Noch während die nur etwa zweiwöchigen Dreharbeiten zu Sally Potters Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „The Party“ im Juni 2016 in vollem Gange waren, haben sich die Briten mehrheitlich entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Das Votum hat die Welt erschüttert und beim kleinen internationalen Team, das die englische Regisseurin für ihre politische Komödie um sich versammelt hatte, sorgte der Brexit nicht nur für Fassungslosigkeit, sondern auch für Tränen. Die Realität hat der Fiktion damit gewissermaßen noch einmal zusätzliche Schärfe gegeben, denn die Schockwellen der gegenwärtigen Krisen scheinen auch die sieben Figuren dieser aus dem Ruder laufenden filmischen Party erfasst zu haben. Sie flüchten sich in Esoterik oder in Zynismus, sie träumen von Rache, hängen alten Illusionen nach oder klammern sich an trügerische neue Hoffnungen. Potter, die auch das Drehbuch verfasst hat, lässt ihre Charaktere all das aussprechen, was man sich sonst immer verkneift - und sie hat für dieses virtuose Spiel der schmerzhaften Wahrheiten ein schlicht perfektes Darstellerensemble zusammengestellt. „The Party“ ist ein hochkonzentriertes Drama von nur 71 Minuten Lauf- und Handlungszeit, gedreht an einem einzigen Schauplatz und in klaren, zuweilen fast abstrakten, immens ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern. Aber noch mehr ist „The Party“ eine bissige, scharfzüngige, klarsichtige, dabei trotzdem liebevolle Komödie – und einfach unglaublich lustig.
In Sally Potters Filmografie finden sich so unterschiedliche Werke wie „Orlando“, „Yes“ oder „Ginger und Rosa“, deren größte Gemeinsamkeit wohl darin liegt, dass sie alle eminent politisch sind. Und in „The Party“ kommt diese Seite so deutlich zum Vorschein wie noch nie zuvor. Schon der erste Musikeinsatz (Hubert Parrys „Jerusalem“) ist hier als politischer Kommentar zu verstehen, dann öffnet Kristin Scott Thomas („Der englische Patient“) die Tür mit dem Löwenkopfklopfer zu ihrer Wohnung und richtet eine Pistole direkt ins Publikum. Kurz bevor sie abdrücken kann, gibt es einen Schnitt und in der nächsten guten Stunde erfahren wir nach und nach, wie es dazu gekommen ist: Scott Thomas spielt Janet, die gerade von ihrer Partei (= party) zur Gesundheitsministerin im Schattenkabinett berufen wurde. Das will sie mit ihrem Mann Bill (Timothy Spall) und ein paar Gästen feiern. Ihre beste Freundin April (Patricia Clarkson) mit ihrem deutschen Partner Gottfried (Bruno Ganz) kommt als erste, es folgt das lesbische Pärchen Martha (Cherry Jones) und Jinny (Emily Mortimer) sowie der Banker Tom (Cillian Murphy). Der ist allerdings ohne seine Frau Marianne erschienen und scheint überaus nervös zu sein…
Von Beginn an sorgen Verwicklungen und Geheimnisse für Unruhe und Spannungen und lassen aus der vermeintlichen Party schnell etwas ganz anderes werden. Allzu viele Einzelheiten zu verraten, würde den Spaß schmälern, daher seien hier nur die Schauspieler gelobt: Die meisten Lacher erntet Patricia Clarkson („Shutter Island“) als zynische Sprücheklopferin, die das parteipolitische Establishment verachtet und ihren Freund bei jeder Gelegenheit lächerlich macht. Der nimmt das in Gestalt von Bruno Ganz („Der Untergang“) langmütig hin und tritt jeder noch so entmutigenden Enthüllung mit eigenwilligem Optimismus entgegen – eine großherzige und irre komische Darbietung. Cillian Murphy („Inception“) wiederum ist als Banker zunächst einmal der kokainschnupfende Buhmann im edlen Zwirn, vollführt aber eine erstaunliche Wendung – wie übrigens fast jeder hier. In mal feinsinnigen, mal boulevardesken und immer hochamüsanten Wortgefechten geht es um Drillinge, um SMS mit Versen von Vergil und Catull, das Gesundheitssystem, den Zustand des Feminismus, um Liebe und Eifersucht und Tod und Schallplatten. Und es bleibt nicht nur bei verbalen Auseinandersetzungen…
Fazit: Die Zeiten sind schlecht, aber das ist kein Grund, den Humor zu verlieren - Sally Potters brillante und irre lustige politische Komödie „The Party“ ist wahrlich ein Fest.
Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „The Party“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.