Egal ob für oder gegen Trump – hier wird jeder plattgemacht
Von Christoph PetersenAls der ursprünglich für September 2019 geplante US-Kinostart von „The Hunt“ verschoben wurde, lag das zum einen an mehreren Amokläufen, die in den Wochen zuvor mehr als 30 Todesopfer gefordert hatten. Das ist nachvollziehbar, schließlich werden hier im 5-Minuten-Takt (halbe) Schädel weggeschossen. Zugleich gab es aber auch eine Social-Media-Attacke von republikanischer Seite, allen voran von US-Präsident Donald Trump höchstpersönlich, der den Film von Craig Zobel („The Leftovers“) in einer seiner berüchtigten Twitter-Tiraden vorwarf, „rassistisch zu sein“ und „Unruhen zu entzünden“. Das wiederum ist ziemlicher Bullshit – denn egal ob Snowflake oder Deplorable, hier kriegen wirklich alle ihr Fett weg! Und wie!
Wobei ich zugeben muss, dass ich zunächst auch auf dem Holzweg war: Bei der Ankündigung einer Menschenjagd-Satire im Spannungsfeld des aktuellen amerikanischen Kulturkampfes war mir nämlich eigentlich sofort klar, dass da bestimmt irgendwelche texanischen MAGA-Milliardäre das Feuer auf Mexikaner, Homosexuelle, Pro-Choice-Aktivisten, Hollywood-Liberale und sonstige extremistische Feindbilder eröffnen werden. Aber Pustekuchen! In „The Hunt“ sind es superreiche Liberale, die auf eine gendersensible Sprache achten und nebenbei Jagd auf ein Dutzend gekidnappter Rednecks machen. Es ist also genau andersherum – und das ist nur der erst von etlichen cleveren Einfällen, die diesen Splatter-Spaß auch abseits der Badass-Action und einer unglaublichen Leistung von Betty Gilpin so unfassbar unterhaltsam machen.
Crystal hat keine Hemmung abzudrücken!
Nachdem sie unter Drogen gesetzt wurden, erwachen zwölf fremde Menschen auf einer Wiese mit einer mysteriösen Holzkiste, in der sich nicht nur ein süßes kleines Schwein, sondern auch jede Menge Waffen befinden. Aber selbst Sturmgewehre helfen den Entführten zunächst nicht weiter, als kurz darauf das Feuer auf sie eröffnet wird – zumal der angrenzende Wald auch noch vermint zu sein scheint. Zu den wenigen Überlebenden der ersten Welle zählt die in einer Autovermietung in Mississippi arbeitende Crystal (Betty Gilpin), die den Spieß kurzerhand umdreht und die Jagd auf ihre Jäger eröffnet. Offenbar hat eine Gruppe von superreichen Demokraten ein Dutzend Trump-Wähler gekidnappt, um sie nun zum Vergnügen abzuknallen. Aber da haben die selbstgerechten Liberalen die Rechnung ohne Südstaaten-Badass Crystal gemacht…
„Der meistdiskutierte Film des Jahres ist einer, den noch niemand gesehen hat“ - unter diesem Slogan hat das Marketing-Team nach der Kinostartverschiebung ein neues Poster veröffentlicht, auf dem „The Hunt“ mit Zitaten wie „Wahnsinnig und Teuflisch“ (Fox News), „Gefährlich“ (IndieWire) oder „Politischer Aufruhr“ (People Magazine) beworben wird. Aber das alles ist – natürlich – vollkommen übertrieben. „The Hunt“ teilt dermaßen konsequent in alle Richtungen aus, dass er sich letzten Endes fast* gar nicht selbst politisch positioniert – die Drehbuchautoren Nick Cuse („Maniac“) und Damon Lindelof („Lost“) nehmen stattdessen die tiefe Spaltung der USA zum Anlass, um ein krachendes Splatter-Feuerwerk abzufackeln, dessen tiefschwarzen, gehässigen Satire-Spitzen niemanden verschonen.
Schon rein pragmatisch betrachtet sind konservative Südstaatler aber einfach die besseren Horrorfilm-Opfer: Wenn sie sich zu Beginn von „The Hunt“ auf der Wiese wiederfinden, dann wird nicht geheult oder gehadert – da wird sich bewaffnet und zurückgeschossen! Eine Frau, deren Unterkörper von einer Granate weggesprengt wurde, nachdem sie zuvor bereits in eine Falle mit Metallspitzen gestürzt war, faltet einen ihrer Mitgejagten als „Schneeflocke“ zusammen, weil der ihr nicht den Gnadenschuss verpassen will. Also macht sie es selbst, ohne eine Miene zu verziehen. So entwickelt „The Hunt“ von Anfang an ein höllisches Tempo, das der Film auch ohne allzu große Verschnaufpausen bis zum Finale durchhält. Für Wimmern bleibt keine Zeit.
Die liberale Elite, die ihre republikanischen Opfer ohne mit der Wimper zu zucken massakriert, kämpft hingegen sofort mit einem unheimlich schlechten Gewissen, wenn ein Satz mal nicht korrekt gegendert oder sonst gegen eine Regel der Political Correctness verstoßen wird. Ja, „The Hunt“ ist sicherlich nicht gerade subtil, sondern suhlt sich regelrecht in politischen Klischees – aber das auf unheimlich clevere Weise (und mit einem Schwein als Postermotiv gehört ein bisschen Suhlen wohl auch einfach dazu). Als Zuschauer weiß man da irgendwann gar nicht mehr, wen man mehr verachten soll – sicherlich nicht die schlechteste Voraussetzung, um an dem folgenden krass-brutalen Splatter-Fest seinen Spaß zu haben.
Betty Gilpin und Hillary Swank liefern sich einen Zweikampf auf "John Wick"-Niveau!
Nun würde man bei einem Film wie „The Hunt“ eigentlich nicht unbedingt schauspielerische Glanzstücke erwarten. Aber nicht nur nutzt Craig Zobel seine Gaststars wie Emma Roberts („Scream 4“), Ike Barinholtz („Suicide Squad“) oder Macon Blair („Blue Ruin“) geschickt, um den Zuschauer auf falsche Fährten zu locken, Betty Gilpin („Stuber“) liefert als Südstaaten-Amazone Crystal auch noch eine der besten Performances des Jahres – und zwar nicht nur im Genrefach, sondern überhaupt, also auch das ganze Oscarzeugs mit eingeschlossen: Sie ist nicht nur Badass as Fuck, sie ist auch auf eine derart faszinierende und ambivalente Weise stoisch, dass man sie sofort in der Hauptrolle eines „Stirb langsam“-Reboots sehen will – zumindest bis zu ihrem Vortrag über den Hasen und die Schildkröte, denn etwas derart Verstörendes würde es NIEMALS in einen Mainstream-Blockbuster schaffen.
Ihre herausragende Leistung ist auch einer der zentralen Gründe, warum die Action und der Splatter in „The Hunt“ nicht nur Spaß machen, sondern auch ordentlich knallen. Selbst in den absurdesten Blutrausch-Momenten strahlt Gilpin eine derartige Intensität aus, dass man fast das (befreiende) Lachen vergisst, weil man sich ihr einfach nicht entziehen kann. Und das Knallhart-Finale, in dem Crystal schließlich Mastermind Athena (Hillary Swank) gegenübertritt, könnte – ohne Übertreibung – auch aus einem „John Wick“-Film stammen: Der „GLOW“-Shooting-Star und die zweifache Oscargewinnerin (für „Boys Don’t Cry“ und „Million Dollar Baby“) schenken sich absolut gar nichts – und der Gewinner ist wie generell bei diesem blutigen Duell Liberale VS. Konservative einmal mehr der grandios unterhaltende Zuschauer.
Fazit: Der „meistdiskutierte Film des Jahres“ ist zugleich auch einer der unterhaltsamsten – ein kultiger Splatter-Spaß für Wähler aller Parteien, Hauptsache man mag es krass und blutig!
*Es gibt einen Punkt im Finale, wo er es meiner Meinung nach doch tut – und das ist dann sogar ein bisschen feige. Aber weil es ein riesiger Spoiler wäre, das weiter auszuführen, schreibe ich dazu erst zum Start noch mal einen extra Artikel und verlinke diesen dann an dieser Stelle.