Ein Kopfschuss nach dem anderen
Von Michael MeynsWie auch immer man die Filme und Musik-Videos von Jonas Åkerlund („Lords Of Chaos“) beschreiben mag: Subtil kann man sie nicht nennen. Stets geht der schwedische Regisseur, der schon mit so unterschiedlichen Stars wie Madonna, The Prodigy, Metallica, Rammstein oder Lady Gaga zusammengearbeitet hat, in die Vollen, macht lieber zu viel als zu wenig, haut dem Zuschauer im Zweifelsfall lieber noch einen visuellen Einfall um die Ohren, als ihn zu lange zur Ruhe kommen zu lassen. In gewisser Weise macht dies Åkerlund zum idealen Regisseur für „Polar“, eine ultrabrutale Comic-Verfilmung für Netflix, die sich mit Mads Mikkelsen als melancholischem Anti-Helden zwei Stunden lang von bekanntem Genremotiv zu bekanntem Genremotiv und von Kopfschuss zu Kopfschuss hangelt.
Duncan Vizla (Mads Mikkelsen), vielen besser bekannt als Black Kaiser, gilt als der beste Auftragskiller der Welt. Er arbeitet für eine Organisation, die vom finsteren Mr. Blut (Matt Lucas) geleitet wird. Doch langsam wird er alt. Sein Ruhestand rückt näher und damit die Auszahlung eines fetten Pensionierungspakets. Das würde Mr. Blut allerdings gerne vermeiden und so begeht er einen schweren Fehler: Er schickt die Killer Hilde (Fei Ren), Sindy (Ruby O. Fee) und Alexei (Josh Cruddas) los, um sich des kostspieligen Rentenproblems zu entledigen. Doch den Black Kaiser zu töten, erweist sich als Ding der Unmöglichkeit. Als Mr. Blut deshalb auch noch Duncans Nachbarin Camille (Vanessa Hudgens) in seine Gewalt bringt, um seinen einstigen Vorzeige-Angestellten zur Aufgabe zu zwingen, sinnt der Black Kaiser endgültig auf blutige Rache...
Einen Namen machte sich Jonas Åkerlund bereits in den 90er Jahren als Regisseur von Musikvideos und Werbespots. Zunächst inszenierte er vor allem Clips für ebenfalls aus Schweden stammende Bands wie Roxette, erlangte dann aber schnell eine solche Bekanntheit in der Szene, dass er bald auch Anfragen aus anderen Ländern bekam. Spätestens sein auch heute noch berüchtigtstes Video, der legendäre Clip zum The-Prodigy-Song „Smack My Bitch Up“, in dem eine rauschhafte, sex- und drogengeschwängerte Nacht aus subjektiver Perspektive geschildert wird, sorgte dafür, dass die Weltstars der Branche bis heute bei ihm Schlange stehen. Und natürlich kam dann irgendwann auch ein Anruf aus Hollywood, so dass er wie so viele andere Musik- und Werbefilmer den Sprung ins Kino wagte. Sein Debüt „Spun“ (2002) war dann auch direkt ähnlich radikal wie seine Clips – nur eben auf Kinolänge ausgewalzt, was auf Dauer doch etwas ermüdete.
Auch „Polar“ ist nun nicht frei von Längen, zumal sich das Drehbuch von Jayson Rothwell („Silent Night“), das auf einem zunächst nur im Internet veröffentlichten Comic von Víctor Santos basiert, ein wenig zu sehr darauf beschränkt, einfach nur bekannte Genre-Muster zu variieren: Vom müden Killer, der seinen Job an den Nagel hängen will, über den berühmten letzten Auftrag, nach dem dann aber wirklich Schluss ist, bis zum jungen Mädchen, das der Killer aus lange nicht erklärlichen Gründen beschützt, finden sich hier viele Motive wieder, die aus Filmen wie „Léon - Der Profi“, „The Killer“ und anderen Klassikern des Genres längst bekannt sind. Daneben hebt sich der Regisseur aber von der Vorlage ab: Wo der Comic, den ihr euch hier anschauen könnt, auf einen reduzierten Stil setzt, der durch die bewusste Beschränkung seiner Farbpalette an Frank Millers „Sin City“ erinnert, wirkt an Åkerlunds Film so rein gar nichts reduziert.
In den Credits finden sich als Rollenbeschreibungen zum Beispiel Wächter der Folterkammer und sehr viele Stripperinnen, was ganz gut die beiden Pole benennt, zwischen denen sich Åkerlunds Exzess bewegt. Sex und Gewalt dominieren von der ersten Szene an das Geschehen: Ein Drogenbaron wird, von einer vollbusigen Dame abgelenkt, mit einem Kopfschuss hingerichtet, woraufhin seine Erektion langsam abschwillt. Von solchen provokanten Einfällen hat „Polar“ reichlich zu bieten, besonders der britische Komiker Matt Lucas („Doctor Who“) liefert als Mr. Blut (was sich im englischen Original deutlich weniger dämlich anhört) eine exaltierte Performance ab, die selbst die meisten James-Bond-Bösewichte geradezu bodenständig erscheinen lässt.
Am anderen Ende der Skala bewegt sich dagegen Mads Mikkelsen (der ja in „Casino Royale“ auch selbst schon mal einen 007-Antagonisten verkörpert hat). Die tragische Melancholie, die Schuld, die seine Figur mit sich trägt, wirkt – gerade im Vergleich zum bunten Comic-Krawall drumherum – wie aus einem ganz anderen Film. Ganz zusammen passt das alles zwar nicht immer, bisweilen irritieren die Brüche und die Gegensätze zwischen überzeichneter Comic-Gewalt und geerdetem Realismus sogar. Aber Åkerlund versteht es am Ende dann doch, aus solch disparaten Elementen einen zwar oft kruden, aber auch faszinierend überbordenden Action-Trip zu formen.
Fazit: Killer, Stripperinnen, Kopfschüsse. Jonas Åkerlund schöpft in seinem Netflix-Action-Kracher „Polar“ aus den Vollen und inszeniert mit einem melancholischen Mads Mikkelsen in der Hauptrolle einen überbordenden, chaotischen Exzess.