Geister im Bayerischen Wald
Von Michael MeynsJapan im Bayerischen Wald. Auch wenn gut zwei Drittel von Doris Dörries Selbstfindungs-Sequel „Kirschblüten & Dämonen“ im südlichsten deutschen Bundesland spielen, bevor die Handlung für das Finale nach Asien wechselt, ist der Film der „Männer“-Regisseurin durch und durch von fernöstlicher Spiritualität geprägt. In einer anfangs gewöhnungsbedürftigen digitalen Ästhetik variiert Dörrie hier Themen aus ihrem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Kirschblüten – Hanami“ aus dem Jahr 2008, wobei sie diesmal nicht mehr den Witwer Rudi Angermeier, sondern dessen Sohn Karl in Japan nach Sinn und Ausgeglichenheit suchen lässt.
Zehn Jahre nach dem Tod seiner Eltern hadert Karl Angermeier (Golo Euler) mit sich und seinem Leben. Nach seiner Zeit in Tokio lebt er inzwischen wieder in Bayern, ist getrennt von seiner Frau und leidet darunter, die gemeinsame Tochter nur selten sehen zu können. Am Morgen nach einem erneuten Vollrausch klopft es plötzlich an seine Tür und Yu (Aya Irizuki) tritt in sein Leben. Genau jene Yu, die damals einige Tage mit seinem Vater Rudi (Elmar Wepper) verbrachte, als dieser nach dem Tod seiner Frau Trudi (Hannelore Elsner) nach Japan reiste und dort auch selbst verstarb. Mit Yu kehrt auch die Erinnerung an seine Eltern zurück, als geisterhafte Erscheinungen spuken sie durch Karls Gemüt, das auch in der realen Welt von Krisen geplagt ist. Mit seinen Geschwistern Karolin (Birgit Minichmayr) und Klaus (Felix Eitner) hat er kaum noch Kontakt, das Elternhaus steht leer und in einer kalten Winternacht zieht sich Karl auch noch schwere Erfrierungen zu, die ihn seiner Männlichkeit berauben. So wie sein Vater sucht Karl schließlich im fernen Japan nach Erlösung...
Seit vielen Jahren ist Doris Dörrie („Nackt“) von Japan, seiner Kultur und vor allem seiner ganz speziellen Art von Spiritualität fasziniert. Zum ersten Mal drehte sie für „Erleuchtung garantiert“ (2000) im fernen Osten, bevor sie dort acht Jahre später auch einen ihrer bisher größten Erfolge ansiedelte: „Kirschblüten – Hanami“, der mit „Kirschblüten & Dämonen“ nun eine späte, ungewöhnliche Fortsetzung erhält. Ungewöhnlich, weil die Protagonisten damals am Ende des ersten Teils beide tot waren und nun nur noch als Geistererscheinung durch die Erinnerung der neuen Hauptfigur schwirren. Die wird diesmal gespielt von Golo Euler („Das schönste Mädchen der Welt“), der damit Maximilian Brückner ersetzt, der aus Termingründen als einziger Schauspieler des Originals nicht wieder mit dabei sein konnte.
Alle anderen sind hingegen wieder mit an Bord: Elmar Wepper („Grüner wird’s nicht, sagte der Gärtner und flog davon“) und Hannelore Elsner („Die Unberührbare“) als Eltern sowie Birgit Minichmayr („3 Tage in Quiberon“) und Felix Eitner („Elser“) als Geschwister. Vor allem aber Aya Irizuki („Grüße aus Fukushima“) als Yu, deren erste Worte schon verraten, was hier gespielt wird: „I am Yu“, sagt sie zu Karl und geistert fortan durch sein Leben.
Anfangs setzt Dörrie auf betont rohe und hässliche Digitalbilder, die nur sporadisch von unwirklich schönen, die Weite eröffnenden Landschaftsaufnahmen der schneebedeckten bayerischen Provinz durchbrochen werden. Hektisch und sprunghaft wirken die Bilder hier noch, ein Spiegel von Karls innerer Natur, die zerrissen und unzufrieden ist. Nur langsam stellt sich Karl seiner Vergangenheit und damit seinen titelgebenden Dämonen, der Erinnerung an tatsächliche oder eingebildete Erwartungen seiner Eltern, die ihn stärker prägten, als er selbst sich eingesteht. Geschickt lässt Dörrie hier das Spiel mit Rollen und Masken einfließen, das auch den Butoh-Tanz prägt, jene nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Kunstform, die sich nicht zuletzt auch ganz zentral mit Fragen der Sexualität und Geschlechterrollen beschäftigt.
War es in „Kirschblüten“ noch der grantige Vater, der in Japan und im Kontakt mit einer anderen Kultur neue Seiten an sich selbst entdeckte, ist es nun Karl, der in einem traditionellen japanischen Ryokan (= ein Gästehaus) zu sich selbst findet. Ein kontemplativer Ort, der unweigerlich Erinnerung an Größen des japanischen Kinos wie Yasujiro Ozu („Die Reise nach Tokyo“) heraufbeschwört. Zugleich gemahnen einige Bilder auch an die Werke des Regisseurs Kenji Mizoguchi, allen voran natürlich „Ugetsu - Erzählungen unter dem Regenmond“, dessen Geisterfilme Dörrie ebenfalls inspiriert haben dürften. Das geht nicht immer reibungsfrei auf, bisweilen holpert die Verflechtung von bayerischer Bodenständigkeit und japanischer Spiritualität sogar gehörig. Doch Dörrie gelingt es trotzdem, selbst drastische Drehbuchwendungen ganz beiläufig und zwingend erscheinen zu lassen.
Fazit: Doris Dörries neuester Ausflug nach Japan setzt ihren Erfolgsfilm „Kirschblüten - Hanami“ mit der nächsten Generation der Familie Angermeier fort und setzt dabei nicht immer ganz rumpelfrei, aber insgesamt doch meistens auf anregende Art typisch deutsche und typisch japanische Motive miteinander in Verbindung.