Schwarze Witwe des Dschihad
Von Susanne GietlDie Regisseurin Mareike Engelhardt wurde durch wahre Ereignisse zu ihrem Psychodrama „Rabia – Der verlorene Traum“ inspiriert: 2015 betrieb Fatiha Mejjati, Witwe von Karim Mejati, dem Mitbegründer einer marokkanisch-islamischen Kampftruppe und Mitglied von Al-Qaida, unter dem Namen Oum Adam mehrere Frauenhäuser (Madafas) im syrischen Raqqa. Witwen und unverheiratete Frauen aus aller Welt wurden dort unter schlechten Lebensbedingungen eingesperrt. Ihr einziger Ausweg war, dass sie einen IS-Kämpfer heiraten. Mit eiserner Faust sorgte die „schwarze Witwe des Dschihad“ für Angst und Schrecken.
Ein Nachrichtenmagazin nannte Oum Adam deswegen sogar einmal „die Inkarnation des weiblichen Hasses“. „Rabia“ hat nun trotzdem nicht den Anspruch, politisch aufzuklären, sondern stellt vielmehr die Frage, was passiert sein muss, damit aus einer jungen Frau ein herzloses Monster wurde. Dabei konzentriert sich Engelhardt auf die perfiden Methoden von Madame, um Frauen gefügig zu machen. Die reale Fatiha Mejjati diente als Vorlage für die grausame Herrin, unter der die fiktiven Protagonistinnen des Films zu leiden haben.
Im Zentrum von „Rabia“ stehen die 19-jährige Jessica (Megan Northam) und ihre Freundin Laila (Natacha Krief). Die beiden arbeiten als Pflegerinnen, doch ihr Job erfüllt sie nicht. Als Laila von einem Syrier zu „einem neuen Leben“ in Raqqa eingeladen wird, verlassen sie gemeinsam Paris. Mit dem Foto des Mannes im Gepäck steigen die beiden Frauen in den Flieger. Hoch über den Wolken träumen sie vom Paradies. Den Mann werden sie jedoch nie zu sehen bekommen, stattdessen landen sie in einem Madafa. Ihre Handys und alles Westliche müssen im Frauenhaus abgegeben werden. In einem Fragebogen müssen sie unter anderem angeben, wie viele Kinder sie haben wollen. Von nun an sind sie Gefangene.
Mit großer Neugierde lassen sich Jessica und Laila auf das selbst gewählte Abenteuer ein, tuscheln mit anderen Frauen wie bei einem Schulausflug über den schönen Mann, den Laila wohl bald heiraten wird. Dann werden die Frauen, deren zukünftige Männer in ihrer Funktion als Kämpfer des Islamischen Staates ihr Leben verloren haben, ausgerufen. Laila ist dabei. Den Frauen wird gratuliert. Laila weint. Sie klammert sich an ihren Traum, heiratet den Nächstbesten. Jessica, kurz nach ihrer Ankunft in „Rabia“ unbenannt, bleibt allein im Frauenhaus von Madame zurück…
Kamerafrau Agnès Godard, die schon mit Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ drehte, nutzt das wenige Licht im Frauenhaus gut. Die Szenen mit Madame (Lubna Azabal) nutzt sie, um die Hausherrin als ambivalente Person mit Licht und Schatten zu inszenieren. Sie kann in Menschen lesen, sie zerstören und über ihr Schicksal entscheiden. Auch über Rabias. Von nun an durchläuft Rabia alle Stationen eines Frauenhauses, bis sie zur grausamen rechten Hand der Madame geworden ist. Als sie Laila erneut begegnet, ist Jessica ein anderer Mensch. Den widerständigen Blick von Rabia wandelt Megan Northam im Laufe des Films in kraftvollen Hass um. Steht Rabia schließlich endgültig vor den Trümmern ihres Lebens, zieht Godard auch eine visuelle Parallele zwischen Rabia und Madame.
Regisseurin Mareike Engelhardt gibt zum ersten Mal Einblicke in ein syrisches Madafa. Mithilfe von Céline Martelet und Edith Bouvier, zwei französischen Expertinnen für Dschihadismus, kam sie in Kontakt mit jungen Frauen, die in den Madafas von Oum Adam gelebt haben. Auch für Megan Northam und Natacha Krief organisierte Engelhardt betreute Treffen mit den Zeitzeuginnen. Am Set wurden Engelhardt und ihr Team zudem von einem ehemaligen Mitglied beraten. Situationen, wie sie im Drehbuch vorkommen, beschrieb die Frau aus ihrer Sichtweise. Auch sie rauchte hier und da schon mal eine Zigarette.
Da weder Bilder noch Videos eines realen Frauenhauses existieren, konnte Engelhardt gemeinsam mit Set-Dekorateur Dan Bevan einen Ort schaffen, welcher der Dramaturgie folgt. Gedreht wurde in der ehemaligen Fabrik von France Tabac im französischen Sarlat-Périgord Noir, die in den ersten Szenen wie eine Flüchtlingsunterkunft wirkt. Spartanisch schlafen dort alle Frauen auf Matratzen. Im Laufe der Handlung wird man andere Facetten des Hauses kennenlernen.
Die Räumlichkeiten von Madame sind komfortabel mit fließenden Stoffen und einladendem Dekor, brutale Bestrafungsmaßnahmen hingegen werden im Keller fern von den Blicken der anderen in Kerkern vollzogen. Mit großer Willkür wird im Film Angst gestreut, brutale Maßnahmen zur Buße eingeleitet. Einige Szenen sind kaum zu ertragen, vieles spielt sich im Kopf ab. Statt Gewalt sieht man vor allem ihre Spuren.
Fazit: „Rabia“ ist eine komplexe Frauenfigur, wie man sie selten im Kino sieht: Bei ihr schlägt Verletzlichkeit und Enttäuschung in Hass um und entfaltet erst dann ihre ganze Kraft. „Rabia“ ist so aufwühlend wie erschreckend.
Wir haben „Rabia“ im Rahmen der 58. Hofer Filmtage gesehen.