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    40 Tage in der Wüste
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    40 Tage in der Wüste
    Von David Herger

    In den meisten Filmen über das Leben von Jesus Christus wird der große Bogen geschlagen von der Geburt in Bethlehem bis zu Auferstehung und Himmelfahrt – egal ob es sich um eine ehrfürchtige Nacherzählung des Neuen Testaments handelt (wie „Die größte Geschichte aller Zeiten“), um dessen respektlose Verulkung (wie „Das Leben des Brian“) oder um die Verfilmung eines von der biblischen Lehre abweichenden Romans (wie „Die letzte Versuchung Christi“). Einen anderen, sehr viel selteneren Ansatz verfolgt Regisseur Rodrigo García („Albert Nobbs“) nun in seinem bewegenden Drama „40 Tage in der Wüste“: Er konzentriert sich fast ausschließlich auf eine einzige in der Bibel recht knapp geschilderte Episode im Leben Jesu und erzählt mit hinzuerfundenen Beigaben von den 40 Tagen, die der von (Selbst-)Zweifeln geplagte Mann fastend und betend in der Wüste verbracht hat, um zu Gott und sich selbst zu finden. Ewan McGregor („T2: Trainspotting“) brilliert in dieser intimen und intensiven Charakterstudie über Versuchung und Glauben in einer fulminanten Doppelrolle als Christus und als Teufel, der den Gottessohn auf die Probe stellt.

    Jesus (Ewan McGregor) geht für 40 Tage in die Wüste, um zu fasten, zu beten und in Kontakt zu Gott zu treten. Im Verlauf dieser Zeit in Einsamkeit wird er vom Teufel (ebenfalls McGregor) heimgesucht, der mit seinen verführerischen Worten das Vertrauen Jesu in seinen Herrn und Vater brechen will. Schließlich trifft der Tischlersohn auf eine Familie, die in der Wüste lebt. Während die schwer kranke Mutter (Ayelet Zurer) im Sterben liegt, kommt es zwischen Vater (Ciarán Hinds) und Sohn (Tye Sheridan) zu Spannungen: Der Jüngere will das harte Leben in der Dürre hinter sich lassen und in die Welt ziehen, doch der Ältere besteht darauf, dass er seinen familiären Pflichten nachkommt und bleibt. Jesus erkennt, dass die Familie ihn braucht und will bei ihr bleiben. Der Teufel stichelt und wettet, dass Christus in diesem Fall nicht nur das Schicksal der Familie, sondern auch seine Mission als Sohn Gottes aufs Spiel setzt...

    Während Christus' 40-tägige Fastenzeit in den drei Evangelien von Markus, Matthäus und Lukas vergleichsweise kurz abgehandelt wird, reichert sie Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García mit einem frei erfundenen Szenario an, in dem Jesus mitten in der Wüste einer Familie begegnet, und bringt den Stoff damit auf Spielfilmlänge. Im Mittelpunkt steht bei ihm der unsichere und von Zweifeln erfüllte junge Mann vor den entscheidenden selbstlosen Taten am Ende seines irdischen Lebens. Die fiktionale Begegnung dient Garcia dabei als Spiegel für die inneren Konflikte des zaudernden Jesus, der sich und seine eigene Situation in den Spannungen der nicht zufällig dreiköpfigen Familie wiedererkennt. Sei es der sich missverstanden fühlende Sohn („Ich bin kein schlechter Sohn!“) oder der Vater, der nicht durch Worte, sondern durch Taten zu seinem Kind sprechen will – in den Spannungen unter den Fremden kommen letztlich auch die Emotionen Jesu zum Ausdruck, ohne dass der dafür viele Worte machen müsste.

    Ewan McGregor mag mit seinen nunmehr 45 Jahren (Jesus war zum Zeitpunkt seiner Kreuzigung  wahrscheinlich 33) nicht die offensichtliche Wahl für die Rolle von Jesus Christus sein, doch schon in den ersten Minuten des Films, als er in einer Mischung aus Verzweiflung und Missmut durch die öde Wildnis außerhalb Jerusalems streift und sich nach einem Zeichen Gottes verzehrt, zieht der schottische Schauspieler das Publikum in seinen Bann. Er betont die gewöhnliche, die ganz und gar menschliche Seite des Erlösers, wenn seine Gebete zu Gott („Vater, sprich mit mir!“) unbeantwortet bleiben, er mit kindlicher Freude über die Blähungen des Familiensohns lacht und sich der Schwäche seiner tröstenden Worte gegenüber der im Sterben liegenden Mutter bewusst wird. McGregors Darstellung der historischen Figur Jesus ist einnehmend und nachvollziehbar, während er den Teufel als ungewöhnlich charismatischen Beelzebub interpretiert, der Christus mit mancherlei humorvollen und eleganten Worten für sich gewinnen will. Mit dieser meisterhaft dargebotenen Doppelrolle dominiert McGregor den Film, aber auch Tye Sheridan („The Tree Of Life“), Ciarán Hinds („Silence“) und Ayelet Zurer („Ben Hur“) zeigen sehr engagierte Leistungen.

    Der dreifach oscarprämierte Kameramann Emmanuel Lubezki („Gravity“, „Birdman“, „The Revenant“) macht aus der spirituellen Reise ein auch visuell beeindruckendes Erlebnis. Er fängt die kargen Gesteinsformationen des südkalifornische Anza-Borrego Desert State Park  (den García als Stellvertreter für die Wüste des heutigen Westjordanlands erwählte) in epischen Landschaftspanoramen ein und setzt die Wüste als menschenfeindlichen und gottlosen Ort in Szene, der Verstand und Glauben wie kein zweiter auf die Probe stellt. Ähnlich wie zuletzt in Alejandro González Iñárritus „The Revenant“ verwischt Lubezki auch hier die Grenzen zwischen Realismus und Poesie auf geradezu magische Weise – etwa wenn er ein Flussbett inmitten der Wüste filmt oder eine Raupe auf dem Gesicht Jesu. Erzählerisch und inszenatorisch ist dieses Lebenskrisendrama wie aus einem Guss – mit Ausnahme der letzten Filmminuten, in denen Garcia dann doch noch Bilder der Kreuzigung und Grablegung Jesu folgen lässt. Dieser Nachtrag wäre für die zeitlose Parabel über den ewigen Konflikt zwischen Vätern und Söhnen und über das Ringen um die eigene Bestimmung nicht nötig gewesen, tut ihr aber keinen Abbruch.

    Fazit: Ein faszinierend gefilmtes und sehr berührendes Porträt von Jesus Christus, dem Ewan McGregor mit einer der besten Leistungen seiner Karriere eine zutiefst menschliche Seite verleiht.

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