Ridley Scott liefert 38 Jahre nach „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ nicht nur selbst mit „Alien: Covenant“ den sechsten Teil der Weltraum-Horror-Reihe, sein bahnbrechendes Science-Fiction-Meisterwerk beeinflusst auch heute noch immer neue Generationen von Filmemachern: Mit Regisseur Daniel Espinosa („Easy Money“) schickt sich nun der nächste an, das „Alien“-Erbe filmisch zu verwalten. Dabei kupfert der Schwede aber nicht nur ab. Sein Science-Fiction-Thriller „Life“ ist zwar unverhohlen inspiriert von Scotts Meilenstein und variiert die Prämisse nur marginal, diesem Defizit an Plot-Innovationen setzt Espinosa jedoch eine gnadenlos straffe Inszenierung entgegen, die den Zuschauer ab dem Zeitpunkt des Zusammentreffens mit einer außerirdischen Lebensform namens Calvin schwer in die Kinosessel presst und ihm dort kaum noch Zeit zum Luftholen lässt.
In der nahen Zukunft: Die Wissenschaftler und Astronauten Miranda North (Rebecca Ferguson), David Jordan (Jake Gyllenhaal), Sho Murakami (Hiroyuki Sanada), Hugh Derry (Ariyon Bakare), Roy Adams (Ryan Reynolds) und Ekaterina Golovkina (Olga Dihovichnaya) operieren auf der Internationalen Raumstation ISS und machen bei der Untersuchung einer Bodenprobe vom Mars eine sensationelle Entdeckung: Mikrobiologe Dr. Derry isoliert einen winzigen außerirdischen Organismus, dessen multifunktionalen Zellen allesamt zugleich Muskel- und Nervenzellen sind. Doch die Euphorie über diesen wissenschaftlichen Super-Coup verfliegt ebenso schnell wie der Organismus wächst. Als schon die nur wenige Zentimeter große (aber immer weiter wachsende) Kreatur im Labor einen der Wissenschaftler in arge Bedrängnis bringt, wird klar, dass die Besatzung ein monströses Problem hat, das nicht nur alles Leben an Bord der Raumstation, sondern potentiell die Existenz der gesamten Menschheit gefährdet…
Daniel Espinosa lässt sich zwar ausgiebig von verschiedenen Meisterwerken der Filmgeschichte inspirieren (auch „Gravity“ hat er offensichtlich eingehend studiert), aber es geht ihm eben auch sichtlich nicht um Innovation, sondern um konsequente Spannung. Bei der knappen Einführung der sechs Crewmitglieder reichen ein paar erzählerische Handgriffe, um die nötigen Eckpunkte abzustecken. Nach dem ersten, atemberaubend dicht inszenierten Auftritt des Aliens, zunächst liebevoll, später angsterfüllt Calvin genannt, wird die Hölle auf Betriebstemperatur gebracht - und alle wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie endgültig losbricht. Von diesem Moment an nimmt Espinosa sein Publikum (wie Calvin die Crew) in den Würgegriff und lässt es nicht mehr los - bis in den Abspann hinein. Das ist die große Stärke des Films! Ähnlich wie Alfonso Cuarons Weltraum-Geniestreich „Gravity“ ist „Life“ in erster Linie als körperliche Erfahrung konzipiert. Der Regisseur treibt die Spannung in der klaustrophobischen Enge der verwinkelten Raumstation immer wieder effektiv auf die Spitze und lässt nur minimale Verschnaufpausen zu, bevor erneut wild attackiert wird.
Erzählerisch verankert Espinosa seine Geschichte erstaunlich nachvollziehbar in der Realität – die Sprache der Astronauten, die genauen Protokolls, der Umstand, dass eine amerikanische Grundschule medienwirksam den Namen des ersten Alien-Wesens bestimmen darf, das alles könnte auch aus einem Film der Marke „Apollo 13“ stammen, bis dann das fiese Alien-Monster zum Anheizen des Szenarios dazugegeben wird. Zu dem authentischen Kern gehört auch, dass „Life“ mit Ausnahme zweier kurzer Szenen, die nicht an Bord der ISS verortet sind, durchgehend in der Schwerelosigkeit spielt. Das ist filmisch natürlich viel schwerer dazustellen, als die (in der Realität bisher noch gar nicht entwickelten) künstliche Gravitation in vielen anderen Sci-Fi-Filmen. Die Bewegungen der Schauspieler wirken bei der schwebenden Bewegung durch die schlauchartigen Gänge manchmal ein wenig abgehackt und nicht ganz so flüssig wie vielleicht erhofft. Ansonsten stehen die Produktionswerte und das realistische Set-Design weit über dem Standard der üblichen Trash-Ware, die das Sci-Fi-Horror-Genre abseits der „Alien“-Filme sonst dominiert.
Dazu kommt ein erstaunlicher Cast: Schweden-Hot-Shot Rebecca Ferguson („Girl On The Train“), die Tom Cruise in „Mission: Impossible - Rogue Nation“ ein bisschen an die Wand spielte, ist als Leiterin der Mission neben dem von Jake Gyllenhaal („Zodiac“, „Prisoners“) routiniert gespielten Bordarzt die wichtigste Figur. Ihre Momente bekommen aber auch ihre vier Mitstreiter. Jeder erhält so viel Stoff, dass es gerade genug ist, um mit ihnen mitzufiebern. Zudem hat Espinosa dieses Mal endlich seine Kamera im Griff, einer der Schwachpunkte seiner vorherigen Hollywood-Filme „Kind 44“ und „Safe House“, in denen er so wirr mit der Handkamera herumfuchteln ließ, dass in manchen Szenen komplett der Überblick verloren ging. Hier arbeitet Chef-Kameramann Seamus McGarvey („The Avengers“, „The Accountant“) sauber, ist zur Unterstreichung der klaustrophobischen Atmosphäre oft ganz nah dran an seinen Protagonisten, stellt sie in der Schwerelosigkeit auch mal spontan auf den Kopf, weil es ohnehin kein unten oder oben gibt, behält aber immer das Wesentliche im Blick.
Der Plot aus der Feder der „Deadpool“-Autoren Rhett Reese und Paul Wernick ist minimalistisch: Es gibt keine tiefere philosophische Ebene über die Existenz des Menschen, aber dafür zwei starke Twists, die dem klassischen Genrestoff die nötige Würze geben. Und wie schon „Deadpool“ (zu dem auch über Ryan Reynolds, der hier den toughen Sicherheitsoffizier Roy Adams spielt, eine Verbindung besteht) kennzeichnet sich auch „Life“ durch eine gesunde R-Rated-Härte aus – wobei es nicht nur geradeheraus brutal, sondern zugleich auch ästhetisch überraschend ansprechend ist, wenn jemand in der Schwerelosigkeit ertrinkt oder Blut spukt.
Fazit: Daniel Espinosas „Life“ ist ein spannender Science-Fiction-Thriller nach klassischem Monster-Muster, der einen durch seine packend-beklemmende Inszenierung in permanente Unruhe versetzt.