit internationalen Schauspieler*innen und drehte ihren Film „Layla Fourie“ etwa in Südafrika. Nun also der Dschungel Südamerikas. Dabei benennt die Regisseurin die Geschichte von Juliane Koepke dezidiert als Inspiration für ihren Film, auch wenn die Figur der Rebecca am Ende nur lose Ähnlichkeiten mit ihrem realen Vorbild besitzt. Die echte Koepke überlebte 1971 als 17-Jährige einen Flugzeugabsturz, streifte tagelang durch den Dschungel, bis sie gerettet wurde. Klar, dass so eine Geschichte Werner Herzog faszinierte, zumal Herzog – einer mit Vorsicht zu genießenden Legende nach – selbst in die Unglücksmaschine steigen sollte, sich in letzter Sekunde aber doch umentschied.
Viele Jahre versuchte Herzog anschließend Kontakt zu Koepke aufzunehmen, doch erst Ende um die Jahrtausendwende konnte er schließlich seinen Dokumentarfilm „Julianes Sturz in den Dschungel“ drehen, ein weiterer seiner vielen fiktiven und dokumentarischen Dschungel-Filme. Der Bezug von Marais und Herzog ist noch aus einem anderen Grund wichtig, nämlich was den Umgang mit der indigenen Bevölkerung angeht. Marais drehte in Französisch-Guayana, unweit der Grenze zu Brasilien – und sie betont im Pressematerial wie auch im Abspann des Films, wie sehr die Zusammenarbeit mit den Indigenen auf Augenhöhe erfolgte. Sogar einen Credit als assoziierte Produzenten gesteht sie der „indigenen Bevölkerungsgruppe der Assurinis“ zu. Eine nette Geste, die erst recht die Frage aufwirft, warum sie sich in „Transamazonia“ letztlich so wenig für die indigene Bevölkerung, ihre Traditionen und Gedanken interessiert.
Als typische White-Saviour-Story (also als Geschichte einer weißen Person, die in eine scheinbar unterentwickelte Welt kommt und den dortigen Menschen hilft) kann man „Transamazonia“ zwar nicht bezeichnen, schließlich sind es hier eher die Weißen Figuren – Rebecca, aber vor allem auch Lawrence – die Hilfe benötigen und in gewisser Weise auch erfahren. Doch die indigenen Figuren bleiben trotzdem Staffage und als solche meist blass im Hintergrund. Ihr zunehmend gewalttätig werdenden Konflikt mit den Holzfällern wirkt vor allem als Katalysator für die Coming-of-Age-Geschichte Rebeccas.
So fahrlässig wie Werner Herzog bei den Dreharbeiten zu seinem Klassiker „Fitzcarraldo“ geht Marais natürlich nicht vor. Damals ließ Herzog hunderte Indigene ein Schiff über den Berg ziehen und nahm dabei auch schwere Verletzungen seiner Statisten in Kauf, um ein – zugegebenermaßen spektakuläres – filmisches Erlebnis zu erzeugen. Solche Formen der Ausbeutung sind heutzutage nicht mehr möglich, Marais hat sich wie gesagt augenscheinlich sehr bemüht, die Indigenen in den Prozess des Drehens einzubeziehen. Allerdings eben eher hinter der Kamera. Vielleicht war die Sorge, sich als Außenstehende, als Weiße, in eine fremde Welt hineinzudenken, indigene Figuren zu schreiben und für ihre filmische Erzählung zu nutzen, am Ende einfach zu groß. Allerdings hat das nun zur Folge, dass die Indigenen stets im Hintergrund bleiben, bisweilen wie Schimären durch den Dschungel streifen, was auch wieder als problematische Mystifizierung bezeichnet werden könnte.
Überzeugender wirkt „Transamazonia“ immer dann, wenn er sich auf Stimmungen verlässt, wenn er Rebecca in den Mittelpunkt stellt, die langsam beginnt, ihre Herkunft zu hinterfragen. Helene Zengel spielt sie fast sprachlos, ganz anders als die titelgebende Figur in ihrem spektakulären Debüt „Systemsprenger“. Zusammen mit den eindringlichen Bildern von Kameramann Mathieu de Montgrand und dem komplexen Sounddesign, evoziert Marais die Rätselhaftigkeit des Dschungels, der mit seinen satten, vielfältigen Grüntönen einladend, aber auch bedrohlich wirkt. Diese stilistische Souveränität zeigt sich jedoch leider nicht im Erzählerischen, wo Marais allzu viele Ansätze zusammenzubringen versucht und sich dabei quasi selbst im Dschungel verirrt.
Fazit: In ihrem vierten Spielfilm „Transamazonia“ begibt sich Pia Marais in die Tiefen des Amazonas-Dschungels, wo sie einerseits von der Selbstfindung einer 17-jährigen Überlebenden eines Flugzeugabsturzes erzählt, andererseits aber auch versucht, den Ansprüchen der indigenen Bevölkerung gerecht zu werden. Bei diesem Versuch verheddert sie sich ein wenig, überfrachtet ihren Film, der am Ende vor allem stilistisch und atmosphärisch überzeugt.