Warum noch ein Film über Julian Assange? Diese Frage stellt man sich angesichts von Laura Poitras Dokumentarfilm „Risk“, der in der Quinzaine des Réalisateurs 2016 in Cannes Premiere hatte. Schließlich ist in den vergangenen Jahren schon unheimlich viel über den weißhaarigen Australier geschrieben worden, über seine Rolle als Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, aber auch über den zweier Sexualdelikte Beschuldigten, der seit Jahren in der Botschaft Ecuadors in London Asyl findet. Auch mehrere Kinofilme über Assange gibt es bereits, darunter Alex Gibneys Dokumentation „We Steal Secrets“ und den Spielfilm „Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt“ mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle. Oscar-Preisträgerin Poitras springt allerdings nicht auf einen fahrenden Zug auf, sondern hatte Assange und seine Mitstreiter schon lange intensiv beobachtet und war als Regisseurin von Dokumentationen über fragwürdige Praktiken der (US-)Geheimdienste und Regierung wie „The Oath“ und zuletzt „Citizenfour“ (über Edward Snowden) selbst ins Visier der Ermittler geraten. Ihre persönliche Nähe zu systemkritischen Organisationen ermöglicht Poitras aufschlussreiche Einblicke, die deutlich über die Person Julian Assange hinausgehen und durchaus einen weiteren Film über eine vermeintlich umfassend porträtierte Persönlichkeit und ihr Wirken rechtfertigen.
„Risk“ ist in zehn Kapitel unterteilt, die lose an der Geschichte Assanges und Wikileaks ausgerichtet sind, die sich kaum voneinander trennen lassen – was durchaus als problematisch erkennbar wird. Dabei hat Poitras nicht wirklich viel Neues zu bieten, doch sie öffnet den Blick auf die andere Seite: Nicht die Pressekonferenz zur Wikileaks-Veröffentlichung der Spy Files sieht man, sondern die Vorbereitungen der Aktivisten, nicht Assanges öffentliche Auftritte, sondern das Geschehen hinter den Kulissen. Und die WikiLeaks-Tätigkeit wird in einen größeren Zusammenhang gestellt: Da geht es dann etwa um den arabischen Frühling und die Verkaufsmessen internationaler Firmen, die ihre Überwachungstechnik und ihre Expertise auch an Staaten wie Syrien, Libyen und Ägypten verkaufen, auch Whistleblower wie Bradley Manning oder Edward Snowden finden am Rand Erwähnung.
Laura Poitras skizziert noch einmal die dicht verflochtenen politischen, geheimdienstlichen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen, deren Auswüchse in den vergangenen Jahren immer wieder die Nachrichten bestimmten. Aber hier geht es weniger um tagesaktuelle Aufreger als um Grundsätzliches, dafür steht schon der Filmtitel „Risk“. Ob die von Assange immer wieder zur Schau gestellte Paranoia – er vermutet gleichsam hinter jeder Ecke eine Verschwörung - eine Basis in der Realität hat, lässt Poitras zwar offen, aber er geht doch unzweifelhaft immer wieder ein großes Risiko ein. Daran knüpft die Regisseurin Fragen nach der Motivation von Assange und anderen: Sie wissen um das enorme persönliche Risiko und entscheiden sich ganz bewusst dafür, es auf sich zu nehmen. Die sicherere Alternative des Nichtstuns wäre in ihren Augen mit der Gewissheit verbunden, in einer zunehmend undemokratischen, von Überwachung und Machtmissbrauch geprägten Welt zu leben.
Fazit: Laura Poitras kommt nah an WikiLeaks-Mitgründer Julian Assange und andere wichtige Vertreter der Bewegung heran, was uns erhellende Einblicke in die Arbeits- und Denkweise der Aktivisten verschafft.
Wir haben „Risk“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film in der Sektion "Quinzaine des Réalisateurs" gezeigt wurde.