„Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich! Er fing die Fliegen in dem Haus, und riss ihnen die Flügel aus. Er schlug die Stühl' und Vögel tot, die Katzen litten große Not...“ – So beginnt „Die Geschichte vom bösen Friederich“ im gruseligen Kinderbuch-Klassiker „Struwwelpeter“. Und die Moral von der Geschicht'? Wer Tiere quält, der muss am Ende dafür büßen. Ob auch der aufbrausende Bösewicht im dritten Fall der Frankfurter „Tatort“-Kommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird, soll an dieser Stelle nicht verraten werden – doch das Verbrennen eines bedauernswerten Kaninchens und das Massakrieren einer Katze zählen wohl noch zu den harmloseren Gräueltaten im Lebenslauf des gewieften Psychopathen, mit dem es die Ermittler aus der Mainmetropole diesmal zu tun bekommen. Filmemacherin Hermine Huntgeburth („Tom Sawyer“) verarbeitet in ihrem spannenden „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich“ das titelgebende „Struwwelpeter“-Motiv und setzt auf Gruselmomente, die an die Werke des „Master of Suspense“ Alfred Hitchcock erinnern – sie sind das Sahnehäubchen auf den bisher besten „Tatort“ des Jahres 2016.
Nach fast 20 Jahren wird der verurteilte Frauenmörder Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek) wegen guter Führung vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Er findet eine Stelle im Dentallabor von Roland Burmeister (Sabin Tambrea) und bleibt bei der Psychologin Helene Kaufmann (Ursina Lardi) in Therapie, die sich für seine Entlassung eingesetzt hatte und nun ein Verhältnis mit ihm beginnt. Doch als Nolte bei einem nächtlichen Spaziergang von Martin Busche (Manuel Harder) angebettelt wird, brennen ihm die Sicherungen durch: Er ersticht den Obdachlosen in einem Garagenhof und kann unerkannt entkommen. Die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch), die sich bei ihren Ermittlungen nicht immer an die Vorgaben ihres Chefs Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) halten, tappen im Dunkeln. Ein Motiv scheint der Täter nicht zu haben. Dann aber nimmt Nolte Kontakt zu Janneke auf: In ihrer Zeit als Polizeipsychologin hatte sie einst das Gutachten erstellt, das ihn lebenslänglich ins Gefängnis brachte...
Lediglich vier Mal saß im Jahr 2015 eine Frau bei einem „Tatort“ auf dem Regiestuhl – und das bei 40 ausgestrahlten neuen Folgen. Trotz der kürzlich von der ARD eingeführten Frauenquote für die „Tatort“-Regie setzt sich diese Bilanz 2016 zunächst fort: Nach Katrin Gebbes durchwachsenem „Tatort: Fünf Minuten Himmel“ ist Hermine Huntgeburths „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich“ erst der zweite Sonntagskrimi unter weiblicher Regie. Ob eine feste Frauenquote wirklich nötig ist, mag jeder für sich selbst entscheiden – angesichts des hohen Unterhaltungswerts von Huntgeburths Psychothriller wünscht man sich aber zumindest, ihr erster Beitrag zur Krimireihe möge doch bitte nicht ihr letzter bleiben. Während Gebbes „Event-Tatort“ am Ostermontag bei den TV-Zuschauern sang- und klanglos durchfiel, dürfte es dieser Film beim Publikum leichter haben: Drehbuchautor Volker Einrauch, der auch das Skript zu Huntgeburths gelungener Literaturverfilmung „Effie Briest“ schrieb, liefert eine angenehm stringente, übersichtliche Geschichte und einen unberechenbaren Bösewicht, der seine blutigen Phantasien und perversen Tagträume direkt vor den Augen des Zuschauers auslebt und dem 983. „Tatort“ seinen Stempel aufdrückt.
Vieles in diesem Frankfurter Krimi erinnert an den großartigen Kieler „Tatort: Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“, in dem es Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) im November 2015 zum zweiten Mal mit dem Psychopathen Kai Korthals (Lars Eidinger) zu tun bekamen: Während sich Borowski und Korthals unter Missachtung aller Dienstvorschriften ein fiebriges Mann-gegen-Mann-Duell lieferten, muss sich in Frankfurt die etwas naiv agierende Janneke hinter dem Rücken ihres Kollegen Brix mit dem manipulativen Ex-Knacki Nolte auseinandersetzen. Die Begegnungen der beiden sind der Dreh- und Angelpunkt des fesselnden Films. Der blendend aufgelegte Theaterschauspieler Nicholas Ofczarek („Unter Feinden“) braucht sich in der Rolle des vordergründig eleganten Wüterichs („Kaffee? Kekse? Ist Mozart okay?“) nicht vor Eidingers Korthals zu verstecken: Wenn der ungebetene Gast in Jannekes Küche seelenruhig zum Messer greift oder Brix‘ ahnungsloser Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) einen Besuch abstattet, dürfte vielen Zuschauern ein Schauer über den Rücken laufen. Dank der vielen Suspense-Momente in bester Hitchcock-Manier schleicht sich in diesem Krimi keine Minute Leerlauf ein.
Stimmungsvoll begleitet werden diese Gänsehautsequenzen vom Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, dessen wunderbare Klänge bereits den überragenden Wiesbadener „Tatort: Im Schmerz geboren“ vergoldeten: Nicht von ungefähr wecken die wiederkehrend einsetzenden Stakkato-Streicher der von Christine Aufderhaar komponierten Originalmusik Erinnerungen an den berühmten Bernard Herrmann, der bekanntlich Hitchcocks Meisterwerke „Psycho“ und „Vertigo“ vertonte. Eher plump wirken da die brachialen Rammstein-Klänge, die das Naturell des Killers unterstreichen und den Film musikalisch rahmen sollen, aber nur bedingt mit der Orchestermusik harmonieren. Kleinere Schönheitsfehler sind aber auch dank des hochspannenden Schlussdrittels locker zu verschmerzen: Der dritte Fall von Janneke und Brix ist ihr bisher bester und erneut ein sehr persönlicher. Wurde im vorigen Frankfurter „Tatort: Hinter dem Spiegel“ noch Brix von seiner Vergangenheit bei der „Sitte“ eingeholt, muss sich diesmal Janneke mit den Sünden ihrer Jugend auseinandersetzen. Einmal mehr bewahrheitet sich außerdem eine alte „Tatort“-Weisheit: Die wenigen Folgen, bei denen der Mörder von Beginn an feststeht, gelten bei vielen Fans der Krimireihe als die besseren.
Fazit: Hermine Huntgeburths „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich“ ist ein packender und stark inszenierter Psychothriller, bei dem Gelegenheitsgucker und Stammzuschauer gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.