Fast wie bei John Ford
Von Oliver Kube1973 brachte das Hollywood-Studio Metro-Goldwyn-Mayer „Pat Garrett jagt Billy The Kid“ in die Kinos. Bei Kritik und Publikum kam der ohne die Zustimmung seines zu diesem Zeitpunkt längst gefeuerten Regisseurs Sam Peckinpah („The Wild Bunch“) zusammengeschnittene Streifen über die vielleicht legendärste Rivalität in der Revolverhelden-Historie zunächst nur mäßig an. Erst viele Jahre später, als es für den VHS- und Laserdisc-Markt in einer neuen Fassung veröffentlicht wurde, die Peckinpahs ursprünglicher Vision deutlich näherkam, avancierte das Werk dann doch noch zu einem modernen Klassiker. Seine eigenwillige und doch authentische Repräsentation des Wilden Westens macht den Film heute zu einem veritablen Genre-Highlight. Als solches dürfte „The Kid - Pfad der Gesetzlosen“ wohl auch in 20 oder 30 Jahren nicht gehandelt werden. Vincent D’Onofrios Aufbereitung der realen Geschichte aus dem Blickwinkel eines (fiktiven!) zwischen die Fronten geratenden Waisenknaben bietet dennoch gut bis teilweise sogar sehr gut gemachte Unterhaltung für Anhänger des Neo-Western-Genres.
Rio Cutler (Jake Schur) ist 14 Jahre alt, als er 1881 in New Mexico seinen Vater erschießt, weil dieser die Mutter zu Tode prügelt. Die ältere Schwester Sara (Leila George) packt ihren unter Schock stehenden Bruder und tritt mit ihm die Flucht vor ihrem rachsüchtigen Onkel Grant (Chris Pratt) an. Schon in der nächsten Stadt werden die Geschwister jedoch wieder eingeholt. Grant nimmt Sara mit, um sie als Zwangsprostituierte an zahlungswillige Cowboys zu verkaufen, während er seinen Neffen hilf- und mittellos zurücklässt. Rio gerät daraufhin an den berüchtigten Revolverhelden William H. Bonney alias „Billy The Kid“ (Dane DeHaan), der sich selbst in dem Teenager wiederzuerkennen glaubt. Der Junge bewundert den so furchtlos auftretenden Outlaw und hofft, dieser könne ihm helfen, Sara aus Grants Klauen zu befreien. Doch der mehrfache Mörder ist vor allem mit seiner Fehde mit dem ihn gnadenlos jagenden Sheriff Pat Garret (Ethan Hawke) beschäftigt ...
Der rachsüchtige Grant (Chris Pratt) jagt seinen Neffen Rio Cutler (Jake Schur) zum Teufel.
Nach dem zwiespältig aufgenommenen Horror-Musical „Don't Go In The Woods“ kommt hier nun also die zweite Regiearbeit des vor allem als Schauspieler bekannten Vincent D’Onofrio („The Cell“, „Daredevil“). Der „Full Metal Jacket“-Veteran, der mit Hawke und Pratt bereits in einem anderen Neo-Western, nämlich dem Antoine Fuquas Remake von „Die glorreichen Sieben“, zusammen vor der Kamera stand, spielt selbst nur eine relativ kleine Rolle als Provinzgesetzeshüter. Das Scheinwerferlicht überlässt er nahezu komplett seinen Kollegen. Dabei gibt er den Akteuren erwartungsgemäß mehr Raum und Zeit, als es ein vielleicht mehr auf technische Aspekte konzentrierter Regisseur tun würde.
Kameramann Matthew J. Lloyd („Spider-Man: Far From Home“) darf oft merklich länger auf die Akteure draufhalten, als es ihre Dialoganteile eigentlich verlangen würden. Es sind jeweils nur wenige Sekunden, die die Darsteller für einen Blick oder eine Geste nutzen können, die ihren Parts mehr Tiefe verleihen. Das mag nicht nach viel klingen, hilft dem Zuschauer in der Addition allerdings enorm, sich nicht nur in die Hauptfiguren, sondern auch in kleinere Nebenparts, wie etwa einen von Adam Baldwin dargestellten Hilfssheriff oder den indirekt für eine wichtige Wendung sorgenden Dave („Django Unchained“-Stuntman Chad Dashnaw in seiner ersten Kinorolle), einen Komplizen von Billy, hinein zu fühlen und emotional involviert zu werden.
Die durch diese Art der Inszenierung herbeigeführte Nähe zu den Charakteren täuscht geschickt darüber hinweg, dass in dem von Andrew Lanham („Schloss aus Glas“) verfassten Drehbuch eigentlich gar nicht so viel Spannendes passiert. Im Kern geht es um einen Jungen, der schnell erwachsen werden muss, um überleben zu können. Doch nicht nur die Umstände sind gegen ihn. Er trifft zudem die fatale Entscheidung, sich auf die Seite von Billy The Kid zu schlagen – und damit weiß zumindest der Zuschauer bereits, dass das nicht gut enden kann. Vielmehr gibt es zu der von Newcomer Jake Schur bis auf gelegentliche Wackler in der Mimik glaubwürdig dargestellten Figur und seiner Story kaum zu sagen. Auch über die durchaus komplexe Vorgeschichte von Garret und Billy erfahren wir nur hier und da einzelne Details. Was aber passt, denn das Publikum erlebt deren Kampf ja größtenteils aus der Sicht von Rio. Der kennt beide Männer nur mittels irgendwo aufgeschnappter Legenden und muss allein abwägen, welche der beiden ihm erzählten und sich widersprechenden Versionen ihrer Beziehung zueinander wohl am ehesten der Wahrheit entspricht.
Bei den speziell in den gemeinsamen Szenen glänzenden Ethan Hawke („Boyhood“) und Dane DeHaan („Valerian - Die Stadt der tausend Planeten“) wurde merklich Wert darauf gelegt, sie den Vorbildern beziehungsweise den wenigen Fotos, die von ihnen existieren, optisch möglichst ähnlich zu präsentieren. DeHaan schafft es sogar fast durchgehend genau jene Körperhaltung einzunehmen, mit der sich der echte Billy The Kid auf der einzigen als authentisch verifizierten Ferrotypie-Aufnahme seiner Person zeigt. Wer hingegen plant, sich den Film vor allem wegen „Guardians Of The Galaxy“-Star Chris Pratt anzuschauen, sei allerdings gewarnt: Dieser bekleidet lediglich eine Nebenrolle mit allerdings entscheidenden Szenen zu Beginn sowie am Ende. Dabei gibt er den düsteren, bedrohlichen Bösewicht durchaus überzeugend, auch weil er auf ausuferndes Gestikulieren oder ähnliches Brimborium verzichtet. Außerdem ist Pratt zunächst kaum zu erkennen: Mit dem dichten, dunklen Bart und einem starren, eiskalten Blick sieht er deutlich älter aus als in seiner Paraderolle als Starlord, während seine Stimme in der Originalfassung erheblich tiefer beziehungsweise kratziger klingt.
Das wohl berühmteste Paar der Westerngeschichte: Sheriff Pat Garret und Gesetzesbrecher Billy The Kid.
Visuell ist für D’Onofrio offensichtlich Gradlinigkeit Trumpf. Wir bekommen zwar einige interessante Kamera-Perspektiven zu sehen, das Ganze ist aber längst nicht so originell ins Bild gesetzt wie solche ebenfalls kürzlich erschienenen Neo-Western wie „Slow West“ oder „Feinde - Hostiles“. Licht und Atmosphäre erinnern, unter anderem dank wiederkehrender Benutzung langer Totalen, eher angenehm an Kevin Costners „Open Range - Weites Land“. Der hatte sich wiederum an John-Ford-Klassikern wie „Der schwarze Falke“ orientiert. Und auch für D‘Onofrio ist der stilbildende Altmeister offensichtlich eine zentrale Referenz – ganz sicher nicht die schlechteste Wahl!
Fazit: „The Kid - Pfad der Gesetzlosen“ ist kein kommender Klassiker des Genres – dazu wirkt die Story dann doch zu simpel und generisch. Regisseur Vincent D’Onofrio und seine hochkarätige Schauspieler-Truppe machen aber dennoch genügend Dinge richtig, um Neo-Western-Fans einen wirklich schönen Abend zu bescheren.