Renée Zellweger ist so viel besser als der Rest
Von Oliver Kube„Er gehört zu mir“ – mit ihrem 1975er-Megahit avancierte die Schlagersängerin Marianne Rosenberg einst zur Ikone der Schwulenbewegung im deutschsprachigen Raum. In Nordamerika hatte diese Position über Dekaden hinweg Judy Garland inne. Lange vor Barbra Streisand, Cher, Madonna oder Lady Gaga identifizierten sich Millionen mit dem immer irgendwie verträumt, aber dennoch auch stark und unabhängig scheinenden Star. Ihrer berühmten Rolle in „Der Zauberer von Oz“ ist auch der Code „Friend of Dorothy“ geschuldet, den bereits zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs Männer nutzten, um sich gegenseitig ihre wahre sexuelle Orientierung zu signalisieren.
Im musikalischen Biopic-Drama „Judy“ gibt es nun auch ein (fiktives) schwules Paar (Andy Nyman, Daniel Cerqueira), mit dem die Titelfigur in einer etwas arg kitschigen Szene Freundschaft schließt. Das ist zugleich aber auch die einzige Anspielung auf diesen im Leben von Garland wichtigen Aspekt – und auch diverse andere signifikante Punkte der bewegten Vita der Diva werden ebenfalls höchstens gestreift. Regisseur Rupert Goold konzentriert sich stattdessen ganz auf das letzte Jahr im Leben der 1969 aufgrund einer versehentlichen Überdosis an Barbituraten verstorbenen Sängerin und Schauspielerin – nicht die beste Entscheidung.
Für ihre Kinder würde Judy Garland alles tun - auch fünf Wochen lang in einem Club in London auftreten.
Ende 1968 in New York: Mit Judy Garlands (Renée Zellweger) Karriere geht es stetig und steil bergab. Filmrollen bekommt der einstige Superstar schon lange nicht mehr angeboten. Das US-Publikum will sie offenbar nicht einmal mehr bei Live-Auftritten mit Gesang und Tanz in Bars sehen. Kein Wunder, dass sie scheinbar unaufhaltsam auf den persönlichen Bankrott zusteuert. Zu allem Überfluss will Garlands Ex-Mann Sidney (Rufus Sewell) ihr deshalb das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder Lorna (Bella Ramsey) und Joey (Lewin Lloyd) streitig machen. Da offeriert Clubbesitzer Bernard Delfont (Michael Gambon) ihr ein fünfwöchiges Gastspiel in seinem Etablissement in London. Obwohl sie den Gedanken, für so lange Zeit von ihren Kindern getrennt zu sein, kaum erträgt, bleibt Garland keine andere Wahl als anzunehmen. Denn ohne die Gage würde sie die Kinder wohl komplett verlieren...
Gelungene Biopics präsentieren meistens eine Mischung aus positiven und weniger schmeichelhaften Augenblicken im Leben der proträtierten Person. Wenn es um Musiker/Künstler geht, dann ist „Walk The Line“ über den legendären Johnny Cash ein exzellentes Beispiel dafür, wie man es angehen sollte. James Mangold vermittelte dem Publikum, wo der Country-Sänger herkam, was ihn zu dem machte, der er war – mit seinem Genie und seinen nicht wenigen, gravierenden Fehlern. Regisseur Rupert Goold („True Story - Spiel um Macht“) hingegen zeigt uns Judy Garland hauptsächlich am Ende ihrer Tage – eine Zeit, in der sie längst ein körperliches und vor allem psychisches Wrack war. So verkommt der Film zwar nie zu einer reinen Nummern-Revue, in der nur die wichtigsten Stationen der Titelheldin einfach nur abgehakt werden (die typische Biopic-Falle). Trotzdem bringt die Wahl dieses Zeitpunkts den Film auf andere Art ins Wanken.
Klar, Rupert Goold und das auf dem Bühnenmusical „End Of The Rainbow“ basierende Drehbuch von Tom Edge („Strike“) versuchen, die vielen düsteren Momente der tabletten- und alkoholabhängigen sowie von einer echten Pfeife von neuem Lover (Finn Wittrock, „La La Land“) umgebenen Garland mit einigen herrlich swingenden Songs abzufedern. Das gelingt über weite Strecken sogar erstaunlich gut. Die Auftritte in der britischen Hauptstadt sind von Kameramann Ole Bratt Birkeland („Ghost Stories“) wunderbar dynamisch ins Bild gesetzt und Renée Zellweger läuft zu absoluter Höchstform auf. Die Schauspielerin ist klar das Beste an „Judy“. Wenn sie mit den typischen, nahezu perfekt getroffenen Garland-Manierismen auf die Bühne steigt und ihre Stimme etwa zum Finale mit „Somewhere Over The Rainbow“ erhebt, vergisst der Zuschauer augenblicklich den „Bridget Jones“-Star unter Make-up und Perücke. Er sieht und hört nur noch Judy, die hier – und offenbar nur hier – noch einmal ins Leben zurückkommt und sich die Seele aus dem Leib singt.
Dann ist es auch egal, ob sie sich mit erstaunlich positivem Schwung in die Musik wirft oder im nächsten Moment einen Nervenzusammenbruch erleidet und halbvolle Schnapsflaschen ins Publikum schleudert. Dazu zeigt uns Goold zwischendrin jedoch auch immer wieder Flashbacks, die illustrieren, wie Garland als junge Aktrice (hier dargestellt von Newcomerin Darci Shaw) vom sagenumwobenen Hollywood-Produzenten Louis B. Mayer (Richard Cordery) gnadenlos ausgebeutet und unter seelischen wie körperlichen Druck gesetzt wurde. Die negativen Momente dominieren einfach zu sehr und die Story kommt so über weite Strecken einfach nur deprimierend und nicht etwa – wie es zu den meisten ihrer Lieder eigentlich besser passen würde – melancholisch rüber. Das macht das Ganze für den Zuschauer sehr ermüdend. Vor allem, wenn man weiß, dass Garlands Leben nur wenige Monate später, im Alter von 47 Jahren, endete.
Vor allem auf der Bühne einfach nur grandios: Renée Zellweger als Judy Garland!
Bei einer Künstlerin, die unzähligen Menschen über so lange Jahre so viel Freude beschert hat, ist das schon sehr traurig. Denn es ist ja nicht so, als ob Garland nichts Positives erlebt hätte. Ihr eingangs erwähnter Status als Idol und Inspiration kommt da etwa in den Sinn. Oder die nicht durchgehend einfache, letztlich von beiden Frauen doch als schön und warmherzig empfundene Beziehung zu ihrer Tochter Liza Minnelli (hier gespielt von Gemma-Leah Devereux). Diese wird im Rahmen einer kurzen, früh im Ablauf platzierten Party-Szene allenfalls angedeutet, aber nie näher beleuchtet. Es wäre wünschenswert, irgendwann ein Werk zu sehen, das sich – quasi zum Ausgleich für „Judy“ – dieser Mutter/Tochter-Geschichte widmet. Dann gern auch erneut mit Renée Zellweger!
Fazit: Renée Zellweger singt und spielt – speziell in ihren toll gedrehten Momenten auf der Bühne – einfach sensationell gut. Ansonsten fällt die filmische Umsetzung der letzten Monate eines der größten Stars des 20. Jahrhunderts aber leider ziemlich einseitig deprimierend aus.