Obwohl man Grimassen-Genie Jim Carrey in erster Linie natürlich mit seinen Komödien-Megahits wie „Ace Ventura“ oder „Dumm und Dümmer“ in Verbindung bringt, hat der kanadische Komiker uns aber auch immer wieder in ernsthafteren Rollen begeistert. Unvergessen sind beispielsweise seine Performances in der Mediensatire „Die Truman Show“, in Michel Gondrys melancholischer Liebesgeschichte „Vergiss mein nicht“ oder im Andy-Kaufman-Biopic „Der Mondmann“. Aber wenn man sich nun seinen Auftritt in Alexandros Avranas‘ düsterem Thriller-Drama „Dark Crimes“ ansieht, wird man dabei einfach das Gefühl nicht los, dass sich Carrey nun noch einmal endgültig von seinem Image als sein Gesicht verziehender Spaßvogel lossagen wolle.
Mit grauem Vollbart, tief zerfurchtem Gesicht und einem permanenten Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht schleppt sich Carrey hier durch die unästhetische Tristesse der polnischen Metropole Krakau und versucht, einen Mordfall aufzudecken, der irgendwie mit den Vorgängen in einem SM-Sexclub zusammenhängt. Dabei enttäuscht nicht bloß Carreys einschläferndes Schauspiel, sondern auch die Story, die zwar von einem 2008 veröffentlichen Zeitungsartikel und damit von vermeintlich skandalträchtigen wahren Ereignissen inspiriert ist, aber dennoch einfach nur langweilt. Da reißen einen selbst die irritierenden, unpassend drastisch inszenierten Gewalt- und Sexszenen kaum noch aus der Lethargie.
Der polnische Polizeibeamte Tadek (Jim Carrey) stand mal kurz vor der Beförderung zum Polizeichef, wurde dann aber nach einer verpfuschten Ermittlung ins Aktenarchiv abgeschoben. Kurz vor seiner Pensionierung beschließt er, seinen guten Ruf wiederherzustellen, indem er sich eines besonders spektakulären unaufgeklärten Mordfalls annimmt. Das Opfer, ein reicher Geschäftsmann und regelmäßiger Besucher des SM-Clubs The Cage, wurde gefesselt in einem Wasserbecken gefunden. Tadek hat bereits einen Verdächtigen im Auge: Der berühmte und für seine expliziten Beschreibungen berüchtigte Schriftsteller Kozlow (Marton Csokas) schildert in einem seiner Romane nämlich einen Mord, der dem unaufgeklärten Fall verblüffend ähnelt. Als Tadek den Autor zum Verhör beordert, beginnt zwischen den Männern ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, in das zunehmend auch Kozlows Exfrau Kasia (Charlotte Gainsbourg) mit hineingezogen wird…
Ein in Ungnade gefallener Polizist, der sich mit der Lösung eines Falls zu rehabilitieren versucht; ein Ermittler, der nur noch wenige Tage von seiner Pensionierung entfernt ist; ein Cop, der sich auch persönlich in den Fall hineinziehen lässt – das sind drei der gängigsten Krimi-Klischees überhaupt und auf den Protagonisten von „Dark Crimes“, den das Produktionsstudio nach einer einzelnen Festivalpremiere 2016 übrigens erst einmal für zwei Jahre im Giftschrank verschwinden ließ, treffen sie allesamt zu. Das heißt allerdings nicht, dass Carrey als Tadek deshalb auch dreifach motiviert aufspielen würde – ganz im Gegenteil: Während der Hauptdarsteller aus Hollywood so antriebslos herumstapft, als würde er einen Part in der Parodie eines existenzialistischen Ingmar-Bergman-Dramas verkörpern, orientiert sich Drehbuchautor Jeremy Brock („Die Gärtnerin von Versailles“) derart verkrampft an den gängigen Genretropen, dass Tadek zwar wie ein wandelndes Sammelsurium von Ermittlerklischees, aber definitiv nicht wie ein eigener, ausgeformter Charakter anmutet.
Aber es ist nicht allein ein Versäumnis des Drehbuchs. Auch Carreys betontes Nicht-Schauspiel mutet zu weiten Teilen vor allem unfreiwillig komisch an. Wenn der völlig profillose, ob seiner Verbissenheit permanent grimmig dreinschauende Cop plötzlich einen Heulkrampf bekommt oder wiederholt das Mobiliar gegen die Wände wirft (offenbar die einzige Möglichkeit für Carrey, die angestaute Wut seiner Figur auszudrücken), dann treffen pure Theatralik und eine mangelhafte emotionale Unterfütterung in einer Weise aufeinander, die einfach nur noch albern wirkt. Und das, obwohl der Regisseur Alexandros Avranas („Love Me Not“) mit seiner nüchtern-gräulichen Inszenierung vermutlich genau das Gegenteil davon erreichen wollte.
Aus der Idee, dass sich die Verbrechen in der realen Welt und in einem Roman spiegeln, hat Andrew W. Marlowe im Jahr 2009 mit „Castle“ eine ganze TV-Serie gemacht. Aber Kozlow ist ganz sicher kein charismatischer Lebemann wie Nathan Fillion in „Castle“, sondern ein größenwahnsinniger Kotzbrocken. Wenn er sich bei einer Interviewerin in einem Fernsehinterview für die verschwendete Lebenszeit bedankt und mit dieser herablassenden Attitüde auch noch eine beachtliche Fanschar um sich versammelt, dann wirken im Vergleich selbst Jack Torrance, Mort Rainey & Co. wie sympathische, ausgeglichene Zeitgenossen.
Der neuseeländische Hollywood-Export Marton Csokas („Der Herr der Ringe“) mimt den widerwärtigen Kozlow mit starrem Blick und allgegenwärtiger Kälte. Aber viel mehr, als das grimmige Verhalten seines Gegenübers Jim Carrey zu spiegeln, vermag auch er nicht. Trotz zweier sich belauernder Alphamännchen war ein Verhör selten langweiliger als hier. Charlotte Gainsbourg („Schneemann“) wirkt zwischen so viel tobender Leblosigkeit fast schon überambitioniert, wenn sie einfach nur einen soliden Job macht. Man muss sie dafür noch nicht einmal von vorne sehen, in einer der stärksten Szenen des Films reichen ihre Rückenmuskeln, um ihrer Figur mehr Profil zu verleihen als all den männlichen Figuren zusammen.
Wie bei vielen TV-Standardkrimis versuchen die Autoren auch hier, möglichst viele falsche Fährten zu streuen, aber man geht ihnen beim besten Willen nicht auf den Leim. Ein Alleinstellungsmerkmal ist so allenfalls das Setting. „Dark Crimes“ beginnt mit Videoaufnahmen von nackten Frauen, die entweder gefesselt an der Decke hängen oder wie Hunde an einer langen Leine ausgeführt und erniedrigt werden. Der Nachtclub The Cage, in dem Frauen angeblich nur so weit gehen, wie sie es selbst wollen (Männer dürfen mit ihnen alles machen, solange sie sie nicht umbringen), wird hier gleich in der Eröffnungssequenz derart rabiat eingeführt, dass man kurz zu hoffen wagt, der Film könnte ähnlich provokant weitergehen.
Leider entwickelt sich „Dark Crimes“ aber in eine gänzlich andere Richtung. Die eingestreuten Aufnahmen aus dem SM-Club sowie die Rückblende einer brutalen Vergewaltigung erweisen sich als erzählerisch kaum relevant und deshalb unangenehm reißerisch. Ein Eindruck übrigens, den zumindest Kameramann Michal Englert („Anatomie des Bösen“) mit seiner Arbeit definitiv nicht weiter bestärkt. Er verzichtet hier nämlich völlig auf eine stilisierte Noir-Überhöhung und betont stattdessen allein die Tristesse der Szenerie, indem er in seinen Bildern fast vollständig auf Farben verzichtet. „Dark Crimes“ ist absolut keine Augenweide - aber das passt dann ja auch irgendwie ganz gut zu einem Film, der dem Zuschauer eh auf keinerlei Weise Freude bereitet.
Fazit: In „Dark Crimes“ versucht sich Jim Carrey in der Rolle des vom Schicksal gebeutelten, desillusionierten Cops, sorgt dabei aber allenfalls für unfreiwillige Komik. Der gähnend langweilige, ausgestellt hässliche Thriller hätte also trotz Hollywood-Starpower ruhig noch weiter im Giftschrank schlummern dürfen.