Mein Konto
    Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit

    Ein Film, der einem das Sehen neu lehrt

    Von Michael Meyns

    Was haben Kirk Douglas, Tim RothMartin Scorsese und nun Willem Dafoe gemeinsam? Richtig, sie haben Vincent van Gogh verkörpert, den legendären niederländischen Maler, mit dem selbst Laien und an Kunst weitestgehend Desinteressierte Dinge wie „Sonnenblumen“ oder „Ohr abschneiden“ in Verbindung bringen. Doch erklärt allein das, warum kein Maler so oft von Star-Regisseuren wie Vincente Minelli (mit Douglas in „Ein Leben in Leidenschaft“), Robert Altman (mit Roth in „Vincent und Theo“) oder Akira Kurosawa (mit Scorsese in „Träume“) filmisch gewürdigt wurde? Was das Geheimnis von van Gogh war, was seine Gemälde, seinen Blick auf die Welt so besonders gemacht haben, versucht in „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ nun auch „Schmetterling und Taucherglocke“-Regisseur Julian Schnabel mit Willem Dafoe als Hauptdarsteller zu ergründen. Dass Schnabel selbst vor allem als Maler und dabei kaum weniger exaltiert und exzentrisch als van Gogh unterwegs ist, ist wohl mit ein Grund dafür, dass sich das starke Drama über klassische Biopic-Grenzen erhebt und so von den anderen Filmen über den Künstler wohltuend abhebt.

    35 Jahre ist Vincent van Gogh (Willem Dafoe) 1888 alt, hunderte Gemälde hat er schon gemalt, doch Erfolg ist ihm nicht vergönnt. Von Paris zieht er in den Süden Frankreichs, ins kleine Dorf Arles, wo er in der Natur malt und seine Bilder an Farbe und Brillanz gewinnen. Für einige Wochen ist sein guter Freund und Kollege Paul Gauguin (Oscar Isaac) bei ihm, doch meist ist van Gogh allein in der Welt und mit seinen Gedanken. Immer wieder wird er in Spitäler eingewiesen, sein Gesundheits- und vor allem sein Geisteszustand verschlechtern sich merklich, bis er im Jahr 1890 unter rätselhaften Umständen an einer Schusswunde verstirbt…

    War Vincent van Gogh ein Genie oder ein Wahnsinniger? Oder war er vielleicht beides, bedingte das eine das andere, bestand in seiner Einzigartigkeit auch gleichzeitig seine Tragik? Dass nun zum ersten Mal ein Maler einen Film über den Maler van Gogh gedreht hat, ist hier das zentrale Alleinstellungsmerkmal, denn inhaltlich wird zwangsläufig das geschildert, was auch andere van-Gogh-Filme schon erzählen. Auf die banalen Fakten der Geschichte kommt es Schnabel aber ohnehin nicht an, die kann man sich schließlich auch in ein paar Minuten auf Wikipedia anlesen. Was man dort jedoch nicht kann, ist mit den Augen eines Malers zu sehen: Zu sehen, was und vor allem wie van Gogh sieht, ist die größte Errungenschaft von „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“.

    Weite Passagen von „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ bestehen aus impressionistischen Aufnahmen. Der brillante Kameramann Benoît Delhomme („Die Entdeckung der Unendlichkeit“), ebenfalls ein Maler, hat zusammen mit Schnabel Bilder gefunden, die es schaffen, anzudeuten, was ihr niederländischer Protagonist gesehen haben mag: Gleißendes, mal weiches, mal hartes Licht, satte Farben, geprägt von dem Gelb der Felder, dem Grün der Blätter, dem Blau des Himmels, das van Goghs Gemälde prägt. Was die Kamera aber vor allem filmt, ist die Landschaft von Willem Dafoes Gesicht. Mit einer mobilen Kamera kommt Delhomme dem Hauptdarsteller Dafoe unglaublich nah. So zeigt er die Furchen und Falten eines zunehmend verzweifelten Mannes, der mehr sieht als andere Menschen und zwar so viel und so klar, dass es ihn innerlich zerreißt.

    Dass Willem Dafoe fast 30 Jahre älter ist als van Gogh es zum Zeitpunkt seines Todes war, spielt keine Rolle. Denn ohne den für diese Darstellung oscarnominierten Schauspieler wäre dieser Film kaum denkbar, ohne das markante Gesicht des Mannes, der vor ziemlich genau 30 Jahren in Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ Jesus spielte, eine Verbindung, die Schnabel immer wieder betont. Besonders deutlich wird der Verweis auf Scorseses umstrittenen Klassiker in einem langen Dialog zwischen van Gogh und einem von Mads Mikkelsen („Polar“) gespielten Priester, der keine Zweifel daran lässt, dass er van Gogh und seine grellen, unrealistischen Bilder für alles andere als gut hält. Doch van Gogh antwortet nur: „Gott hat mir eine Gabe gegeben. Ich kann nur malen, ich kann nichts anderes.“ Und vor allem: „Vielleicht bin ich ein Maler für Menschen, die noch nicht geboren sind.

    Mit diesem Verweis auf eine Person, die ihrer Zeit voraus war, wird die Brücke zu Jesus geschlagen, was auch der Priester erkennen muss, selbst wenn er nicht so wirkt, als würde er van Goghs Genie begreifen – ganz im Gegensatz zu Schnabel: Der gemeinsam mit seiner Freundin, der schwedischen Innendesignerin Louise Kugelberg, sowie dem Altmeister Jean-Claude Carrière („Der diskrete Charme der Bourgeoisie“) auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnende Filmemacher versucht dies in den kurzen, prägnanten Dialogszenen, in denen van Gogh auf den Malerkollegen Gauguin, einen verrückten Soldaten (Niels Arestrup) oder einen Arzt (Mathieu Amalric) trifft, schließlich auch in Worte zu fassen. Eine Schule des Sehens sind diese Szenen, Momente, in denen das Besondere von van Goghs künstlerischem Ansatz klar wird: Die Fähigkeit, nicht nur zu betrachten, sondern zu sehen. Dass diese Gabe ihn auch wahnsinnig machte, ist die Tragik van Goghs, und beides macht ihn zu dem faszinierenden Charakter, den Julian Schnabel in seinem Film „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ auf kongeniale Weise porträtiert.

    Fazit: Julian Schnabels Vincent-van-Gogh-Biographie „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ nähert sich dem legendären Maler auf impressionistische Weise, beflügelt von einer außerordentlichen Darstellung Willem Dafoes und Benoît Delhommes spektakulärer Kameraarbeit.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top