Es ist ja bekanntlich alles eine Frage der Perspektive. Im Dokumentarfilm machte sich in den vergangenen Jahren vermehrt die Vogelperspektive breit – fast könnte man eine eigene „von oben“-Kategorie für die ganzen Film ausrufen, die ihren jeweiligen Gegenstand – vornehmlich Landschaften – aus der Draufsicht präsentiert. Dokus wie „Die Nordsee von oben“, „Deutschland von oben“ oder „Bavaria – Traumreise durch Bayern“ sind drei Beispiele für diesen Trend. Peter Bardehle und Lena Leonhardt, die bereits in „Die Alpen – Unsere Berge von oben“ mit Luftaufnahmen arbeiteten, für die Bardehle zudem bei „Der Südwesten von oben“ verantwortlich war, nähern sich nun dem Rhein aus luftigen Höhen. Ihre Reise entlang des von unzähligen Mythen umrankten Stroms, der quer durch Europa fließt, liefert dabei in „Rheingold – Gesichter eines Flusses“ neue Perspektiven auf den Fluss.
Der Rhein entspringt im Schweizer Kanton Graubünden aus einem kleinen See in den Bergwipfeln der Alpen. Von hier durchfließt der 1238 Kilometer lange Strom die Schweiz, Österreich, Deutschland und die Niederlande, bevor er in die Nordsee mündet – zwei Wochen braucht das Wasser von der Quelle bis zum Rheindelta. Für Liechtenstein und Frankreich dient der Rhein als Grenzfluss und sein weitläufiges Einzugsgebiet umfasst Luxemburg, Belgien und Italien. In „Rheingold“ wird der Fluss ausschließlich aus der Vogelperspektive gezeigt und dabei die historische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Stroms beleuchtet. So gehen die Filmemacher auch auf spezifische Traditionen und Bräuche der Rhein-Anwohner ein und verweisen anhand von Archivaufnahmen größerer Überschwemmungen auf die besonderen Herausforderungen des Lebens an einem mächtigen Strom wie dem Rhein.
Die mythologische Bedeutung des Rheins spielt in „Rheingold“ eine exponierte Rolle. Während Schauspielerin und Sprecherin Anne Moll alle nüchternen Fakten und Informationen zum Rhein liefert, spricht Ben Becker als „Vater Rhein“ lyrische Texte rund um den Strom. Der Fluss Rhein tritt also selbst als Ich-Erzähler in Erscheinung, wobei die poetischen Texte nicht immer überzeugend ausfallen, sondern bisweilen eher bemüht künstlerisch wirken. Neben der Rhein-Lyrik übernimmt auch die von Richard Wagners titelgebender Oper „Rheingold“ inspirierte Musik einen Teil der Aufgabe, die mythologische Strahlkraft des Rheins zu vermitteln. Schließlich kreisen ungezählte Gedichte, Volkslieder und Sagen rund um den Fluss, der die Alpen mit der Nordsee verbindet und fraglos ein Teil der deutschen Volksseele ist.
Gerade die Draufsicht macht immer wieder deutlich, wie sehr die Menschen die Natur rund um den Rhein für ihre Zwecke umgestaltet haben. Ob es sich nun um Kriegsdenkmäler, Badestrände oder Atomkraftwerke handelt – die Spuren der Zivilisation und Geschichte sind entlang des Rheins überall und in verschiedenen Facetten auszumachen. Passagen, in denen der Strom für die Schifffahrt begradigt wurde, sind aus der Vogelperspektive besonders gut zu erkennen. Dasselbe gilt für den Schiffsverkehr selbst, dessen Ausmaß in manchen Gegenden ebenfalls ins Auge springt – schließlich ist der Rhein eine der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt und als wichtiger Transportweg innerhalb Europas im Dauerbetrieb.
Das eigentliche Highlight von „Rheingold“ sind die abwechslungsreichen Landschaften entlang des Flusses, die aus der Vogelperspektive recht gut zur Geltung kommen. Die Alpen und das Vorgebirge, die Rheinauen und Weinberge oder die Industrielandschaft bei Duisburg – der Rhein passiert ganz unterschiedliche Regionen mit einer jeweils eigenen Ästhetik. Hinzu kommen zahlreiche Burgen an den Rheinufern, die an kriegerische Auseinandersetzungen erinnern, die im Verlauf der Geschichte um den Rhein geführt wurden, der schon den Germanen als Grenzfluss zum Römischen Reich diente.
Fazit: „Rheingold“ lebt vor allem von der ungewohnten Vogelperspektive, aus der man den Rhein nicht alle Tage sieht – und liefert zahlreiche interessante Informationen rund um den Strom.